Corona-Medienkonferenz am Dienstag«Bleiben Sie zu Hause, wann immer es möglich ist»
In der Schweiz reichen die Intensivplätze noch für 10 Tage. Das hiess es an einer Information von Corona-Fachleuten. Wir berichteten live.
Das Wichtigste in Kürze:
In der Schweiz und in Liechtenstein sind dem BAG innert 24 Stunden 5949 neue Coronavirus-Ansteckungen gemeldet worden.
Zudem registrierte das BAG 167 Spitaleinweisungen und 16 neue Todesfälle.
Laut dem Sanitätsdienst reicht die Zahl der Akutbetten noch für 15 Tage, bei den Intensivbetten noch für 10 Tage.
Das Seco versichert: An der Härtefallregel für besonders hart von der Corona-Pandemie betroffene Betriebe werde mit Hochdruck gearbeitet.
Zusammenfassung der PK
Verdoppelung der bestätigten Ansteckungs- und Todesfälle innert einer Woche, ähnlich viele Spitaleinweisungen wie auf dem Höhepunkt der ersten Pandemie-Welle Mitte März: Sollte diese Entwicklung ungebremst weitergehen, reichten die Betten auf den Intensivstationen noch 10 bis 14 Tage, warnen die Experten des Bundes.
Erneut vermeldete das Bundesamt für Gesundheit (BAG) am Dienstag innerhalb von 24 Stunden rund 6000 neue bestätigte Infektionen mit dem Coronavirus. Zudem registrierte das BAG innerhalb während der gleichen Zeit 167 Spitaleinweisungen und 16 neue Todesfälle.
Eine Entwicklung, die dem Bund grosse Sorge bereitet: So sagte Virginie Masserey, Leiterin Sektion Infektionskontrolle im Bundesamt für Gesundheit im BAG, vor den Medien, die Positivitätsrate liege nunmehr bei rund 24 Prozent bei ungefähr 25'000 Tests pro Tag. Und gleichzeitig steige die Zahl der Todesfälle mit einer Geschwindigkeit, die vergleichbar sei mit der ersten Welle.
Auf 100'000 Bewohnerinnen und Bewohner gibt es in der Schweiz mittlerweile 693 bestätigte Coronavirus Infektionen. In einigen Kantonen sie diese Zahl noch viel höher, zum Beispiel im Wallis, in Genf, Jura, Freiburg, in der Waadt oder in Neuenburg, aber auch in Schwyz, Appenzell Innerrhoden und Liechtenstein, sagte Masserey.
Die positiven Fälle nähmen in allen Altersgruppen zu, aber bei den jungen Erwachsenen stiegen sie am schnellsten. Am wenigsten betroffen seien weiterhin die Kinder. Hingegen beschleunige sich die Infektionsrate auch bei den älteren Menschen. Und deswegen bereiteten die steigenden Zahlen von Spitaleinweisungen auch Sorge.
Mehr Intensivplätze bringen nicht viel
Denn sollten jetzt keine Massnahmen getroffen werden, «reichen die Betten auf den Intensivstationen noch für 10 bis 14 Tage», warnte Andreas Stettbacher, Delegierter des Bundesrats für den Koordinierten Sanitätsdienst (KSD).
Die Spitäler hätten zwar Massnahmen ergriffen, um auf ihren Intensivstationen mehr Platz für Corona-Patienten zu schaffen, sagte Martin Ackermann, Präsident der wissenschaftlichen Covid-19-Taskforce des Bundes. Aber auch wenn die Zahl der Plätze um 200 erhöht würde, gewänne die Schweiz nur gerade 32 Stunden.
Ackermann warnte deshalb auch, dass die Erhöhung der Kapazitäten in den Spitälern und längere Arbeitszeiten des Personals zwar nötig werden könnten. «Aber nichts von dem ist die Lösung des Problems». Zu einschneidenden Massnahmen gebe es keine Alternative. «Wir müssen diese Entwicklung stoppen und die Hälfte aller Neuinfektionen verhindern», sagte Ackermann.
