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Verrückter SportSie stürzen sich im Renndress die Piste hinunter – auf Gras

Im Entlebuch läuft ein Skilift auch im Sommer. Das Nationalteam der Grasski-Fahrer trainiert hier. Wir haben es besucht – und gestaunt.

Training des Schweizer Grasski-Nationalteams: Mirko Hüppi (l.) und Martin Schacher bereiten sich auf der Marbachegg für ihr nächstes Weltcuprennen vor.

Es ist ein ungewohntes Bild. Von Schnee ist auf der Marbachegg im luzernischen Entlebuch weit und breit keine Spur. Dennoch ziehen zwei Männer mitten im Sommer den altbekannten Swisscom-Renndress der Skifahrer an. Mirko Hüppi und Martin Schacher sind Athleten von Swiss Grasski, dem Verband der Schweizer Grasskifahrer. Sie trainieren für ihr nächstes Rennen im Weltcup.

Mit der ersten Gondel fahren die beiden morgens um 8 Uhr von Marbach auf den Berg, wo sie von Wolken und Regenschauern erwartet werden. «Super Grasski-Wetter!», witzeln sie in Regenmänteln und Gummistiefeln. An diesem Sonntag werden sie auf der Piste unterhalb des Berggasthauses Marbachegg Slalom trainieren. Ihren Lauf stecken sie selbst – unter Anweisungen des ebenfalls anwesenden Grasski-Nationaltrainers Clemens Caderas. Er ist etwas kürzer als die Slalomläufe auf Schnee. «Die Intensität ist aber dieselbe», sagt Schacher.

Fürs Ausstecken sind sie selbst verantwortlich: Hüppi (rechts) und Schacher mit den Slalomstangen.

Die Ausrüstung ist ebenfalls ähnlich wie im Winter: Helm und Handschuhe, Stöcke und Skischuhe. Nur die Ski sind anders: Statt auf Latten wird auf einer Raupenkonstruktion gefahren – einem Grasski. Der Ski rollt über den Berg und gleitet nicht wie im Winter über den Schnee.

Raupenkonstruktion mit Rollen: Auf den Grasski können Tempi bis 100 km/h erreicht werden.

Debüt im Weltcup als Teenager

Schacher fand schon als Kind zum Grasski, damals noch als Mitglied des Skiclub Escholzmatt. Nachdem er es bei den Alpinen nicht in ein Kader geschafft hatte, wechselte er als Jugendlicher komplett vom Schnee auf die Graspiste. Da gehört er nun zu den besten 20 Fahrern der Welt, sein Debüt im Weltcup gab der Entlebucher 2010 als 15-Jähriger.

Auch Hüppi entdeckte das Grasskifahren in seiner Kindheit. Mit zehn Jahren stand er erstmals auf den Rollski. Der Sport packte ihn sofort – und liess ihn seither nicht mehr los. Seit seiner Premiere 2006, mit 17 Jahren, fährt der Grasskifahrer vom GSC Linth im Weltcup ganz vorne mit. In der laufenden Saison gewann der zweifache Weltmeister vier von zehn Rennen.

Debütierte schon als 15-Jähriger im Grasski-Weltcup: Der Entlebucher Martin Schacher vom GSC Escholzmatt-Marbach.
Zweifacher Weltmeister: Mirko Hüppi gehört zur Grasski-Weltspitze.

Der Lauf ist ausgesteckt. Mit den Ski an den Füssen rollen die beiden aus der Abstellkammer, die ihnen als Materialraum und Umkleidekabine dient. Nach einigen lockeren Testfahrten stürzt sich der Slalomspezialist Hüppi in seinen ersten Trainingslauf. Seine Bewegungsabläufe sind dem herkömmlichen Skifahren sehr ähnlich.

Wer auf Schnee Ski fahren kann, ist nach ein paar Fahrten auf den Rollen auch ein guter Grasskifahrer. Lediglich die Bremstechnik unterscheidet sich stark. Auf Gras ist es nicht möglich, den Ski quer zu stellen. Um Tempo zu verlieren, müssen grosse Radien gefahren oder die Ski bergwärts ausgerichtet werden.

Nach rund einer Minute kämpft sich Hüppi ein erstes Mal über die Ziellinie. Rauf zum Start geht es mittels Tellerlift. Grasski fahren ist in der Schweiz nur auf der Marbachegg möglich. Denn trotz Schneemangels ziehen es die Schneesportgebiete bis anhin nicht in Betracht, im Sommer auf Grasski zu setzen. Martin Schacher hat eine Erklärung dafür: «Ohne einen Bauern, der hinter dem Sport steht und die Wiese passend bewirtschaftet, ist es unmöglich, Grasski anzubieten.»

Auf einem Grasski-Hang dürfen keine Kühe weiden, da sie Löcher in die Piste stampfen, wodurch der Hang unbefahrbar wird. Ebenso verunmöglichen Steine eine sichere Fahrt.

Mit dem Tellerlift zurück an den Start: Das ist zurzeit nur auf der Marbachegg möglich.

Oben am Start bereitet sich Hüppi auf seinen nächsten Lauf vor. Zuerst brauchen seine Ski aber eine spezielle Pflege: Besonders bei den hohen Geschwindigkeiten auf den Rollski – die schnellsten Fahrerinnen und Fahrer erreichen Tempi bis 100 km/h – erhitzen sich die Rollelemente des Skis stark. Alle drei bis vier Abfahrten muss der Ski deshalb zum Herunterkühlen mit Öl behandelt werden. Wie mit frisch gewachsten Ski lässt es sich auch nach dem Ölen schneller fahren. Einzige Bedingung bei der Pflege: Weil sich das Öl beim Fahren auf dem Gras verteilt, muss es biologisch abbaubar sein.

Ölen statt wachsen: Die Grasski müssen alle drei bis vier Abfahrten geölt werden.

Nach Dutzenden Fahrten auf dem Slalomkurs ist um die Mittagszeit das Training auf der Marbachegg beendet. Die Piste ist von den nassen Bedingungen und der Belastung der Rollen gezeichnet. Die beiden Männer sammeln die Torstangen ein, packen das Material zusammen, ziehen die Ausrüstung aus und verstauen ihren Renndress in der Tasche.

Trainingsende: Die Piste ist von den vielen Fahrten gezeichnet.

Könnte Grasski gerade mit Blick auf die immer wärmer werdenden Winter und den Schneemangel in vielen Skigebieten eine Sportart für die Zukunft sein? Kaum. Die betroffenen Skigebiete suchen andere Alternativen im Sommer- und Wintertourismus. Und Grasski steht in der Schweiz vor dem Aussterben.

Auch im Weltcup ist das Schweizer Grasski-Nationalteam darum kaum noch vertreten. Neben Hüppi und Schacher nimmt derzeit nur ein weiterer Schweizer am vom Internationalen Skiverband (FIS) ausgetragenen Weltcup teil. Im Frauenweltcup und bei den Junioren sind keine Schweizerinnen und Schweizer am Start. Finanzielle Unterstützung gibt es fast keine. Die Kosten für die Reisen an die Weltcuprennen in ganz Europa finanzieren sich Hüppi und Schacher mit ihren Vollzeitjobs.