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«Gesundheitscheck» des Bundes
Seine Vielfalt macht den Schweizer Wald stärker

Im Mittelland breiten sich immer mehr Laubbäume aus. Themenbild: Flugbild eines Waldes im Zürcher Oberland.
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Seit der Waldsterbendebatte in den 1980er-Jahren wird die Entwicklung des Schweizer Waldes auf Probeflächen und mithilfe von Luftbildern beobachtet und im Landesforstinventar (LFI) dokumentiert. Nun liegt die vierte Berichterstattung vor. «Die letzten 35 Jahre sind eine Erfolgsgeschichte», sagt Urs Beat Brändli vom Wissenschaftlichen Dienst LFI am WSL-Forschungsinstitut in Birmensdorf. Der Wald ist schweizweit in einem guten Zustand, aber in gewissen Regionen muss in Zukunft noch nachgebessert werden.

Anhaltendes Wachstum

Die Fläche des Schweizer Waldes scheint unaufhaltsam zu wachsen: in den letzten gut acht Jahren um weitere 31’000 Hektaren. Das entspricht einem Wachstum von 2,4 Prozent. Seit der ersten Inventur in den 1980er-Jahren hat sich die Waldfläche um 11 Prozent oder 130’000 Hektaren vergrössert. Das sind 1300 Quadratkilometer, so gross wie etwa der Kanton Aargau.

Die Entwicklung ist allerdings regional sehr unterschiedlich: Im Mittelland hat sich der Wald kaum verändert, er wächst vor allem in den Alpen und auf der Alpensüdseite überdurchschnittlich; 70 Prozent des Wachstums in den letzten acht Jahren sind in dieser Region zu beobachten. Der Grund für diese Entwicklung: Immer mehr Alpen in den Höhenlagen oberhalb 1400 Meter wurden aufgegeben.

Im Mittelland ist praktisch keine Veränderung festzustellen. Der Siedlungsdruck ist zwar gross, doch wo gerodet wird, muss an anderer Stelle wieder aufgeforstet werden. Das ist gesetzlich so festgeschrieben. Die Autoren des LFI-Berichts sehen deshalb vor allem in den Gebirgswäldern des Südens grossen Handlungsbedarf. Die Wälder dort – oft an steilen Hängen – sind «am wenigsten bewirtschaftet und gepflegt». Zudem breiten sich auf der Alpensüdseite, aber auch im Mittelland eingewanderte Pflanzen, sogenannte Neophyten, verstärkt aus. Der Gebirgswald muss gemäss LFI-Bericht künftig stärker gepflegt und bewirtschaftet werden, damit seine Funktionen vor allem als Schutzwald garantiert bleiben. Auf der Alpensüdseite sind jedoch nur etwa 16 Prozent des Waldes erschlossen, im Gegensatz zum Mittelland, wo 80 Prozent gut zugänglich sind.

Schutzwald wird älter

Gut 40 Prozent der Schweizer Wälder schützen unsere Siedlungen und Infrastruktur. Sie bewahren uns nicht nur vor Lawinen und Steinschlag, sondern verhindern auch Murgänge und Rutschungen. Die Autoren des LFI-Berichts attestieren dem Schutzwald zwar heute eine «bessere Schutzwirkung» als im letzten Landesforstinventar (2004/06), weil Flächen mit einem breiten Altersaufbau und Mischkulturen zugenommen haben. Solche Wälder sind stabiler bei starken Sturmereignissen. Gleichzeitig sei aber auch der Anteil der Schutzwälder, in denen wenig junge Bäume nachwachsen, angestiegen. Wo das Kronendach und der Baumbestand dicht ist, wird die Verjüngung gebremst.

Das heisst, der Schutzwald ist gebietsweise überaltert – vor allem auf der Alpensüdseite, wo vielerorts die Bewirtschaftung schwierig ist. Der Anteil des Schutzwaldes mit ungenügender Verjüngung ist in den letzten acht Jahren von 16 auf 24 Prozent gestiegen. Hinzu kommt, dass in manchen Wäldern die für den Schutzwald wichtige Weisstanne verstärkt unter Wildverbiss leidet, was die Verjüngung massiv bremsen kann. «Langfristig ist die Schutzwirkung der Wälder nur durch eine regelmässige Bewirtschaftung sicherzustellen», schreiben die Autoren des Berichts. «Der Schutzwald ist nur zu einem Drittel gut erschlossen, Pflege und Bewirtschaftung ist teuer», sagt WSL Forscher Brändli.