Die Taskforce habe bisher keine Hinweise, dass sich die Ausbreitung verzögere. Doch die Menschen handelten nicht wie Mitte März, als sie ihre Mobilität eingeschränkt hätten. Das Mobilitätsniveau sei viel höher als auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle und liege bei rund 75 Prozent verglichen mit der Situation vor Corona.
Erwerbsersatzregelung bis Ende Juni 2021
Gleichzeitig arbeitet das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) «mit Hochdruck» an der Härtefallregel für besonders hart von der Corona-Pandemie betroffene Betriebe, wie Boris Zürcher, Leiter Direktion für Arbeit ausführte. Es gehe unter anderem um die Eventbranche, die Reisebranche und touristische Betriebe.
Allgemein sei aufgrund der aktuellen und absehbaren Situation weiterhin mit einer gedämpften, verlangsamten Wirtschaftsaktivität zu rechnen. Das Ziel des Bundesrates, Erwerbskraft und Arbeitsplätze zu sichern, bleibe bestehen.
Stéphane Rossini, Direktor des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV), seinerseits hielt fest, dass verschiedene Massnahmen zur Stützung der Wirtschaft weiterhin gelten. Beispielsweise bleibe die Corona-Erwerbsersatzregelung bis Ende Juni 2021 in Kraft.
Andere Massnahmen hätten rückwirkende Auswirkungen, sagte Rossini. Gewisse Entscheide auf kantonaler Ebene würden sich ebenso auf Bundesgelder auswirken. Dies betreffe beispielsweise Angestellte, die eine arbeitgeberähnliche Stellung haben. Auch diese könnten sich rückblickend auf den Erwerbsersatz oder Lohnausfall beziehen – rückwirkend per 17. September 2020. So regle es das Covid-19-Gesetz.
Gemäss Zürcher ist wenigstens die Furcht vor einer Konkurswelle bisher nicht begründet. Aber die Situation werde in den nächsten Monaten etwas schwieriger werden, einige Unternehmen würden Probleme haben. Mit Härtefallregel und Corona-Erwerbsersatz werde es aber eine Entlastung geben. (SDA)
Die Pressekonferenz ist zu Ende
Der Point de Presse in Bern ist zu Ende. Wir danken Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frage: Was geschieht, wenn die aktuellen Massnahmen nicht reichen?
Masserey antwortet: «Ich kann aktuell nichts über allfällige weitere Etappen sagen. Im Moment ist es besonders wichtig, dass die Bevölkerung sich an die aktuell geltenden Massnahmen hält.» Die Romande sagt aber auch, dass morgen der Bundesrat schärfere Massnahmen verkünden werde. Man bereite sich auf alles vor, man wisse nie, wann die Lage ausser Kontrolle gerate.
Frage: Ist ein zweites Massnahmepaket für die Wirtschaft nötig?
Das hängt vom Ausmass der wirtschaftlichen Folgen ab, meint Sturm. «Wir haben im Frühling mehr gemacht, von da her gibt es da noch Spielraum. Der Bundesrat wird in den nächsten Tagen darüber beraten.»
Zürcher vom Seco sieht keinen Bedarf für zusätzliche Massnahmen.
Frage: Werden bald Patienten abgewiesen?
«Wir haben maximal 1400 Betten auf den Intensivstationen. Die reichen, wenn die Vervielfachung der Intensivpatienten so weiter geht, noch für 10 Tage», antwortet Stettbacher. «Flächendeckend wäre eine Triage von Patienten etwa in 14 Tagen möglich. Lokal könnte es schon vorher Engpässe geben.»
Ackermann ergänzt: «Zum Glück haben einige Kantone bereits Massnahmen getroffen. Wir hoffen, dass das gesamte Land bald nachzieht.» Auch der Basler Steffen ergreift das Wort: «Wir müssen jetzt Massnahmen umsetzen. Es ist fünf vor zwölf.»
Frage: Brauchen wir mehr Tests pro Tag?
Ackermann sagt: «Die Schweiz testet wenig. Aktuell sind wir bei einer Positivität von über 20 Prozent, das Ziel wäre 5 Prozent. Dann verpasst man wenig bis keine Infektionen.»
