Glyphosat als Ursache vermutetVierjähriger hat Krebs – Mutter verklagt Monsanto
Fünf Jahre nach Bayers Mega-Deal gibt es nichts als Ärger mit dem Biotech-Konzern. In den USA macht ein Fall Schlagzeilen.
Am 14. September 2016 war Bayer endlich am Ziel. Nach monatelangem Feilschen akzeptierte der US-Saatgutriese Monsanto das über 60 Milliarden Dollar schwere Übernahmeangebot des Leverkusener Agrarchemie- und Pharmakonzerns.
Bayer-Chef Werner Baumann schrieb Geschichte – er wagte den grössten Zukauf, den je eine deutsche Firma im Ausland stemmte. Doch fünf Jahre später fällt die Bilanz ernüchternd aus. Klagewelle, Imagekrise, Milliarden-Risiken, Rekordverlust – Monsanto bereitete Bayer bislang vor allem Probleme. Und die Folgen des Mega-Deals machen dem Konzern weiter zu schaffen.
In den USA macht ein neuer Fall um das glyphosathaltige Unkrautvernichtungsmittel Roundup Schlagzeilen: Die Mutter eines an Krebs erkrankten Jungen hat die Bayer-Tochter Monsanto verklagt. In der am Montag bei einem Gericht in Los Angeles eingereichten Klage macht die Mutter Monsanto dafür verantwortlich, dass ihr Sohn am sogenannten Burkitt-Lymphom, einer seltenen und besonders aggressiven Krebsart, erkrankt ist.
Der Klageschrift zufolge war das Kind dem Unkrautvernichter ausgesetzt, als die Mutter dieses auf ihrem Grundstück versprühte. Der Junge war demnach nur vier Jahre alt, als bei ihm im Jahr 2016 das Burkitt-Lymphom festgestellt wurde. Dieses Lymphom zählt zu den am schnellsten wachsenden Tumorarten.
In der Klageschrift heisst es, laut der Schlussfolgerung von Experten sei Roundup ein «wesentlicher Faktor» in der Entstehung des Krebses bei dem Jungen gewesen. Die Anwälte der Mutter werfen Monsanto vor, «seit Jahrzehnten von der Verbindung zwischen Herbiziden auf Glyphosat-Basis und Krebs gewusst» zu haben.
Rechtliche Schwierigkeiten unterschätzt
Dabei war die Zuversicht so gross. «Das kombinierte Unternehmen ist sehr gut positioniert, um am Agrarsektor und dessen erheblichem langfristigem Wachstumspotenzial teilzuhaben», verkündete Bayer am Tag der Übernahmevereinbarung. Tatsächlich stieg der Dax-Konzern durch die Akquisition schlagartig zum grössten Anbieter von Saatgut und Pflanzenschutzmitteln auf.
Für die Aktionäre werde sich der Zukauf lohnen, versprach Bayer. Trotz Warnungen vor Monsantos schlechtem Ruf und etlichen Klagen, etwa wegen des Unkrautvernichters Glyphosat, war Bayer bereit, tief in die Taschen zu greifen – und bot den Amerikanern einen Aufschlag von 44 Prozent auf ihren Aktienkurs.
Aber das Grossprojekt gestaltete sich von Anfang an als schwieriges Unterfangen. Bereits die Einholung der Genehmigungen bei den internationalen Aufsichtsbehörden dauerte wesentlich länger als zunächst angenommen. Ausserdem erfolgte die Zustimmung der Wettbewerbshüter nur unter weitreichenden Auflagen. Bayer musste milliardenschwere Geschäftsanteile an die Konkurrenz veräussern, damit die Marktmacht des fusionierten Konzerns nicht zu gross wurde.
Trotz der starken Zugeständnisse und der juristischen Konflikte, die mit Monsanto übernommen wurden, stellte sich das Bayer-Management hinter den Deal und verteidigte den finanziellen Kraftakt energisch gegenüber Kritikern.
Angesichts grosser Zusammenschlüsse im Agrarchemie-Sektor – etwa der Fusion von Dow Chemical und Dupont zum Branchengiganten Dowdupont und der Übernahme des Schweizer Rivalen Syngenta durch Chemchina – galt es, den Anschluss nicht zu verlieren.
Der rechtliche Ärger, den Monsanto verursachen sollte, hatte man in Leverkusen offenbar unterschätzt. Der US-Konzern war wegen des Pestizids Glyphosat, das einige Studien für krebserregend halten, bereits mit Klagen konfrontiert. Nach einer ersten Prozessschlappe im August 2018 brach eine regelrechte Glyphosat-Klagelawine über Bayer herein.
Hinzu kamen weitere juristische Altlasen von Monsanto, etwa das Herbizid Dicamba oder die Chemikalie PCB, die US-Kläger etwa für verseuchte Gewässer und Hirnschäden verantwortlich machen.
Kursverlust von über 50 Prozent
Für den Bayer-Konzern entwickelten sich die juristischen Auseinandersetzungen in den USA rasch zu einem beherrschenden Thema. Am Kapitalmarkt brachte die Klagewelle das Unternehmen stark unter Druck, im ersten Jahr nach Abschluss der Übernahme sank Bayers Aktienkurs um gut 37 Prozent.
Mittlerweile ist der Börsenwert noch weiter abgesackt und lag zuletzt bei 53 Milliarden Dollar. Seit Vereinbarung der Übernahme vor fünf Jahren beläuft sich der Kursverlust insgesamt sogar auf über 50 Prozent.
Baumann verpassten die Aktionäre im April 2019 wegen des Debakels um den Monsanto-Zukauf einen historischen Denkzettel. Als erstem amtierenden Vorstand eines Dax-Konzerns wurde ihm auf der damaligen Hauptversammlung die Entlastung verweigert.
Inzwischen hat sich der Ärger gelegt, doch die vielen Klagen halten das Unternehmen und seine Anleger weiter in Atem. Im vergangenen Jahr brockten die Rechtslasten Bayer ein Minus von 10,5 Milliarden Euro ein -und damit den höchsten Verlust in der über 155-jährigen Konzerngeschichte.
Befreiungsschlag durch Supreme Court erhofft
Zwischenzeitlich hatte es so ausgesehen, als könnte Bayer sämtliche Glyphosat-Verfahren in den USA auf einen Schlag abhaken, mit einem milliardenschweren grossen Vergleich. Doch mittlerweile hat der Konzern seinen Kurs wieder ändern müssen.
Weil ein Richter einen wichtigen Teil des mit Klägern ausgehandelten Kompromisses nicht akzeptierte, setzt Bayer jetzt auf eine Entscheidung des Obersten US-Gerichts, um eine Wende herbeizuführen. Das Unternehmen reichte Mitte August einen Antrag auf Revision eines Urteils in einem der drei bisher abgeschlossenen Glyphosat-Prozesse in den USA ein – die Bayer allesamt verlor.
Eine höchstrichterliche Entscheidung zugungsten des Konzerns hätte Signalwirkung und käme einem Befreiungsschlag gleich. Bis dahin wäre es aber ein weiter Weg. Bislang ist unklar, ob der Supreme Court den Fall überhaupt annimmt.
SDA//oli
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