Streit über neue VerfassungDas Wallis verzweifelt an sich selbst
Der Bergkanton stimmt über eine neue Verfassung ab. Jahrelang wurde von rechts bis links am Text gearbeitet. Am Ende wurde er für gut befunden – doch nun ist ein Teil der Regierung dagegen.
Eine Verfassung ist die Mutter aller Gesetze. Und Gesetze sind die Grundlage allen Zusammenlebens. Die Walliser Kantonsverfassung stammt aus dem Jahr 1907, ist also schon ziemlich in die Jahre gekommen. Auch im Bergkanton hat sich das Leben in den 117 Jahren fundamental geändert.
Dennoch klingt die Verfassung wie anno dazumal. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Ausübung gottesdienstlicher Handlungen und die Finanzierung von Kirchen und Pfarreien werden als Allererstes geregelt. Der Mann hat verfassungsrechtlich seinen festen Platz. Nach Frauen, Kindern, Menschen mit Behinderungen und Betagten sucht man hingegen vergeblich.
Das soll sich nun ändern. Fast 73 Prozent der Walliserinnen und Walliser votierten 2018 dafür, dass sich der Kanton eine neue Verfassung gibt. Ein Verfassungsrat hat nach vier Jahren voller Sitzungen, Expertengesprächen, Debatten, Recherchen und Konsultationen einen Entwurf verabschiedet. Am 3. März stimmt die Bevölkerung darüber ab.
Regierungsräte im Nein-Komitee
Doch kurz vor der Abstimmung wird selbst an der Staatsspitze heftig über die Verfassung gestritten. Offiziell hat sich die Regierung zur einstweiligen Zurückhaltung und Diskretion entschieden. Nun weibeln aber die Oberwalliser Regierungsräte offen und vehement gegen die Verfassung. Ihre Namen tauchen beim Nein-Komitee auf. Auf Kritik daran signalisieren sie, man lasse sich das Reden nicht verbieten.
Dass sich die Konfliktlinie an der deutsch-französischen Sprachgrenze auftut, ist kein Zufall. Im Oberwallis leben 24 Prozent der Walliser Bevölkerung. Zu ihnen gehört auch der Mitte-Nationalrat und Briger Anwalt Philipp Matthias Bregy. Man müsse die Oberwalliser als Minderheit besser schützen, nur so bleibe die kantonale Einheit gewährleistet, betont Bregy. Die aus dem Oberwallis im Kantonsrat eingebrachte Forderung, die Deutschsprachigen bräuchten einen fixen Anteil der 130 Parlamentssitze, blieb stets chancenlos. Daran änderte sich im Entstehungsprozess für die neue Verfassung nichts. Im Oberwallis fürchten Politiker wie Bregy, angesichts des Wachstums des frankophonen Wallis weiter an Einfluss zu verlieren.
Doch sein Unmut geht über den fehlenden Minderheitenschutz hinaus. Er stört sich an «ideologischen Partikularinteressen». Die im Verfassungsentwurf festgeschriebene Elternzeit und die Gerichte für Familien und die Umwelt nennt er als Beispiele. Das führe nur zu einer «Aufblähung des Staatsapparats, höheren Kosten und zusätzlichem administrativem Ballast», so der Mitte-Politiker. Im Oberwallis stört man sich auch an Verfassungsartikeln über digitale Integrität und Identität und Ausführungen zur Klimapolitik.
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Zum Glück sei er «nur» Nationalrat und könne sich auch zur neuen Kantonsverfassung frei äussern, schrieb Bregy letzte Woche auf X, vormals Twitter. Er reagiert damit auf die öffentliche Kritik an den Oberwalliser Staatsräten Franz Ruppen (SVP) und Roberto Schmidt (Mitte), die in Bistros und Brasserien Stimmung gegen die neue Verfassung machen.
Vertreter der Grünen, der SP, FDP und selbst der Mitte haben gegen die deutschsprachigen Staatsräte im Grossen Rat eine Beschwerde eingereicht. Sie fordern sogar, das Resultat der Abstimmung vom 3. März «vorsorglich für ungültig» zu erklären.
Das ist natürlich eine Provokation. Doch im Unterwallis empfindet man die Agitation der Oberwalliser Staatsräte als schlechten Stil. Auch Rechtsanwältin Géraldine Gianadda, die im Verfassungsrat das Präsidium führte, ist verärgert. Sie sagt: «Persönlich habe ich auch einige Verfassungsartikel, die mir nicht gefallen. Aber dass man ohne Gesamtschau von vornherein alle 190 Artikel ablehnt, ist sehr bedauerlich.»
Gemäss Gianadda sind es gerade die Staatsräte, die sich aufgrund ihrer Pflicht zur Zurückhaltung und der Gewaltenteilung nicht in eine Abstimmung über eine Verfassung einmischen dürfen. Immerhin habe der Verfassungsrat, in dem die Walliser Gesellschaft aus allen Altersgruppen, politischen Lagern und Teilen des Kantons vertreten war, dem Verfassungsentwurf mit 87 Ja- und 40 Nein-Stimmen zugestimmt.
Der Verfassungsrat empfand nach jahrelanger Arbeit aufgrund interner Beratungen nur einen Artikel als derart umstritten, dass er sich entschloss, diesen dem Volk gesondert vorzulegen, um die gesamte Verfassung nicht zu gefährden. Der Artikel sieht vor, Ausländerinnen und Ausländern auf kommunaler Ebene das Stimm- und Wahlrecht zu geben, vorausgesetzt sie wohnen seit mindestens einem Jahr in der Gemeinde. Auch in dieser Sache fiel die Abstimmung im Verfassungsrat mit 87 Ja- zu 29 Nein-Stimmen bei 7 Enthaltungen letztlich aber klar aus.
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