Kolumne Fast verliebtWarum man auch in Freundschaften Liebeskummer haben kann
Wir waren uns immer sehr nah, jetzt sind wir es plötzlich nicht mehr: Von der Melancholie des Loslassens.
Ich kann Ihnen nicht einmal genau sagen, wie es passiert ist. Oder wann eigentlich. Manchmal – beim Wäschezusammenlegen, beim Auf-den-Bus-Warten, beim Verharren auf einer langweiligen Party – da erwische ich mich dabei, wie ich mich in Ahnungen ergehe. Wie ich zu viel über sie nachdenke.
Ich gehe wieder und wieder zurück zu dem einen, vielleicht unsensiblen Satz, den ich sagte, als sie aus meiner Sicht zu irrational über ihr Körpergewicht jammerte. Oder ich gehe zurück zu dem anderen Satz, den ich gegen eine Autorin äusserte, die sie toll findet und ich albern. Ich suche die Schuld bei mir, lege meine Worte auf die Goldwaage, selbst die verjährten.
Aber in einem Meer aus jahrelanger Unterstützung, aus gefühlter Seelenverwandtschaft, ehrlichem Mitfreuen und Füreinander-da-Sein – soll es an zwei verrutschten Sätzen liegen, dass wir uns heute nicht mehr so nah sind?
Eine enge Freundschaft verrutscht – und tut plötzlich weh.
Die Rede ist von einer meiner engsten Freundinnen. Zumindest war sie das. Früher sahen wir uns wöchentlich, manchmal zwei, drei Tage in Folge. Ich wusste von dem fantastischen Lied, das sie vor zwei Stunden entdeckt hatte. Oder warum sie heute um 11 Uhr stinkig war auf der Arbeit. Sie schrieb es mir auf Whatsapp, sie erzählte es über einer Schüssel Ramen, wenn wir uns trafen und es sich anfühlte wie immer: nach Sonnenschein und Glace, einer festen Umarmung, einem Lieblingslied im Radio.
Und dann, irgendwann, einfach so: fühlte es sich nicht mehr so an.
Heute sehen wir uns nur noch alle paar Monate. Dann weiss ich nicht einmal, wer die letzten zwei Typen waren, die sie geknutscht hat.
Vielleicht kennen Sie diese Art von Liebeskummer: Eine enge Freundschaft verrutscht – und tut plötzlich weh.
Die meisten meiner Freundinnen und Freunde haben das schon erlebt. Da ist der Kollege, der ein Kind bekommt und sich praktisch drei Jahre in Folge nicht meldet. Da ist die Frau, die schwanger wird. Und ihre enge Freundin, die dasselbe schon zu lange versucht und sich nicht mitfreuen kann. Da ist die Frau, die mit jeder Freundin früher oder später den Urkonflikt wiederaufführt, den sie mit ihrer Mutter hatte – und der alle Freundschaften im Drama enden lässt.
Das Schöne an Freundschaften ist ja, dass man nicht Schluss machen muss.
Und dann gibt es Freundschaften wie meine: Man weiss nicht genau, woran es liegt. Aber es hat schon mal besser gepasst.
Mir fällt es in Freundschaften oft schwerer als in Partnerschaften, einen Konflikt auszutragen. Dafür gibt es mehr Freundschaften, die vom Sandkasten bis ins Grab halten – und die die merkwürdigsten, unausgesprochenen Konflikte überdauern. Das Schöne an Freundschaften ist ja, dass man nicht Schluss machen muss. Man kann auch einfach loslassen, wenn der andere sich nicht zurückzerren lässt. Man kann abwarten, in freundlicher Halbdistanz verbleiben. Und wer weiss, eines Tages, einfach so: passt es vielleicht wieder besser.
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