Anekdoten zur VierschanzentourneeBetrunkene Finnen und ein Vogelmensch aus dem Toggenburg
Ein mutiger DDR-Athlet als Inspiration, trinkfreudige Nordländer und ein Flaggen-Eklat im Kalten Krieg: Das Skisprungspektakel hat schon manch kuriose Geschichte geschrieben.
Falko inspiriert Falco
Es ist der 1. Januar 1978, als ein junger Österreicher namens Johann Hölzel in seiner WG vor dem Fernseher sitzt und den Weitenjägern bei der Arbeit zuschaut. Ein DDR-Athlet beeindruckt ihn beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen besonders, auch wenn der nur Vierter wird: Falko Weisspflog. «Er war mutig und hatte so einen rasanten Haarschnitt», sagt Hölzel später.
Der 20-Jährige, der von einer grossen Karriere als Musiker träumt und dafür von Wien nach Westberlin gezogen ist, teilt seinen Freunden umgehend mit, dass er sich von nun an Falko nenne. Das k ersetzt er allerdings durch ein c, weil er überzeugt ist, dass der Name so international besser zu vermarkten ist. Und tatsächlich: Falco wird zur Popsensation.
Als er ein paar Jahre später in der ARD die Herkunft seines Künstlernamens offenbart, hat das Folgen für Weisspflog: Die Staatssicherheit glaubt, der Skispringer habe Geld vom Musiker bekommen und diesen im Ausland getroffen. Die ganze Familie wird verhört. Beweisen kann die Stasi aber nichts – weil beides nie passiert ist.
Mit Restalkohol zum Sieg
Dass manch finnischer Weltklassesportler dem exzessiven Alkoholkonsum nicht abgeneigt ist, wissen wir nicht erst seit Tournee-Rekordsieger Janne Ahonen oder Formel-1-Original Kimi Räikkönen. Im Winter 1955/56 lässt es Hemmo Silvennoinen in der Silvesternacht richtig krachen. Weil er das seinem Team auferlegte Alkoholverbot geradezu wegspült, will der Cheftrainer ihn für das Neujahrsspringen sperren. Die Kollegen machen sich aber für den Fehlbaren stark und erweichen den Coach, sodass der Tournee-Vorjahressieger doch auf die Schanze darf, verkatert durch die Luft segelt – und gewinnt.
Der Überflieger eskaliert
Noch ein trinkfreudiger Finne: Matti Nykänen ist kein einfacher Charakter. So talentiert er ist, so schwierig ist er im Umgang. Wortkarg, unnahbar, abgehoben, rebellisch und – besonders unter Alkoholeinfluss – aggressiv: So beschreiben selbst seine Trainer das Wunderkind. Mit zahlreichen Eskapaden zieht der Überflieger, der alles gewinnt, was sein Sport hergibt, den Groll seiner Delegation auf sich. Vor der Tournee 1986/87 verlangt der Frischvermählte vom finnischen Verband, dass dieser die Reise- und Logierkosten für seine Frau Tiina übernimmt. Weil sein Wunsch unerfüllt bleibt, will er der Tournee fernbleiben. Erst als eine Zeitung die Spesen bezahlt, kommt er nach. Ohne eigene Ausrüstung und Trainingssprung wird er beim Auftakt in Oberstdorf 15.
Nach dem Neujahrsspringen eskaliert die angespannte Situation. Die Teamkollegen wollen Nykänens Frau nicht in den Mannschaftsbus lassen, also sperrt er sich in seinem Zimmer ein und glaubt, damit etwas erzwingen zu können – doch die Finnen fahren ohne ihn los. Nykänen verfolgt sie schliesslich im Taxi, worauf ihn Trainer Matti Pulli heimschickt und sagt: «Er kann der Mannschaft nicht mehr zugemutet werden.» Im Jahr darauf feiert Nykänen seinen zweiten Tournee-Sieg.
Sein Leben bleibt trotz der herausragenden Erfolge turbulent und vom Alkohol vergiftet. Am 4. Februar 2019 stirbt er an einer Bauchspeicheldrüsen- und Lungenentzündung. Mit 55.
Der Verband verhindert den Grand Slam
Im Januar 1972 schickt sich Yukio Kasaya an, Sporthistorisches zu schaffen. Der Japaner triumphiert in den ersten drei Springen, steht einen Schritt vor dem Grand Slam, dem Sieg auf allen vier Schanzen – und reist vor dem Final in Bischofshofen zusammen mit seinen Teamkollegen zurück in die Heimat.
Der japanische Verband hat das so befohlen, er will für seine Athleten eine optimale Vorbereitung auf die Winterspiele in Sapporo, die einen Monat später beginnen. Immerhin: Kasaya springt dann auf der Normalschanze zu Olympiagold. Schliesslich dauert es 30 Jahre, bis dem Deutschen Sven Hannawald der erste Tournee-Grand-Slam gelingt.
Der Handwerker profitiert vom Flaggenstreit
Der Oberstdorfer Max Bolkart ist beim Auftaktspringen 1959 in seinem Heimatort für die Montage der Lautsprecheranlage verantwortlich. Für die Trainingssprünge unterbricht er seine Arbeit jeweils kurz, ehe er wieder zum Werkzeug greift. Bolkart ist nicht nur handwerklich geschickt, sondern auch ein begnadeter Flieger. Er gewinnt die ersten drei Springen und sichert sich mit Rang 5 zum Abschluss in Bischofshofen den Tournee-Sieg – wobei er auch von den politischen Dissonanzen im Kalten Krieg profitiert.
Die Mannschaft aus der DDR will zum Tournee-Start in Oberstdorf ihre neue Flagge hissen, doch der deutsche Skiverband West verbietet das. Darauf reist die Delegation um Vorjahressieger Helmut Recknagel ab – die sowjetische und tschechoslowakische ziehen nach. Als dann auch die österreichischen Veranstalter das Hissen der DDR-Flagge untersagen, verkünden die drei Teams sowie die Polen ihren Verzicht auf die Springen in Innsbruck und Bischofshofen.
Der «Vogelmensch» trägt Flossenhandschuhe
Dank seiner unvergleichlichen Flüge in den 70er-Jahren erhält Walter Steiner den Spitznamen «Vogelmensch». An der Tournee 1975/76 überrascht der Toggenburger mit einer Innovation: Er trägt Flossenhandschuhe, weil er sich durch die vergrösserte Tragfläche einen Vorteil erhofft. Es reicht dennoch nur zu Rang 7.
Überhaupt bleibt ihm der Gesamtsieg verwehrt. 1973/74 und 1976/77 wird er jeweils Zweiter – genau wie sein Nachfolger Simon Ammann, auch er Toggenburger, dem 2008/09 und 2010/11 ebenfalls nur ein Konkurrent vor der Sonne steht.
Der falsche Sieger
An der Tournee 1964/65 machen die Organisatoren einen Schritt in die Zukunft. Erstmals lassen sie einen Computer die Schlussranglisten berechnen. Der Umgang mit der modernen Technik hat aber seine Tücken. Am Neujahrsspringen rufen sie den Deutschen Heini Ihle als Sieger aus – und müssen eine Stunde später nach einer erneuten Überprüfung verkünden, dass der Finne Erkki Pukka mit einem Zehntelpunkt Vorsprung gewonnen hat.
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