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Meinung

In eigener Sache
Warum wir über diese Fussball-WM berichten

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Es ist noch nicht lange her, da verschickte Fifa-Präsident Gianni Infantino eine Gebrauchsanweisung für seine Fussball-WM. In einem Brief an die 32 qualifizierten Verbände schrieb er: «Bei der Fifa versuchen wir, alle Meinungen und Überzeugungen zu respektieren, ohne dem Rest der Welt moralische Lektionen zu erteilen.» Er verkündete, dass in Katar jede Person unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung willkommen sei. Und weil seiner Meinung nach alles so toll ist bei der Katar-WM, schrieb Infantino auch noch: «Konzentrieren wir uns jetzt bitte auf den Fussball.»

Vier Tage nach Infantinos Brief sagte der katarische WM-Botschafter Khalid Salman in einem Beitrag des ZDF, schwul zu sein, sei ein «geistiger Schaden»

Es ist nur der jüngste Aufreger einer WM, bei der alles aus dem Ruder gelaufen ist. Die Geschichte beginnt 2010 mit einer laut Kronzeugen gekauften Wahl. Seither liefert Katar Negativschlagzeilen à discrétion. Viele tote Bauarbeiter auf WM-Baustellen; Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter, die wie Sklaven behandelt werden; Bespitzelung; Unterstützung islamistischer Gruppierungen; Verhaftung kritischer Journalisten; der Umgang mit Frauen. Oder eben: der Umgang mit Homosexualität, die in Katar verboten ist. 

Er will eine WM-Party und keine Kritik: Fifa-Präsident Gianni Infantino mit dem Emir von Katar, Sheikh Tamim bin Hamad Al Thani.

Aufgrund des mitteleuropäischen Wertesystems ist klar: Eine WM in einem Land wie Katar ist Unsinn. Sollten wir deshalb nicht über dieses Turnier berichten? Diese Frage haben wir uns auf der Redaktion gestellt. Und unsere Antwort ist klar: Wir berichten über das Weltgeschehen. Und damit auch über Unsinniges, Unerfreuliches. Über den Krieg in der Ukraine. Oder über diese WM. Und wir tun das nach unseren journalistischen Grundsätzen.  

Die Schweiz benötigte 123 Jahre, bis die Frauen das nationale Stimm- und Wahlrecht erhielten. Wir sollten nicht glauben, dass in Katar innert kürzester Zeit alles anders wird.

Wir haben die Vergabe der WM kritisiert. Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder nach Katar geschaut, weil es unsere Aufgabe ist, kritisch zu berichten. Der internationale Druck hat zu Verbesserungen geführt, die Frage ist nur, wie nachhaltig diese Verbesserungen sind. Wir sollten auf jeden Fall nicht dem Irrtum erliegen, dass im Land innert kürzester Zeit alles ganz anders wird, weil wir der Überzeugung sind, es müsste so vieles anders sein.

Die Schweiz benötigte 123 Jahre, bis die Frauen das nationale Stimm- und Wahlrecht erhielten. Und auch bei uns gibt es immer noch genug Ewiggestrige, die Homosexualität «heilen» wollen. Wandel braucht Zeit. Die knapp 300’000 Katarer, die in ihrem Land zusammen mit rund 2,5 Millionen Gastarbeitern leben, bezeichnen sich selbst als konservativ. In unserer Ablehnung ihrer WM gegenüber erkennen nicht wenige Antiarabismus und Islamfeindlichkeit. 

Katar buhlt seit einiger Zeit mit grossen Sportanlässen um Aufmerksamkeit. Federer und Tennis, Motorrad-WM, Leichtathletik-WM, Schwimm-WM, Handball-WM, Formel 1, das hat in Katar alles schon stattgefunden, aber niemanden in Rage versetzt. Die Fussball-WM hingegen schon. Wieso? 

4,5 Milliarden Dollar nimmt die Fifa im WM-Jahr ein

Weil jetzt vieles zusammenkommt, was bei uns Widerstände auslöst: Es geht nicht nur um Menschenrechte. Es geht auch um den modernen Fussball, der durchzogen ist von einer Ich-hole-mir-was-möglich-ist-Mentalität. Die Infantino-Fifa steht dabei ganz vorne in der Reihe. Im WM-Jahr nimmt sie gegen 4,5 Milliarden Dollar ein. 440 Millionen schüttet sie als Preisgeld an die 32 Teilnehmer aus. Nur: Einen Entschädigungsfonds für Gastarbeiter anzulegen, wie das unter anderem auch der Schweizerische Fussballverband verlangt, das hat die Fifa bisher nicht geschafft. Das ist erbärmlich.

Auf dem Weg zur Arbeit: Bauarbeiter vor dem Lusail-Stadion. Hier findet am 18. Dezember vor 80’000 Zuschauern der WM-Final statt. 

Wenn es ums eigene Kässeli geht, landen ethische Grundsätze schnell auf dem Abfallberg. Auch in der Schweiz. Das Handelsvolumen zwischen der Schweiz und Katar hat sich im vergangenen Jahr auf 750 Millionen Franken verdoppelt. 2021 reiste Bundesrat Ueli Maurer mit einer Delegation Schweizer Spitzenbanker nach Katar, um neue Märkte zu erschliessen. In diesem Frühjahr flog Maurer erneut, es ging um Gas- und Ölgeschäfte. Die WM-Stadien sind mit 200 Millionen Franken teuren Flugabwehrkanonen aus der Schweiz ausgerüstet. Empörte Proteste gab es für nichts.

Neun Journalistinnen und Journalisten berichten für uns aus Katar

Es gäbe Gründe, sich vom Fussball abzuwenden. Einige haben es getan. Einige tun es jetzt an dieser WM. Vielen anderen aber fällt es schwer. Weil das Spiel, das am Ursprung der Auswüchse steht, immer noch viele begeistert. Elf gegen elf. Und am Ende gewinnen die Deutschen. Oder die Brasilianer. Oder vielleicht auch einmal die Schweizer.

Zusammen mit unserer Partnerzeitung, der «Süddeutschen Zeitung», haben wir während der WM neun Journalistinnen und Journalisten in Katar. Wir werden in den nächsten Wochen oft über Fussball berichten, Geschichten erzählen und Freude transportieren. Wir werden aber auch nach links und rechts schauen und eröffnen, was ausserhalb der Stadien passiert. Wir werden genau das tun, wozu wir als Journalistinnen und Journalisten verpflichtet sind.

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