Frage: Wie schlägt sich das verfügbare Personal in der Anzahl der freien Betten nieder?
Stettbacher antwortet: «Die freien Betten, die wir melden, sind immer nur die, die auch mit Mitarbeitern betreut werden können. Das Personal hat kundgetan, dass es müde ist und überlastet. Es ist wichtig, dass der Lastenausgleich geschehen kann.»
Es gab in den letzten Tagen Aufrufe, dass beispielsweise kürzlich pensioniertes Gesundheitspersonal wieder in den Dienst eintritt. Dies durchaus mit Erfolg. Zudem werden nicht dringende Operationen derzeit verschoben.
Zürcher ergänzt: «Es wäre möglich, die Wochenarbeitszeit zu erhöhen. Das geschieht aber nur in Absprache mit den Sozialpartnern.»
Frage: Ist eine Maskenpflicht für Kinder denkbar?
Ackermann: «Wir haben vorgeschlagen, dass Kinder unter zwölf Jahren am Platz in der Schule keine Maske tragen müssen. Aber wir werden das immer wieder neu evaluieren.»
Frage: Hat es zu wenig Grippe-Impfstoffe?
Masserey: Es gebe Lieferverzögerungen beim Grippe-Impfstoff. Es gehe um über eine Million Dosen. Diese könnten womöglich erst im Dezember geliefert worden. Man sei jedoch laufend im Kontakt mit den Importeuren.
Beim Covid-Impfstoff habe man nun zwei Verträge abgeschlossen, sei aber noch in weiteren Verhandlungen mit weiteren Herstellern. Es sei wichtig, zu diversifizieren, um einen Impfstoff garantieren zu können.
Frage: Haben wir die Möglichkeit, ohne Lockdown unsere Mobilität einzuschränken?
Ackermann erklärt: «Die Mobilität ist ein Indikator, wo wir sehr schnell Resultate erblicken können. Wenn wir sehen wollen, ob die Massnahmen greifen, können wir die Mobilität als Hinweis nehmen.» Im März habe man eine rasche Mobilitäts-Reduktion gesehen, die aktuell aber ausbleibe.
Frage: Wie hoch ist das Risiko der Arbeitslosigkeit im Land?
«Wir sehen die zweite Welle bei den Insolvenzzahlungen, bei den Konkursen und bei der Arbeitslosigkeit nicht. Wir befinden uns sogar unter den guten Werten von letztem Jahr», sagt Seco-Direktor Zürcher. «Die Furcht vor einer Konkurswelle ist sicher noch nicht begründet.» Meldungen der Kantone über Massenentlassungen bleiben beim Seco ebenfalls aus.
Zürcher mahnt dennoch: «Es ist aber richtig, dass die Situation in den nächsten Monaten schwieriger sein wird. Und wir gehen davon aus, dass mehr Firmen in Schwierigkeiten geraten werden.»
Lesen Sie dazu unseren Job-Abbau-Ticker:
Frage: Müssen Schulen nun geschlossen werden?
Ackermann von der Task Force sagt: Der Coronavirus-Taskforce sei es ein Anliegen, die Schulen und Kindergärten offen zu behalten. Diese Antwort dürfte viele Eltern erleichtern.
Frage: Ist die Containment-Strategie der Schweiz gescheitert?
Die Replik von Ackermann: «Die Containment-Strategie ist erschöpft. Wir müssen jetzt flächendeckende Massnahmen einführen. Wir sind an einem Ort, wo wir stark eingreifen müssen.» Dies insbesondere auch, weil sich die Massnahmen immer erst nach 10 Tagen zeigen.
«Wir sind immer noch auf der 2. Stufe unserer Strategie», ergänzt Masserey. «Es geht jetzt darum, alles zu tun, dass wir nicht auf die 3. Stufe erhöhen müssen. Dort geht es dann nur noch um massive Eindämmungen.»
Frage: Hätte man die zweite Welle mit mehr Tests früher erkannt?
