Mamablog: Umgang mit GeschwisterstreitWarum Beruhigungsfloskeln schaden
Oft wollen wir bei zankenden Kindern den Streit mit Sprüchen wie «Seid lieb miteinander» möglichst schnell beenden. Damit tun wir den Kindern jedoch keinen Gefallen.
Vor kurzem bin ich fast ausgetickt. Ich ärgerte mich sehr über eine Mail von einer Arbeitskollegin und liess es auch raus. Meine Freundin war zufällig dabei und hat sehr cool reagiert:
«Boah, du bist gerade richtig sauer, oder?»
«Ja, total!» antwortete ich.
Freundin: «Du findest das, was sie geschrieben hat, gerade total daneben, richtig?»
Ich: «Genau! Es ist zu viel gerade.»
Freundin: «Magst du erzählen, was passiert ist?»
Ich erzählte ihr die Story und sie meinte dann: «Wow, erst jetzt verstehe ich, wie hart diese Situation für dich sein muss.» Ich war erstaunt: «Ja, aber weisst du was? Nach unserem Gespräch geht es mir schon viel besser!»
Und jetzt stellen Sie sich vor, sie hätte so reagiert: «Nichts passiert Ellen, alles wieder gut!» oder «Seid doch einfach lieb zueinander». Oder, ganz schlimm: «Mach nicht immer so ein Theater!» Ich glaube, dann wäre ich so richtig explodiert oder hätte zu weinen begonnen. Womöglich beides. Auf jeden Fall würde es mir dann viel schlechter gehen. Genau so geht es unseren Kindern hin und wieder.
Schlechte Gefühle raus, gute rein
Die oben erwähnte Story ist fiktiv. Den Trick «Gefühle spiegeln» habe ich aus dem Beststeller «Siblings Without Rivalry» von Adele Faber und Elaine Mazlish – zwei Expertinnen für Eltern-Kind-Kommunikation. Und er hatte einen erstaunlichen Effekt auf unser Familienleben. Die Hauptthese der Autorinnen lautet: «Wenn wir mit Druck auf positive Gefühle zwischen Geschwistern bestehen (Seid lieb miteinander!), erzeugen wir negative Gefühle. Wenn wir aber negative Gefühle zwischen den Kindern erlauben (Du bist jetzt so richtig sauer, was?) und uns Zeit nehmen, diese Gefühle zu verstehen, erzeugen wir positive Gefühle.» Schlechte Gefühle raus, gute rein also. Richtig Klick machte es bei mir aber erst, als ich mich selbst zu Hause mit den Kindern beobachtete:
Die Grosse ärgert sich, weil die Jüngste zu ihr «Du Doofe!» ruft. Ich quittiere das Ganze mit: «Ignorier sie doch einfach!» beziehungsweise «Sowas sagt man nicht!»
Die Kleine beklagt sich, weil die Grosse ihr ein Spielzeug wegnimmt und ich so: «Hol dir einfach ein anderes Spielzeug!» beziehungsweise «Sei nicht so gemein zu deiner Schwester!»
Sie erkennen, ich nehme die Gefühle meiner Kinder nicht wirklich ernst. Anstatt ihnen zu helfen, sie rauszulassen, möchte ich einfach meine Ruhe und möglichst schnell keinen Streit mehr haben. Hand aufs Herz, machen Sie das auch? Nur manchmal? Oder leider viel zu oft?
Sie sind nicht allein. Eine Erklärung für unser Verhalten liefert Marshall B. Rosenberg in seinem Klassiker «Gewaltfreie Kommunikation». Er schreibt dazu: «Die meisten von uns sind mit einer Sprache aufgewachsen, die uns ermuntert, andere in Schubladen zu stecken, zu vergleichen, zu fordern und Urteile auszusprechen, statt wahrzunehmen, was wir fühlen und was wir brauchen.»
Wir sind also in einer Zeit aufgewachsen, die nicht viel von Gefühlen hielt, ergo konnten wir keinen guten Umgang mit ihnen lernen, ergo können wir diese Fähigkeit auch unseren Kindern nicht vorleben.
Einige gute Empathie-Sätze
Falls Sie sich fragen, wie sie diese transgenerationalen Muster durchbrechen, kommen hier ein paar Beispiele:
Negative Gefühle annehmen: «Ich sehe da zwei Kinder, die sich ganz doll streiten» oder «Ja, so eine Bemerkung kann einen aufregen».
Negative Gefühle ausdrücken lernen: «Statt deiner Schwester ihr Spielzeug wegzunehmen, lass uns doch versuchen, deinen Zorn in Worte zu fassen.» Oder: «Statt deinen Bruder mit ‹du Doofe› zu beschimpfen, schrei mal so richtig laut: ‹Ich bin sooo WÜTEND!›»
Wünsche in der Fantasie erfüllen: «Du wünschst dir manchmal, dass das Baby gar nicht hier wäre und wir mehr Zeit hätten?» Oder: «Das hat dich verletzt, du wünschst dir, dein Bruder würde dir das Spielzeug nicht wegnehmen, richtig?»
Über die Bedürfnisse reden lernen: «Komm, lass uns kurz ein- und ausatmen und überlegen, was du gerade wirklich brauchst.» Oder: «Du magst nicht, dass ich so viel Zeit mit dem Baby verbringe. Magst du mal überlegen, was dir guttun würde?»
Wichtig dabei: Das sind alles sogenannte Einladungen ans Kind. Sehr wahrscheinlich wird Ihr Kind diese Vorschläge nicht sofort umsetzen können, also bitte nicht enttäuscht sein. Achtsame Kommunikation braucht – wie viele grossartigen Dinge – viel Nachsicht, Zeit und Geduld. Und es sind auch Einladungen an Sie. Zu Beginn werden sich solche Empathie-Sätze vielleicht ungewohnt oder komisch anfühlen, auch das ist voll okay. Sagen Sie trotzdem bitte nicht mehr «Seid lieb miteinander!» oder «Das war doch gar nicht so schlimm». Damit lernen Kinder höchstens, dass mit ihren Gefühlen etwas nicht stimmt oder dass es das Wichtigste im Leben ist, sich anpassen zu müssen. Und die gute Nachricht: Je mehr Sie sich darin üben, desto leichter kommen Worte der Empathie über Ihre Lippen.
Das Ganze hat – wie so oft in der Erziehung – einen tollen Nebeneffekt: Achtsame Kommunikation funktioniert nämlich genauso gut mit Erwachsenen oder im Selbstgespräch mit sich selbst. Schlechte Gefühle raus, gute rein – probieren Sie es aus.
Dieser Text erschien zuerst auf dem Blog unserer Autorin: chezmamapoule.com
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