MamablogWarum die Reise ans Meer zur Selbsttherapie wurde
Allein mit drei Kindern zwölf Stunden ans Meer fahren? Unsere Autorin hat es gewagt – ohne Beifahrer, dafür mit reichlich Selbstzweifel an Bord. Warum dieser Trip nicht nur ein Abenteuer, sondern auch eine Therapie war.
Allein mit den Kids zu verreisen, ist an sich keine Riesensache. Vielleicht hätte ich es gemütlicher angehen können – ein paar Tage in die Berge oder ins Tessin. Stattdessen fuhr ich zwölf Stunden an die Westküste Frankreichs. Da wollte ich schon immer hin, und dieses Jahr beschloss ich, dass das Leben zu kurz ist und ich zu alt bin, um es nicht jetzt zu tun. Ich hatte zwar Bammel, aber es war die beste Entscheidung seit langem.
Das bessere Los
Nach wenigen Stunden im Auto fragte ich mich, warum wir so dumm sind und uns beim Fahren nicht öfter abwechseln. Wenn wir zusammen unterwegs sind, sitze ich in 90 Prozent der Fälle auf dem Beifahrersitz. Dabei fahre ich gern und gut. Es passiert einfach so: Wer in der Grossfamilie am Steuer sitzt, hat das bessere Los gezogen. Man wird bedient, darf sich aus allem raushalten, jede Frage mit «kann nicht, muss fahren» abschmettern – und alle haben Verständnis. Die Person auf der anderen Seite muss Streit schlichten, Fragen beantworten, Öpfelbütschgi aufheben, welche es knapp nicht aus dem Fenster geschafft haben, Snacks verteilen, Güsel aufheben und sich anschnauzen lassen. Nie kann sie sagen: «Kann nicht, muss aus dem Fenster schauen» oder «kann nicht, muss schlafen».
Fahren war so geil. Zwar fehlte der Co-Pilot, aber die Kinder wussten sich und einander ganz gut selbst zu helfen. Es war fast unheimlich, wie hilfsbereit und vernünftig sie die ganze Reise über waren. Ich rief sofort beim SPZ an, um alle Abklärungen wieder abzusagen, als ich merkte, dass sie sich ja doch benehmen können. (Achtung an alle, die schon gleich in die Kommentartasten hauen: Das war ein Scherz.)
Erkenntnisse auf vier Rädern
Die grösste Sorge meines Gatten war, dass ich am Steuer einschlafe. Mich stresste die Vorstellung, dass an der Zahlstation etwas schiefgeht, ich den Verkehr aufhalte oder in einer fremden Stadt mitten auf der Kreuzung dumm herumstehe. Ich habe mehr Angst davor, aufzufallen, blöd dazustehen und andere zu verärgern, als selbst Schaden zu nehmen. Ich brauche ein Mentalcoaching, um bei der SVA oder Krankenkasse wegen etwas anzurufen, bei dem ich im Recht bin. Ich traue mich nicht, einem nervigen Call-Agenten aufzulegen, weil er wütend oder gekränkt sein könnte. Den Abfall beim Verlassen der Airbnb zu vergessen und eine schlechte Bewertung zu riskieren, macht mir mehr Angst, als ausgeraubt oder übers Ohr gehauen zu werden. Diese Ferien waren meine Therapie. Als ich unter dem kritischen Blick eines Vermieters rückwärts in die Garage einparken musste, in die mein Auto reinpasste wie eine Banane in die Bananen-Tupperbox, bot er mir an, es zu erledigen. Mutig lehnte ich ab – und brillierte.
Der Heimweg zog sich dank veraltetem Navi etwas hin, was den schönen Nebeneffekt hatte, dass ich ein ganzes Hörbuch durchschnurzte. Aus Verkehrssicherheitsgründen nahm ich das Erstbeste: «Am Arsch vorbei geht auch ein Weg» von Alexandra Reinwarth. Das Cover verheisst nichts Gescheites, aber es war der krönende Abschluss meines Trips. Es geht darum, aufzuhören, es allen recht machen zu wollen, und stattdessen zu leben, wie wir es gern würden. Ohne uns zu entschuldigen. Bam. Aufhören, Gefallen zu tun, um zu gefallen. Keine Zeit mehr in Dinge und Menschen investieren, die uns langweilen oder auslaugen. Den Mut haben, andere liebevoll vor den Kopf zu stossen: «Nee, ich hab absolut keine Lust. Aber hab dich trotzdem lieb.» Das zu lernen, ist wie allein nach Biarritz zu fahren: Ein weiter Weg, aber machbar.
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