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Gray-Bericht zu «Partygate» in Grossbritannien
Vom eigenen «Versagen» will Boris Johnson nichts wissen

Bittet erneut um Entschuldigung: Boris Johnson spricht über den Untersuchungsbericht im Parlament am 31. Januar 2022.
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Grossbritanniens Premierminister Boris Johnson sah sich am Montagabend erneuten Rücktrittsforderungen gegenüber, nachdem ein von ihm in Auftrag gegebener Untersuchungsbericht zu den «Lockdown-Partys» in Downing Street zu einem vernichtenden Urteil über ihn gekommen war.

Der lang erwartete Bericht der leitenden Staatsbeamtin Sue Gray war zum Schluss gekommen, dass mehrere der beanstandeten Partys in der Regierungszentrale zu Lockdown-Zeiten gegen die geltenden Regeln verstossen hatten und «nicht hätten stattfinden dürfen». In Downing Street, erklärte Grays Report, habe ganz einfach «die Führung versagt».

Nicht nur seien die für die Partys Verantwortlichen den Erwartungen nicht gerecht geworden, die man stets in die Akteure «im Herzen der Regierung» setze. Diese Festivitäten hätten auch «die hohen Erwartungen der gesamten Bevölkerung in jener Zeit nicht erfüllt» – in einer Zeit, in der das ganze Land «schwere Opfer» brachte, die Regierungszentrale aber davon «wenig Notiz zu nehmen schien».

Kritik an Zensur

Gray beklagte auch, dass sie nur einen gehörig zensierten Bericht zu all den Ereignissen vorlegen konnte, die sie hatte untersuchen sollen. Schuld daran war die Tatsache, dass die Polizei am vorigen Dienstag separate Ermittlungen eingeleitet und Gray aufgefordert hatte, in ihrem Report «nur minimale Hinweise» auf Partys zu geben, die die Polizei unter die Lupe nahm.

Nach Auskunft Grays hinderte sie das daran, etwas zu sagen über 12 der 16 fraglichen «Lockdown-Partys». «Unglücklicherweise» sei es ihr deshalb «momentan nicht möglich, einen sinnvollen Report vorzulegen mit dem umfangreichen Material, das ich habe sammeln können». Sie werde aber den gesamten ursprünglichen Bericht, mit allen Fakten und Dokumenten, in ihrem Safe aufbewahren, «bis man ihn einmal brauchen wird».

In seiner Erklärung zu Grays Bericht im Unterhaus bat Johnson erneut um Entschuldigung für alles, was «schiefgelaufen» sei in den beiden letzten Jahren. Er werde, erklärte er, daraus die Konsequenzen ziehen und die Arbeit in der Regierungszentrale gänzlich neu organisieren.

Forderung nach sofortigem Rücktritt

Die Führer der Opposition verlangten erneut Johnsons unverzüglichen Rücktritt. Johnson sei «ein Mensch ohne alle Scham», erklärte kopfschüttelnd Sir Keir Starmer, der Vorsitzende der Labour Party. Der Sprecher der Schottischen Nationalpartei, Ian Blackford, nannte den Premierminister mehrfach erregt «einen Lügner». Weil das im Parlament nicht erlaubt ist, wurde er des Hauses verwiesen, es kam zu turbulenten Szenen im Saal.

Äusserst gemischte Reaktionen gab es auf den konservativen Bänken. Etliche Abgeordnete verteidigten Johnson gegen Anwürfe der Opposition. Andere, wie der prominente Ex-Minister Andrew Mitchell, erklärten, sie könnten ihren Parteichef «nicht länger unterstützen».

Johnsons Vorgängerin im höchsten Amt, Theresa May, spottete, Johnson habe die von ihm erlassenen Vorschriften «entweder nicht gelesen oder sie nicht verstanden» – oder er habe «geglaubt, dass sie für ihn nicht gültig sind». Der Tory-Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Tobias Ellwood, verlangte wie viele andere Parlamentarier, den gesamten, den unzensierten Gray-Bericht zu sehen. Sonst könne er Johnson nicht länger die Stange halten, sagte er.

Verweis auf seine «vielen Verdienste»

Der Regierungschef reagierte auf alle Kritik mit dem hartnäckigen Verweis auf seine «vielen Verdienste». Schliesslich habe er seinen Mitbürgern «den Brexit beschert» und das Land «gut durch die Covid-Krise gebracht».

Mit erneuter Brexit-Begeisterung und einer Reihe politischer Initiativen hatte Johnson schon vorab versucht, eine ihm seit langem drohende Rebellion in der eigenen Partei abzuwenden. Die Regierungszentrale hat für diese Woche ausserdem einen Blitztrip Johnsons nach Kiew und die Entsendung zusätzlicher Truppen und Kriegsschiffe nach Osteuropa aufs Programm gesetzt.

Schon am Wochenende zeigte sich der Premier mit hohen britischen Militärs bei Beratungen über die Lage in der Ukraine. Johnson verdoppelte die Zahl britischer Soldaten in Estland, stellte in Zypern stationierte Kampfflugzeuge für Patrouillen im Luftraum über Rumänien und Bulgarien bereit und ordnete die Entsendung britischer Kriegsschiffe ins Schwarze Meer an.

Als «sehr unwahrscheinlich» bezeichnete Aussenministerin Liz Truss unterdessen irgendwelche militärischen Einsätze an der Seite ukrainischer Truppen. Stattdessen wolle man, im Falle einer russischen Invasion, die bestehenden Sanktionen in London verstärken und dafür sorgen, dass Wladimir Putins Oligarchen im Vereinigten Königreich «keine Schlupflöcher» mehr hätten, beteuerte Truss.

Wegen der Unterhaus-Debatte zum Gray-Report und eines eilends angesetzten Treffens mit seiner Fraktion und seinen Ministern verpasste Johnson allerdings ein Telefongespräch mit Putin, das für gestern Nachmittag vereinbart worden war.