Masserey antwortet: «Es gibt keine Testbeschränkungen. Wir haben gesagt, alle Menschen mit Symptomen sollen sich testen lassen. Viel mehr können wir nicht tun.» Man könnte zwar auch symptomfreie Menschen testen, jedoch sei nicht klar, ob man damit die Welle früher erkannt hätte. Es gebe derzeit genügend Tests, was sie schon in der Vergangenheit gesagt hat.
Frage: Wäre ein Mini-Lockdown für die Wirtschaft eher schädlich oder nützlich?
Nochmals Sturm (der ziemlich gefragt zu sein scheint): «Wir haben keine Erfahrung mit Mini-Lockdowns. In der Theorie ist das gut machbar, aber in der Praxis ist nicht klar, ob das etwas bringt. Es bestehe die Gefahr eines Jo-Jo-Effekts.
Zürcher fügt bei: «Man kann nicht einfach abschalten, dann auf einen Knopf drücken und schliesslich geht alles wieder. Auch nicht, wenn man das euphemistisch ‹Mini-Lockdown› nennt.»
Frage: Wie viel Geld hat der Bund noch zur Verfügung?
Wiederum antwortet Sturm von der Task Force: «Wir sehen einen Anstieg der Staatsverschuldung. Aber nicht eine, die wir in den nächsten Jahren nicht bewältigen könnten.»
Frage: Was sagt die Task Force zu den Forderungen der Gastronomie?
Nun sind Fragen der Medienschaffenden angesagt.
«Auch dieser Sektor profitiert davon, wenn die Pandemie eingedämmt wird», erklärt Sturm. «Wenn wir nichts tun, dann trifft es die Gastronomie noch viel härter.»
Jeder Einzelne steht in der Verantwortung
Optimistisch stimmt den Basler, dass man gut über die erste Welle gekommen sei, man habe den Sommer genutzt, um einiges zu verbessern. «Wir sind in einer kritischen, aber nicht in einer hoffnungslosen Lage. Wir müssen jetzt nachjustieren, und das beginnt bei jedem Einzelnen», erklärt Steffen.
Das Contact-Tracing habe seinen Fokus verschoben und versucht grössere Cluster einzudämmen. Auch Steffen ruft dazu auf, dass Infizierte und Isolierte selber mehr Verantwortung bei der Information von Kontaktpersonen übernehmen.
Aber man sehe doch, dass das System gehalten habe. Er schliesst mit den Worten: «Wir werden noch mit grossen Problemen in den nächsten Wochen rechnen müssen. Aber wir können uns gemeinsam aus dem Sturm retten.»
Kommunikation darf nicht Teil der Krise sein
Thomas Steffen, Kantonsarzt Basel-Stadt, Vorstandsmitglied der Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte, meint: «Es ist wichtig, dass die Kommunikation weiter transparent bleibt und nicht zu einem Teil der Krise wird. Wir müssen alles tun, um aus dem Sturm zu kommen, aber es bringt nichts, wenn wir darüber streiten, wer mehr schuld daran ist, dass wir im Sturm sind. Und es bringt nichts, wenn wir uns um die Rettungsboote streiten», sagt Steffen. «Wir müssen nun die ganze Kraft zusammennehmen, um wieder aus dem Sturm herauszukommen. Wir stehen erst am Anfang einer wahrscheinlich langgezogenen zweiten Welle.»
Wirtschaft und Gesundheit gehen Hand in Hand
Jan-Egbert Sturm spricht über das Verhältnis von Wirtschaft und Gesundheit. «Was wäre denn ohne Massnahmen?», fragt er. «Es ist klar: Das Gesundheitssystem würde überlastet.» Die Wirtschaft allgemein und der Tourismus im Speziellen würden dadurch aber ebenfalls leiden. Die Wirtschaft leide auch, wenn keine Massnahmen ergriffen werden, wie das Beispiel Schweden zeige, das weniger strenge Regeln beschlossen hatte, dessen Wirtschaft aber auf einem ähnlichen Niveau wie bei den Nachbarländern einbrach.
Die Pandemie habe das Land schon 40 Milliarden gekostet, sagt der Mann von der Task Fore. Darum sei es umso wichtiger, alles zu tun, um noch mehr Schaden zu verhindern.
red
Fehler gefunden?Jetzt melden.