Hightech im KonzertflügelWarum Steinway auf selbstspielende Klaviere setzt
Als ob Horowitz noch einmal am Flügel sässe: Steinway lässt seine Instrumente zum Aufnahmegerät werden – aber wer kauft so was?

Thomas Hoffarth will da keine Missverständnisse aufkommen lassen. Ein Steinway-Flügel, das sei noch immer ein Steinway-Flügel, sagt der gelernte Klavierbauer, der bei dem traditionsreichen Unternehmen für das jüngste Projekt zuständig ist. Aber die Frage ist berechtigt, denn in vielen Modellen der Traditionsmarke werden nun Dinge eingebaut werden wie Wlan, eine 500-Gigabyte-Festplatte oder ein HDMI-Buchse. Was soll das?
Nun, es ist eigentlich nur das Beiwerk für eine Menge anderer Technik. Technik, die bis vor wenigen Jahren noch nicht zu den etwa 12’000 Teilen gehörte, die in einem Flügel stecken. Es geht um kleine Motoren, um Infrarot-Sensoren, um Platinen. Und natürlich geht es um viel Software – ohne sie wüssten die kleinen Motoren am Ende der Tasten im Inneren des Instruments gar nicht, was sie wie tun sollen.
Die Geschichte der selbstspielenden Flügel
Das sollen sie aber: Denn diese Flügel können von selbst spielen, und zwar exakt so, wie ein Mensch es eingespielt hat – oder sogar noch besser.
Aber gab’s das nicht schon? Klar, Anfang des 20. Jahrhunderts bereits erfanden deutsche Klavierbauer eine mechanische Apparatur, mit der sich Klavierspiel aufzeichnen und erstaunlich gut wiedergeben liess. Die Rolle der Software spielte bei den Welte-Mignon-Flügeln und Klavieren ein Lochstreifen aus Papier.
Auch der japanische Hersteller Yamaha hat selbstspielende Flügel im Programm, die sogar mit einem häuslichen Soundsystem verknüpft werden können – das Orchester aus den Lautsprechern, der Klavierpart, naja, live vom Flügel. Auch Aufnehmen ist damit möglich.
Infrarotsensoren erfassen, wie ein Pianist oder eine Pianistin welche Taste gedrückt hat.
Deshalb erfassen nicht etwa Drucksensoren, wie ein Pianist oder eine Pianistin welche Taste gedrückt hat. Das machen Infrarotsensoren. Aus den Daten, die sie über die Bewegung der Hammerstiele sammeln, errechnet ein Algorithmus, was da gespielt wurde. Oben auf der Mechanik der Flügel werden Platinen angebracht mit der dafür nötigen Elektronik.
Die Tasten selbst werden von Pins, kleinen Stiften also, bewegt. Sie drücken die Tasten motorisch gesteuert an ihrem Ende innen im Flügel nach oben. «Das ist genauso, als würde man vorne nach unten drücken», sagt Steinway-Mann Hoffarth.
1024 Tonabstufungen möglich
Das Entscheidende ist natürlich, wie gedrückt wird. 1024 Abstufungen kann das System unterscheiden, «das ist so fein, dass nicht einmal Weltklasse-Pianisten das ausnutzen können», behauptet Hoffarth. Gespeichert werden die Daten in einem Softwaresystem, das im Unternehmen selbst entwickelt wurde. Das Schwierigste dabei: die Algorithmen auszutüfteln, mit denen das Spiel erfasst und wiedergegeben wird.
«Da sassen Pianisten, Ingenieure und Softwareprogrammierer zusammen», erzählt Hoffarth, «die Programmierer verstanden anfangs gar nicht, was die Musiker von ihnen wollten und wie sie das in Software umsetzen sollten.» Mehr als 2200 sogenannte Steinway-Artists machen mittlerweile dabei mit, den Katalog an verfügbarer Musik zu erweitern. Das Unternehmen hat sogar ein Verfahren entwickelt, um aus alten Aufnahmen das Klavierspiel so zu extrahieren, dass es auf dem Selbstspielsystem wiedergegeben werden kann – und das sogar synchron zu Filmaufnahmen, falls es die gibt.
Hoffarth hat dazu eine Geschichte: 1986 gab der legendäre Pianist Vladimir Horowitz ein Konzert in seiner alten Heimat Russland. Einer Frau, die damals dabei war in der grossen Halle des Moskauer Konservatoriums, sollen die Tränen gekommen sein, als sie dem Computer-Steinway zuhörte. Genauso sei es gewesen. Ob es stimmt – sei’s drum. Es ist eine schöne Geschichte mit viel Emotion.

an einem seiner Konzerte. Er ist 1989 verstorben.
Ein Steinway-Flügel war nie billig. Das gilt erst recht für die Hightech-Varianten: rund 130’000 Franken muss man dafür anlegen, dann kann das Instrument, ein Modell O, aber nur wiedergeben. Wer auch die Aufnahmefunktion wünscht, genannt Spirio.r, muss rund 180’000 Franken in ein entsprechendes Modell investieren. Die Hälfte seines Umsatzes macht Steinway mittlerweile mit dem Spirio-Programm, 40 Prozent aller neuen Flügel sind schon damit ausgerüstet.
Und wer kauft so etwas? Hotels? Musiker? «Die überwiegende Mehrzahl geht an Privatkunden, die in was Schönes investieren», sagt Hoffarth, «das ist ein hochwertiges Gadget und Statussymbol.» Aber nicht nur, schiebt er gleich hinterher: Es sei für jeden Pianisten auch interessant, sich aufzunehmen und sich mal aus der Zuhörerperspektive zu hören. Ausreichender Kontostand vorausgesetzt. Die beliebteste Kategorie ist übrigens Pop-Musik, «wir sprechen damit komplett neue Käuferschichten an», freut sich Hoffarth.
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