Ticker zum BundesratsentscheidBersets Appell: «Wir müssen noch vier Wochen warten»
Nur eine Massnahme nimmt der Bundesrat zurück. Dafür zeigt er, ab wann ein neuer Shutdown droht. Die Medienkonferenz im Überblick.
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Das Wichtigste in Kürze
Ab Montag, 22. März, sind im Innern wieder private Treffen mit zehn statt wie bisher fünf Personen möglich.
Das ist die einzige Lockerung, die der Bundesrat am Freitag bekannt gibt.
Am 14. April will der Bundesrat darüber entscheiden, ob der vergangene Woche skizzierte Öffnungsschritt danach in Kraft treten kann.
Mit einem Verweis auf eine dritte Corona-Welle bereitet sich die Regierung mit neuen Richtwerten auch auf erneute Schliessungen vor.
Berset warnt, neue Virus-Varianten könnten bis 50 Prozent tödlicher sein.
«Testen Sie sich unbedingt vor einem Familientreffen», ruft Berset die Bevölkerung hinsichtlich der Ostern auf.
Fragen und Antworten zum heutigen Schritt gibt es hier – wie streng ist die Schweiz noch?
Zusammenfassung
Der Bundesrat hat den Forderungen nach grossen Lockerungen der Corona-Massnahmen nicht nachgegeben. Immerhin hat der Bundesrat noch vor den Ostertagen entschieden, dass sich drinnen wieder zehn statt nur fünf Personen treffen dürfen. Davor solle man sich unbedingt testen lassen, rät Gesundheitsminister Alain Berset.
«Wenn man sich treffen will, soll man vorher unbedingt noch kurz in die Apotheke zum Antigen-Test», sagte Berset, der Test sei gratis und verfügbar. Die Aufforderung zum Testen wiederholte Berset in der Medienkonferenz des Bundesrats am Freitag in Bern mehrfach. Zudem solle man aufpassen und die Treffen auf wenige Haushalte beschränken.
Die Erhöhung der erlaubten Personenzahl im Freundes- und Familienkreis ist das einzige Zückerchen, das der Bundesrat der Bevölkerung am Freitag gab. Auf alle anderen zur Diskussion gestellten Lockerungsschritte verzichtete die Regierung vorerst. «Ein anderer Entscheid wäre in der jetzigen Lage nicht gerechtfertigt», sagte der Gesundheitsminister.
Berset ist selbst «corona-müde»
Berset bat die Bevölkerung daher erneut darum, Geduld zu haben – und gab zu: «Ich kann auch nicht mehr leben damit, aber ich muss zusammen mit dem Bundesrat versuchen, etwas damit zu tun.» Die Krise solle nicht verlängert werden. «Wir haben zwei Mal die Kontrolle verloren, im März und Oktober 2020, wir wollen das nicht ein drittes Mal erleben.»
Die nächsten Lockerungsschritte sollen laut dem Bundesrat daher erst erfolgen, «wenn alle Risikogruppen geimpft sind». Das sei noch nicht der Fall. Gleichzeitig verschlechtere sich die epidemiologische Situation. Drei der vier Richtwerte, an denen sich der Bundesrat orientiert, werden seit mehreren Tagen nicht erfüllt.
So will der Bundesrat am 14. April darüber entscheiden, ob der vergangene Woche skizzierte zweite Öffnungsschritt danach in Kraft treten kann. Dieser sieht unter anderem die Öffnung der Restaurantterrassen, Sport in Innenräumen und Kultur- und Sportveranstaltungen mit wenig Publikum vor.
Druck von Politik, Parlament und Wirtschaft
Diese Lockerungen entsprechen den Forderungen eines Grossteils der Kantone und der Wirtschaftsverbände. Auch das Parlament hatte in der Frühjahrssession verschiedentlich Druck auf den Bundesrat ausgeübt, den Betrieben und Betroffenen mehr Perspektiven zu bieten. «Der Bundesrat hat diese Stellungnahmen diskutiert, ebenso die Erklärung des Nationalrats, die weitergehende Öffnungen verlangt», hiess es seitens der Regierung.
Er gab dem Druck jedoch nicht nach. Der Entscheid des Bundesrats kommentierte Berset als «schwierig». Der Bundesrat übernehme aber seine Verantwortung und müsse immer ein Gleichgewicht finden. «Wir haben vier Monate gebraucht, um auf das heutige Niveau zu kommen.» Diese Anstrengungen dürfe man nun nicht aufs Spiel setzen.
