Kolumne «Miniaturen des Alltags»Von Kühen und Flugpassagieren
Wer hätte gedacht, dass sich auf einer Kuhweide ähnliche Szenarien abspielen könnten wie am Flughafen.
Es ist eine Szene, die ich in «normalen Jahren» – also vor der Corona-Pandemie – sicher zwei- bis viermal erlebte: Am Gate ertönt das Signal, dass das Flugzeug zum Einsteigen bereit ist, und spätestens dann zeigt sich, zu welcher Kategorie Flugpassagier die Mitreisenden gehören. Die einen springen sofort auf und spurten, Gepäck und Duty-Free-Einkäufe unter dem einen Arm, Pass und Ticket aus der Bauchtasche kramend los, um als Erste in den Flieger steigen zu können. Der andere Typus schaut bestenfalls kurz von der Lektüre auf, beäugt die sich bildende Warteschlange vor der Ticketkontrolle und sagt sich, in fünfzehn Minuten mache ich mich dann auch auf den Weg.
Es sind meist lustige Szenen, die ich jeweils aus der Warte der zweiten Passagierkategorie beobachte. Lange ist es her, dass ich zuletzt das Vergnügen hatte. Statt ins Ausland zog es mich in den letzten achtzehn Monaten vor allem in meine zweite Heimat, das Engadin.
Bei meinem letzten Besuch stellte ich fest, dass sich in einem idyllischen Bergdorf sehr ähnliche Szenen zutragen können. Ich hatte es mir gerade mit einem Apéro auf dem Balkon gemütlich gemacht und genoss die Aussicht, als mein Blick auf eine Kuhweide am Dorfrand fiel. Etwa die Hälfte der rund zwanzig Tiere steuerte im Eilschritt auf das Gatter zu, welches der Bauer gerade öffnete.
Die übrigen Tiere schauten desinteressiert zu, wie sich ihre Artgenossen beim Gatter drängten und dann langsam Richtung Stall trotten konnten. Erst als sich der Stau beim Gatter gelichtet hatte und die Kuhkarawane flüssig unterwegs war, machten auch sie sich auf den Weg – bis auf ein Exemplar, welches sich erst auf die Rufe des Bauern hin in Bewegung setzte. Genauso wie dieser eine Passagier, der als allerletzter in den Flieger spaziert.
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