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Apokalyptische Zustände in Kalifornien
Waldbrände verschärfen Wohnungskrise

Die Brände in Kalifornien haben bereits über 4 Millionen Hektaren Wald zerstört. Ein Feuerwehrmann im Einsatz in Napa County.
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Noch eine Hitzewelle, noch einmal giftige Rauchwolken und Evakuierungen mitten in der Nacht. Die Brände
in Kalifornien nehmen mit der jüngsten Feuerwelle langsam apokalyptische Ausmasse an, und dies auch zunehmend aus finanziellen Gründen.

Immer mehr Familien und Unternehmen kämpfen mit finanziellen Verlusten, verlorenen Arbeitsplätzen und Versicherungsproblemen. 2020 gilt bereits als das drittgrösste Katastrophenjahr in Kalifornien, obwohl die Feriensaison noch bis November andauern wird. Allein die Immobilienverluste dürften gemäss der Ratingagentur Moody’s bis Ende Jahr auf 20 Milliarden Dollar steigen. Das sind 50 Prozent mehr als in den letzten zwei Jahren, die ihrerseits zuvor nicht gesehene Schäden erreicht hatten.

«Wir wissen, dass die Zerstörung gewaltig ist», sagt Adam Kamins, Experte für Umweltschäden bei Moody’s. «Doch nun befürchte ich, dass das Ausmass für viele Menschen untragbar werden wird.»

Rauchschäden ungenügend abgedeckt

Hauseigentümer sind mit mehreren sich aufschaukelnden Problemen konfrontiert. Zum einen decken Versicherungen nur zwischen 20 und 25 Prozent aller Schäden ab. Rauchschäden im Haus etwa, die schnell 10’000 bis 15’000 Dollar kosten, sind nicht oder ungenügend gedeckt. Auch die Erwerbsausfälle, der Verlust der Arbeitsstelle, Geschäftsschliessungen und Gesundheitsschäden, die finanziell nicht recht aufgefangen werden können, lasten auf Jahre hinaus auf den Opfern.

In Kalifornien wiegt das besonders schwer, da die Wirtschaft ohne Arbeitskräfte aus Mexiko und Zentralamerika kollabieren würde. Doch die meisten dieser Arbeiter sind illegal eingewandert und haben keinen Anspruch auf Krankenversicherung oder öffentliche Hilfe.

Ein Hilfspaket steht aus

An sich sollte der Bundesstaat helfen, doch ist Kalifornien wegen der Pandemie und der damit verbundenen Steuereinbussen stark angeschlagen. Kalifornien hofft wie alle anderen Bundesstaaten auf den US-Kongress, doch das Hilfspaket, mit dem den Gemeinden und Staaten geholfen werden soll, ist am Widerstand der Republikaner aufgelaufen. Gemeinden wie Napa, Calistoga, Healdsburg und auch San Francisco, die schon
zum zweiten Mal dieses Jahr von Bränden umzingelt wurden, hätten einen Teil der Hilfe bekommen sollen,
um die bis zu 90 Prozent eingebrochenen Verkaufs- und Hotelsteuern wettzumachen.

Hält die Blockade in Washington an, so sehen sich viele Gemeinden zu Entlassungen von öffentlichen Angestellten gezwungen, was die rekordhohe Arbeitslosenquote von 15 Prozent weiter erhöhen würde. In den Regionen, die durch die Brände dezimiert wurden, insbesondere in den armen Städten im ländlichen Oregon und in Kalifornien, sind viele Unternehmen bereits der durch das Virus ausgelösten Rezession erlegen. Zwischen April und Juni ist die Wirtschaftstätigkeit um 31,7 Prozent eingebrochen.

Der Versicherungsmarkt kollabiert

Hinzu kommt eine Besonderheit des Versicherungssystems. In Kalifornien dürfen die Versicherer die Prämien nur gemessen an den vergangenen, aber nicht an den erwarteten Schäden festlegen. Je mehr Brände also, desto höher ist das Ausfallrisiko, weshalb Versicherungen aus dem Markt ausgestiegen sind oder keine
Verträge mehr in den Risikozonen abschliessen. «Der Versicherungsmarkt ist kollabiert», sagt Graham Knaus, Direktor der Vereinigung der 58 kalifornischen Counties (Bezirke).

Betroffen sei nicht mehr wie früher Südkalifornien, betroffen ist seit vier Jahren der ganze Staat. «Fast ganz Kalifornien bekommt die Versicherungslücke zu spüren.» Die Lage ist so schlimm, dass der Staat den Versicherungen verbieten musste, fast einer Million Hauseigentümern schutzlos aufzukündigen. Doch nun läuft die Sperrfrist aus und kann nicht verlängert werden.

Am härtesten wiegen die nicht versicherbaren Schäden, insbesondere die Langzeitschäden durch den dichten Rauch, der dieses Jahr wiederholt für die schlechteste Luftqualität in der Welt gesorgt hat. Die Feinpartikel dringen tief in die Lungen, die Blutbahn, Herz und Hirn ein; und das Risiko von Herzinfarkten und Hirnschlägen nimmt gemäss einer Studie der Universität Stanford in den Brandregionen deutlich zu. Zwischen Anfang August und Mitte September dürften 1300 bis 3000 Menschen dem Rauch zum Opfer gefallen sein, schätzen die Stanford-Forscher, und Tausende werden für den Rest des Lebens mit Gesundheitsschäden kämpfen.

«Es wird schlimmer und schlimmer»

Ob sie genügend versichert sind, ist fraglich, da viele Haushalte bereits jetzt am Anschlag sind. Unbezahlbare Arzt- und Spitalrechnungen sind der Hauptgrund für Privatkonkurse in den USA.

Als ob das nicht genug wäre, machen die Feuer auch die akute Wohnungskrise an der Westküste schlimmer. Arbeitskräfte mit tiefen und mittleren Einkommen haben Mühe, erschwingliches Wohneigentum zu erwerben, da der Boom im Silicon Valley Tausende von Millionären geschaffen hat. Sie parkieren seit letztem Jahr deutlich beschleunigt ihr Geld in Zweitwohnungen auf dem Land und haben die Preise nördlich von San Francisco seit Jahresbeginn um über 30 Prozent in die Höhe getrieben.

Das aber zwinge die nicht vermögenden Haushalte in einen Teufelskreis, sagt David Shew, Ex-Stabschef der kalifornischen Feuerwehren: «Wir brauchen mehr erschwinglichen Wohnraum. Doch der ist oft nur in den feuergefährdeten Gegenden zu finden. Um sie zu schützen, haben wir jedoch nicht genug Feuerwehren. Es wird schlimmer und schlimmer.»