«Wir wollen öffnen, so rasch es möglich ist, ohne die Kontrolle zu verlieren. Wir wollen uns eine stabile Situation sichern», fasste Berset zusammen. Es sei selbstverständlich klar, dass der Entscheid vom Freitag revidiert würde, wenn sich die Situation verbessern sollte, «was wir alle hoffen». Leider sehe es derzeit anders aus.
Immerhin sei die Schweiz nicht auf derselben Spur wie die Nachbarländer, wo die Massnahmen wieder verschärft würden. Das solle in der Schweiz verhindert werden. «Wir hoffen schwer, dass wir so die Situation im Griff behalten können in der nächsten Zeit», sagte Berset.
Richtwerte für erneuten Shutdown
Der Bundesrat plant jedoch nicht nur mögliche Öffnungen, sondern bereitet sich auch auf den Fall vor, dass die epidemiologische Lage erneute Schliessungen erfordern würde. Dafür definierte er neue Richtwerte. So lange noch nicht alle Personen aus Risikogruppen geimpft sind, wären laut der Regierung strengere Richtwerte nötig. Wenn alle Personen aus Risikogruppen geimpft sind, könnten weniger strenge Richtwerte akzeptiert werden.
Wenn alle impfwilligen Personen geimpft sind – womit der Bundesrat immer noch im Juni rechnet -, dürften gemäss Einschätzung des Bundesrats keine Schliessungsmassnahmen und auch keine Richtwerte mehr nötig sein. Es gebe einfach einen Teil der Bevölkerung, der sich nicht impfen lassen wolle, sagte Berset. Das sei dann eine persönliche Wahl und in der Eigenverantwortung jedes Einzelnen. Dann sei es schwierig, einschneidende Massnahmen zu rechtfertigen, sagte der Gesundheitsminister.
Ende der Medienkonferenz
Nach diesen Erklärungen, die zumindest eine erfreuliche Perspektive auf ein Leben ohne Massnahmen im Sommer geben, endet die Medienkonferenz in Bern.
Ergänzung Phasenmodell
Patrick Mathys erklärt nochmals das Phasenmodell. Die erste Phase mit den Impfungen der Ältesten läuft. In der nächsten Phase werden alle impfwilligen Risikopersonen geimpft. Wenn diese speziell Gefährdeten immunisiert seien, dann sollte es zu einer Entkoppelung von Fallzahlen und Spitaleinweisungen kommen, sprich weniger Hospitalisationen bei gleich hohen täglichen Zahlen.
Die 14-Tages-Inzidenz müsse dann nur noch unter 350 sein (aktueller Richtwert: 164, aktuelle Inzidenz: 206), die Belegung der Intensivstationen unter 300 (aktueller Richtwert: 250, aktueller Wert: 154) und der R-Wert unter 1,15, was einer Verdoppelung der Fallzahlen in vier Wochen bedeutet (aktueller Richtwert: unter 1, aktueller R-Wert: 1,14). Auch der Schnitt der Spitaleinweisungen soll ein Richtwert werden, dieser soll dann pro Tag kleiner als 80 sein. Dies sind also die neuen Richtwerte für die nächste, die zweite Impfphase, die im April beginnen sollte. Derzeit läuft aber immer noch die erste Phase.
In der dritten Phase gibt es dann keine Richtwerte mehr, dann werden alle geimpft, die das wollen und dann brauche es keine Massnahmen mehr, also auch keine Richtwerte, erklärt Mathys nochmals.
Umfrage
Zuckerbrot und Peitsche
Alle hätten sich gewünscht, dass sich die Situation verbessere und nicht wieder verschlechtere, sagt Berset. Auch er habe genug von der Pandemie, er wolle nicht mehr, aber er müsse mit dem Bundesrat trotzdem schauen, um den besten Weg für die Schweiz zu finden.
Und es sei einfach so, dass man mit den Impfungen noch nicht soweit sei, wie man jetzt sein müsste mit steigenden Zahlen. Es sei nicht angenehm, hier hinzustehen und zu sagen, wie es aussieht.
Keine Massnahmen mehr nach Impfungen
Selbst wenn die Impfbereitschaft nur bei 50 Prozent läge, dann sei das immer noch die Eigenverantwortung und dann könne man einschneidende Massnahmen nicht mehr aufrecht erhalten, bestätigt Berset.
Also egal wie viele Menschen sich impfen lassen wollen: sobald alle, die wollen, sich impfen lassen können, dann sei es nicht mehr zu rechtfertigen, Einschränkungen aufrecht zu erhalten.
Feiern im Juli?
Bis Ende Juni sollen alle Impfwilligen geimpft sein, der Bund hält an diesem Ziel fest. Können wir also für den Juli Festivaltickets kaufen?