Klimapolitisch relevant: Holzvorrat

Der Wald spielt eine grosse klimapolitische Rolle. Die Eigenschaft, CO2 aus der Luft in Form von Kohlenstoff in der Biomasse zu speichern, macht den Baum zu einem wichtigen politischen Instrument. Die Schweiz sollte gemäss CO2-Gesetz bis Ende des Jahres das Treibhausgas CO2 um 20 Prozent gegenüber 1990 senken.

Dieses Ziel wird wohl nur erreicht dank der Hilfe des Waldes, der in den letzten Jahrzehnten dank einem steigenden Holzvorrat mehr CO2 gespeichert hat, als er zum Beispiel durch Stürme verloren hat. Es gab in den letzten acht Jahren keine Windwürfe wie beim Sturm «Lothar» 1999. In derselben Zeitperiode ist der Holzvorrat insgesamt in der Schweiz in den lebenden Bäumen und im Totholz um etwa 4 Prozent gestiegen. Im Mittelland nahm er jedoch ab. Auch die Wälder in Deutschland und Österreich verzeichneten in den letzten Jahren einen Zuwachs des Holzvorrats. Der jährliche Holzzuwachs im Schweizer Wald betrug brutto 10,8 Millionen Kubikmeter, davon wurden knapp 90 Prozent genutzt oder liegt als Totholz im Wald. Der Holzverbrauch in der Schweiz beträgt etwa 10 Millionen Kubikmeter pro Jahr. Man könnte also mit dem Holzzuwachs beinahe den Inlandverbrauch decken, selbst wenn nicht alle abgestorbenen Bäume genutzt werden.

Unter Klimadruck

Die starke durchschnittliche Erwärmung in der Schweiz setzt auch dem Wald zu. Die Perioden mit grosser Waldbrandgefahr haben sich verlängert. Braun verfärbte Buchenwälder in den Sommern 2018 und 2019 bereiten den Fachleuten Sorgen. Auch wenn das Landesforstinventar für langfristige Beobachtung konzipiert ist, das WSL hat nach den extremen Trockenperioden verschiedene Probeflächen kurzfristig untersucht. «Wir haben hier kein gleichmässiges Muster gefunden», sagt Christoph Hegg, stellvertretender Direktor des WSL. Das heisst: Die Buchen reagierten unterschiedlich auf die Trockenheit.

Das Risiko, dass sich Wärme liebende Schädlinge im Schweizer Wald verbreiten, steigt. Der Borkenkäfer breitet sich wegen der wärmeren Bedingungen in den letzten Jahren wieder stark aus.

Der Klimawandel zeigt sich auch im Baumbestand einzelner Wälder. Der Holzvorrat an Nadelhölzern ist im Mittelland rückläufig. Der Holzvorrat der Fichte ist im Mittelland in den letzten 35 Jahren um einen Drittel gesunken. In den Jungwaldflächen der Tieflagen dominieren reine Laubwaldwälder. Bestände, in denen eine Laubbaumart vorherrscht, haben in der Schweiz leicht zugenommen. Die Fichte ist jedoch gesamtschweizerisch nach wie vor die dominierende Baumart, gefolgt von der Buche und der Tanne.

Doch die Frage, welche Baumart sich in einem wärmeren und trockeneren Klima in Zukunft behaupten wird und holzwirtschaftlich einen genügend grossen Ertrag abwirft, sei nach wie vor offen, schreiben die Autoren im LFI-Bericht. Das Föhrensterben im Wallis und im Churer Rheintal ist vermutlich auf die zunehmende Trockenheit zurückzuführen. Die Eiche wäre zum Beispiel weniger anfällig auf Trockenheit und eine Kandidatin als Baum der Zukunft. Ihr Vorrat ist in den letzten Jahren gewachsen; allerdings ist die Zahl der Jungbäume im Mittelland rückläufig, vor allem weil Rehe und Hirsche die Jungpflanzen vielfach verbeissen.

Auch eingeführte Baumarten können bezüglich Klimawandel nützlich sein: zum Beispiel die Douglasie, die Grosse Küstentanne oder die Orientbuche. Ihr Anteil in der Schweiz ist allerdings bescheiden.

Grundsätzlich positiv wird gewertet, dass der Wald punkto Artenvielfalt zugelegt hat, was den Forst gegenüber Klimawandel und erhöhter Infektionsgefahr durch Schädlinge stabiler macht. Mehr als 90 Prozent der heutigen Waldbestände sind gesamtschweizerisch aus reiner Naturverjüngung entstanden. Im Mittelland ist die Fläche mit naturverjüngten Beständen allerdings rückläufig. Das müsse aber nicht negativ sein, heisst es im LFI-Bericht. Neue Pflanzungen, die standortgerecht und resistent gegenüber dem Klimawandel sind, könnten helfen, einen stabilen Wald zu gewährleisten.