Mamablog: Feministischer Akt?Warum mich der Freebirthing-Trend ärgert
Wer wirklich für die Selbstbestimmung der Frau ist, unterteilt nicht in bessere und schlechtere Arten des Gebärens, findet unsere Autorin.
Diesen Sommer stellte die Globetrotterin Josy Peukert ein Video online, das zeigt, wie sie in Nicaragua in einer Meeresbrandung ihr viertes Kind allein zur Welt bringt. Diese Art des Gebärens heisst «Freebirthing». Anders als bei der Geburt im Spital, der Hausgeburt oder der Niederkunft in einem Geburtshaus ist die Gebärende dabei auf sich selbst gestellt, höchstens eine Partnerin oder ein Freund unterstützen im Hintergrund. Auf medizinische Hilfe durch eine Ärztin oder Medikation wird dabei bewusst verzichtet.
Im Web findet Freebirthing immer grösseren Zuspruch. Unter den Hashtags #freebirth oder #alleingeburt finden sich Fotos und privat gedrehte Videos solcher Geburten, die bis zu 25 Millionen Mal angeschaut wurden. Gefilmt wird, was angeblich in der Natur jeder starken Frau liegt: gebären, ohne dabei das Gesundheitssystem zu belasten – im Wald, im eigenen Garten oder Schlafzimmer.
Die Anhängerinnen feiern das Konzept der freien Geburt als feministischen Akt, gar als Matriarchatsparty.
Unterstützung und Vorbereitung dafür gibt es unter anderem durch die sogenannte «Freebirth Society», welche die Geburt ein «heiliges Portal» und das Freebirth-Geburtserlebnis «Traumata-Heilung» nennen. Frauen können hier bereits vor der Schwangerschaft Kurse buchen: Die Schamanin kann angeblich bereits vor der Befruchtung eine Verbindung zwischen Frau* und ungeborenem Kind im Bauch herstellen. Spätestens hier wäre Skepsis angebracht. Stattdessen feiern die Anhängerinnen im Web das Konzept der freien Geburt wie auch die Vorbereitung der Frau auf die Befruchtung (hallo «Handmaid’s Tale») als feministischen Akt, gar als Matriarchatsparty: Weil Frau durch die Schwangerschaften und das Geburtserlebnis in der Natur ihre ursprüngliche und natürliche Macht zurückerhalte, selbstbestimmt handle und getragen sei von einer Gemeinschaft anderer Frauen.
Gebärmaschinen im Kreisssaal
Zugegeben, die Vorstellung, Kinder an den schönsten Plätzen der Welt mit ein bisschen Esoterik da und ein bisschen «Sisterhood» dort zu gebären, klingt auch für mich erst einmal verlockend. Verständnis habe ich vor allem unter dem Aspekt, dass in den USA – wo die Bewegung ihren Ursprung hat – wie auch in anderen Ländern wie zum Beispiel Grossbritannien grosse Missstände im Gesundheitssystem herrschen.
In der Schweiz gibt es ebenfalls nachvollziehbare Gründe, um auf Alternativen auszuweichen: Viele Frauen erleben unter der Geburt im Spital ärztliche Gewalt und sind Übergriffen oder Stress ausgesetzt – unter anderem aus ökonomischen Gründen. Oder wie «Das Magazin» kürzlich aus einer Reportage zitierte: «Im Kreisssaal werden Frauen oft zu Gebärmaschinen, auf die keine Rücksicht genommen werden muss. Die Logik: Hauptsache, das Kind kommt raus – sonst rechnet es sich nicht.»
Verantwortungslos und überheblich
Dieser Frauen-zurück-zur-Natur-Trend stösst mir dennoch sauer auf. Erstens frage ich mich: Ist es nicht paradox, dass weltweit noch immer sehr viele Frauen keine medizinische Versorgung haben und diejenigen, die sie in Anspruch nehmen könnten, sich dagegen wehren? Ich bin unbedingt für eine selbstbestimmte Geburt und möglichst wenige medizinische Eingriffe. Und jede Frau soll, wann immer möglich, frei wählen, wie sie gebären will. Die Niederkunft aber als ungefährlich darzustellen, gar als etwas, was «starke» Frauen allein bewältigen sollen, finde ich verantwortungslos und überheblich.