Berset erklärt, wenn die Impfbereitschaft tief ist, dann sei man schon vor Ende Juni an diesem Ziel, wenn aber plötzlich viel mehr impfen wollen, dann gehe es dann doch länger. Man habe eine gute Situation mit guten Impfstoffen und erwarte viel Nachschub im Frühling.
Stimmung in der Bevölkerung auf Tiefpunkt
Die Situation ist eine Belastung für alle, sagt Alain Berset. Die Krise sei schwierig, man habe bisher weniger strenge Massnahmen als in umliegenden Ländern, auch weil die Leute sehr gut mitgemacht haben.
Jetzt braucht es noch den letzten Schritt über die nächsten Wochen, bis es mit den Impfungen besser aussieht. Bald kommt der Frühling, dann ist im privaten Bereich draussen mehr möglich. Und man habe nun wieder Familientreffen ermöglicht, das sei ein wichtiges, positives Zeichen für die Bevölkerung.
Einfluss des Covid-Gesetzes?
Der Satz aus dem Covid-Gesetz, dass der Bundesrat so rasch wie möglich öffnen solle, damit es möglichst wenig wirtschaftliche Konsequenzen gebe, sieht Berset mit der Handlungsweise des Bundesrats erfüllt.
Man schaffe sich nun eine Situation, um die Kontrolle nicht zu verlieren und möglichst rasch möglichst alles öffnen zu können, genau darum gehe es jetzt. Zweimal habe man die Kontrolle verloren, zweimal musste man monatelang in den Lockdown, um die Zahlen in den Griff zu kriegen. Nun wolle man die Kontrolle nicht mehr verlieren.
Besteht die Schweiz den Marshmallow-Test?
Ein Kind erhält ein Marshmallow. Wenn es 15 Minuten wartet, ohne die Süssigkeit zu essen, erhält es ein zweites, so der bekannte Test. Besteht die Schweiz den Test, ist nun die Frage des Journalisten.
Berset lacht und fordert eine Präzisierung der Frage, es gebe viele Möglichkeiten. Der Journalist präzisiert, das erste Marshmallow wären die Terrassen, das zweite die Restaurant-Innenbereiche.
Berset will sich nicht zu fest in philosophische Diskussionen einlassen, dafür habe man zu wenig Zeit. Aber ja, das grössere Bild zu sehen, sei schon richtig. Wenn man jetzt geduldig und vorsichtig sei, habe man tendenziell in einem Monat die bessere Situation und könne in einem Monat wohl mehr lockern. Wenn es dadurch Stabilität gebe. Aber wenn man nun abwarte und dann explodieren die Zahlen trotzdem, einfach etwas weniger, dann sei die Situation dann halt trotzdem immer noch nicht optimal.
Investition in medizinische Güter?
Was gibt uns den bestmöglichen Zugang zur bestmöglichen Qualität? Das sei die wichtige Frage, sagt Berset.
Der Bund musste letztes Jahr herausfinden, welche der 120 Impfstoffe sicher, wirksam und schnell verfügbar seien.
Man habe dabei eigentlich gut gehandelt, sagt Berset, man habe Biontech, Moderna und AstraZeneca bestellt und damit auf die richtigen Impfstoffe gesetzt.
Einfach schnell testen vor Familientreffen, geht das?
Die Nachfrage folgt prompt: Ist das wirklich schon möglich, was Alain Berset da propagiert, sich vor jedem Treffen mit Freunden und Familien noch rasch in der Apotheke testen zu lassen?
Berset gibt zu, er sei da wohl noch ein bisschen zu optimistisch. Wenn eine solche riesige logistische Übung losgehe, dann gebe es immer mal Engpässe. Die Tests stehen wohl noch nicht überall zur Verfügung. Das sei eine Entwicklung der Pandemie.
Patrick Mathys ergänzt, dass genügend Tests vorhanden sein sollten. In der Verteilung gebe es wohl jetzt noch Probleme, vielleicht wurden zu wenig bestellt oder die Nachfrage war viel grösser als erwartet, aber das werde sich einpendeln.
Keine Tests in Apotheken?
In Basel sagen Apotheker, dass die Leute Schlange stehen, aber zu wenig Tests vorhanden seien. Patrick Mathys sagt, das sei nicht wünschenswert, aber er glaube nicht an ein systemisches Problem.
Wie sieht es um die Impfstoffe aus?
Bei AstraZeneca warte man noch auf den Zulassungsentscheid, erklärt Nora Kronig vom BAG. Auch bezüglich Lieferungen warte man noch auf den Zulassungsentscheid.
Sobald dieser da sei, werden die Impfstoffe kommen. Man sei in Gesprächen, um zu schauen, wie man die jetzt verpassten Lieferungen nachholen könne.
Lesen Sie auch: Zulassung von Johnson-&-Johnson-Impfstoff schon nächste Woche
Zusammenarbeit mit Kantonen gefährdet?
Die Kantone reagieren enttäuscht auf die verschobene Öffnung (siehe Eintrag vor 6 Minuten). Bundesrat Berset wiederholt, dass letzte Woche die Situation noch etwas besser aussah, als heute.
Die Entwicklung sei ziemlich stark, die Zunahme des Mittelwerts sei über 20 Prozent. Wenn man das weiterrechne, dann führe das in eine Situation, wo man die Kontrolle verliere. Das müsse man verhindern. Die Verantwortung für die Entscheide trage letztlich der Bundesrat. Man versuche alle zu integrieren.
Wie steht es um die Selbsttests?
Patrick Mathys erklärt, man sei noch nicht am Ziel, dass 40 Prozent der mobilen Bevölkerung getestet werden. Daran arbeite man mit den Kantonen, Firmen und Schulen. Die Selbsttests sollten anfangs April zur Verfügung stehen, um sich zu Hause testen zu können.
Terrassen für die Volksseele öffnen?
Der Bundesrat versuche kohärent zu handeln. Viel kohärenter sei es, einfach alles zu schliessen. Wenn man differenziert öffne, dann gebe es auch mehr Spielraum für Öffnungen, das sei ihm bewusst. Nun verschiebe man den nächsten Schritt bis nach Ostern, aber man lockere die 5er-Regel, die ein massiver Eingriff in die Grundrechte war.
Trotzdem warte man nun leider nochmals 4 Wochen mit den Aussenbereichen der Restaurants, aber man habe die Möglichkeit, sich privat zu treffen.
Berset wiederholt, es sei wichtig, dass man nicht wieder schliessen müsse, dass man die Lage im Griff halten könne. Es sei ein kleiner Schritt, aber der sei nicht zu unterschätzen, man müsse achtsam sein, sich testen lassen.
Kantone enttäuscht
Die Kantone reagieren unzufrieden auf die Mini-Öffnung für Familien und den Appell des Bundesrates an die Geduld. Für die Mehrheit der Kantone sei es enttäuschend, dass der Bundesrat die meisten vorgeschlagenen Öffnungsschritte vertagt habe, teilten die Gesundheitsdirektoren mit.
In der Tendenz wünschten sich die Kantone weitere Lockerungen, schreibt die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) am Freitag in einer Mitteilung. Insbesondere im Bildungsbereich hätten sie mehr erwartet. Die Kantone hatten sich in der Konsultation klar für eine von Schutzmassnahmen begleitete Rückkehr zum Präsenzunterricht an den Hochschulen ausgesprochen.
Auch die vom Bundesrat vorgeschlagene Öffnung der Restaurantterrassen hätten die Kantone einstimmig unterstützt. Die Hälfte der Kantone habe sogar die Öffnung der Innenbereiche gefordert.
GDK-Präsident Lukas Engelberger lässt sich in der Mitteilung wie folgt zitieren: «Wir bedauern, dass der Bundesrat nun deutlich vorsichtiger öffnet, als von vielen Kantonen gefordert. Letztlich ist es aber auch die Landesregierung, die in der gegenwärtigen Situation mit landesweit einheitlichen Massnahmen die Verantwortung trägt.»
(SDA)
Einfluss der Kantone und des Parlaments?
Die Kantone und das Parlament wurden berücksichtigt, sagt Berset. Der Bundesrat wolle das Gleiche wie die Kantone und das Parlament: So rasch und so viel wie möglich öffnen. Aber die Frage sei einfach, wann das geschehe.
Momentan sehe die Lage nicht gut aus, alle Nachbarländer verschärfen jetzt, es gibt Ausgangssperren. Das versucht die Schweiz zu verhindern. Man sei sich einig über den Weg, es gehe nur darum, wann die Lockerungen geschehen, vor oder nach Ostern, das sei die Differenz.
Teststrategie versagt?
Nein, sagt Berset, aber die Testoffensive müsse sich zuerst noch entfalten, noch machten zu wenig Leute von der Möglichkeit Gebrauch, um sich immer wieder testen zu lassen. Das müsse sich noch einspielen. Es müsse selbstverständlich werden, dass man sich vor Treffen testen lässt. Es kostet ja nichts. Es brauche einfach noch etwas Zeit, bis sich das einspielt, sagt der Gesundheitsminister.
/anf
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