Viele Frauen haben nämlich keine Wahl und brauchen medizinische Hilfe. Etwa bei einer Schwangerschaftsvergiftung, bei der oft ein Notkaiserschnitt nötig wird, bei Erschöpfung unter der Geburt oder gesundheitlichen Problemen des Kindes. Die Geburtsmedizin ist für diese Frauen vor allem eines: eine Errungenschaft. Eine, die vielen Frauen auf der Welt noch immer fehlt.
Alle elf Sekunden wird eine Geburt zur Familientragödie
Die Vereinten Nationen schätzten im Jahr 2019 nämlich, dass weltweit jeden Tag 800 Frauen durch Komplikationen während der Schwangerschaft oder bei der Geburt sterben. Ein noch viel höheres Risiko tragen die Neugeborenen: 7000 Babys starben im Jahr 2018 täglich, noch bevor sie einen Monat alt wurden. Die Zeit vor und nach einer Geburt ist dabei für Mütter und ihre Babys besonders gefährlich. Auf der Website von Unicef sagt die Exekutivdirektorin Henrietta Fore dazu in einem Interview: «Auf der ganzen Welt sind Geburten ein freudiger Anlass, doch alle elf Sekunden ist eine Geburt eine Familientragödie.» Sie fordert einen flächendeckenden Zugang zu medizinischer Versorgung für alle Frauen auf der Welt, um die Sterblichkeit zu verringern.
Frauensolidarität wird zwar gepredigt, aber nur in den eigenen Reihen.
Und zweitens? Schon länger gibt es im Feminismus Gruppierungen, die Frauen dazu aufrufen, ihre «Ur-Kraft» zu mobilisieren und zurück zu «ihrer Natur» zu finden – «die Freebirth-Society» ist nur eine davon. Die sogenannten «Tradwives» sehen sich ebenfalls als Feministinnen, wenn nicht gar als die einzig wahren. Abgeleitet von «traditional wife», feiern sie online ihr Hausfrauenleben, ganz im Stile der 1950er-Jahre. Dabei betonen sie den Kampf gegen vorherrschende gesellschaftliche Zwänge und für mehr Freiheit und die Familie. Die T-Shirts der Freebirth-Bewegung, auf denen «Home Birth Mama», «Club Mama» oder «Birth in Power – Heal the Word» gedruckt steht, könnten also genau so gut von den Tradewives stammen.
Wölfe im Schafspelz
Die beiden Bewegungen sind für mich aber nichts anderes als Wölfe im Schafspelz, sprich: Antifeminismus im Kleid des Feminismus. Schlagworte wie Freiheit, Selbstbestimmung, Familie und Natur bedeuten dabei nichts anderes, als dass Frauen der Reproduktion dienen sollen: gebären und umsorgen. Frauensolidarität wird zwar gepredigt, aber nur in den eigenen Reihen. Diejenigen Frauen, die sich für die Berufstätigkeit (gegen die Ideologie der Tradwives), Schoppennahrung oder einen Kaiserschnitt (gegen die Ideologie der Freebirthing-Moms) entscheiden, werden von diesen Bewegungen nicht unterstützt. Sondern sie werden von den Anhängerinnen als die schlechteren und schwächeren Frauen und Mütter dargestellt. Dass die meisten der Tradwives für ein Abtreibungsverbot und gegen die Corona-Impfung sind, überrascht dabei kaum.
Doch wer wirklich für die Selbstbestimmung der Frau ist, unterteilt nicht in bessere und schlechtere Geburten (Freebirthing) oder Ehefrauen (Tradwives), sondern bezieht alle Optionen, Wünsche und Lebenswelten der Frauen mit ein. Und feiert also genauso eine Kaiserschnitt- wie eine Alleingeburt – und Hausfrauen, Karrieremütter und auch Frauen, die sich gegen eine Schwangerschaft entscheiden. Dabei sollen Frauen sowohl stark wie manchmal auch schwach sein. Und Hilfe annehmen dürfen, wenn sie diese brauchen.
*Frau wird in diesem Text als Synonym für FINTA verwendet. Das ist eine Abkürzung für Frauen, Inter Menschen, Nichtbinäre Menschen, Trans Menschen und Agender Menschen.
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