Quidditch in BernDieser Sport ist nicht nur für Mann und Frau
Gehirnerschütterungen, progressive Genderregeln und Aufstand gegen seine Erfinderin: Das Harry-Potter-Spiel Quidditch ist im echten Leben angekommen.
Weltuntergangsstimmung im Könizer Liebefeldpark. Dunkle Wolken hängen über der Wiese. Erste Regentropfen benetzen das Gras. Vincent Vorburger kennt kein Erbarmen: «Das ist gut. So lernen sie auch mit glitschigen Bällen umzugehen.» Mit «sie» meint er die Spielerinnen und Spieler der Boggarts, Berns einziges Quidditch-Team, das er 2017 gegründet hat und seither trainiert.
Quidditch? Das Ballspiel auf fliegenden Besen aus den Harry-Potter-Büchern? Die Lust, über die Welt des berühmten Zauberlehrlings zu sprechen, hält sich bei Vorburger in Grenzen. Denn Harry Potter ist für die noch junge Randsportart Fluch und Segen zugleich.
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Einerseits dient der Held aus den Büchern von J.K. Rowling als treues Zugpferd, um Quidditch bekannter zu machen. Andererseits sorgt er dafür, dass dem Sport, der in der realen Welt auf Plastikstangen anstatt auf Besen ausgetragen wird, der Ruf als Kinderspiel für Fantasy-Nerds anklebt. «Dabei gibt es auf nationalem Niveau Spieler, die Harry Potter nicht einmal kennen», sagt Vorburger.
Das Training hat begonnen. Beinahe alle des 21-köpfigen Teams sind anwesend. Vorburger lässt Übungen zur Ballkontrolle trainieren, spricht über verschiedene Spielzüge sowie Angriffs- und Verteidigungsformationen. Die Spielregeln im Detail zu erklären, wäre zu kompliziert. Das Regelbuch des internationalen Verbands zählt 162 Seiten. «Es ist ein taktisch sehr anspruchsvoller Sport», sagt Vorburger.
«Ich habe sieben Jahre beim SCB gespielt, habe mich aber beim Quidditch öfter verletzt.»
Stark vereinfacht gesagt ist Quidditch eine Mischung aus Rugby, Handball und Völkerball. Um Punkte zu sammeln, müssen die Spielerinnen und Spieler Bälle durch Ringe werfen. Diese werden jedoch mit vollem Körpereinsatz beschützt. Vorburger weiss, wovon er redet. «Ich habe sieben Jahre beim SCB gespielt, habe mich aber beim Quidditch öfter verletzt.» Die gängigsten Blessuren: «Gehirnerschütterung, kaputte Knie, gebrochene Knochen, Bänderrisse.»
Carola Mosimann hat Muskelkater. «Ich habe am Sonntag sieben Stunden lang in Deutschland gespielt», sagt die Vereinspräsidentin und zeigt zum Beweis diverse blaue Flecken auf ihren Oberschenkeln. Weil es in der Schweiz bloss 60 aktive Quidditchspielerinnen und -spieler gibt, schliessen sich manche von ihnen Ligen im Ausland an, um mehr Spielpraxis zu erhalten. Für eine eigene Liga gibt es zu wenig Teams. An der letztjährigen Schweizer Meisterschaft haben sich drei Mannschaften beteiligt.
«Die Geschlechtertrennung fand ich schon beim Schulsport blöd.»
Junioren des FC Köniz joggen an den Berner Boggarts vorbei. «Die fragen sich bestimmt, was wir hier für einen merkwürdigen Sport betreiben», sagt Mosimann. Tatsächlich verfügt Quidditch gerade in der Sportwelt über einige Alleinstellungsmerkmale. So ist es der einzige Vollkontakt-Teamsport, bei dem keine Geschlechtertrennung herrscht. «Das finde ich megacool. Die Geschlechtertrennung fand ich schon im Schulsport blöd.»
Mosimann sieht in der Durchmischung eine sportliche Aufwertung. So könne jede Position ideal besetzt werden. «Es braucht schliesslich nicht nur besonders starke Teammitglieder, sondern auch solche, die das Spiel besser lesen können oder klein und schnell sind.»
Laut den international gültigen Genderregeln wird zudem mit «allen Geschlechtern» gespielt. Auf dem Quidditchfeld muss man sich also nicht auf Mann oder Frau festlegen.
Dieser Bruch mit traditionellem Geschlechterverständnis kommt nicht von ungefähr. «Der Sport ist stark in der Queer-Community verankert», sagt Rahel Liviero. Sie war jahrelang im Vorstand des nationalen Verbands und ist bis heute auch international gut vernetzt in der Szene.
Liviero wünscht sich, dass diese Genderregeln auch in anderen Sportarten Anklang finden. «Sie zeigen, dass alle gleichwertig sind, egal, wie man gebaut ist oder sozialisiert wurde.» Sie sagt das jedoch mit wenig Hoffnung in der Stimme. «Die Geschlechtertrennung ist historisch bedingt und letztendlich auch eine Machtfrage.»
Deshalb konzentriert sich die Quidditchszene auf den eigenen Wirkungskreis. In diesem hat sich letztes Jahr gewaltig etwas verändert. Auf internationaler Ebene wurde Quidditch in Quadball umbenannt, andere Verbände und Teams zogen nach.
Doch wieso dieser Namenswechsel? Es gibt mehrere Gründe. Einer davon: einen möglichen Rechtsstreit verhindern. Quidditch ist ein geschützter Begriff, der den Warner-Bros.-Filmstudios gehört. Der Gang vor Gericht wäre also nur eine Frage der Zeit gewesen.
Ein weiterer Grund liegt bei der Harry-Potter-Autorin und Erfinderin des Sports. J.K. Rowling hat auf Twitter mehrmals transfeindliche Artikel geteilt oder selbst Aussagen getätigt, die transphob ausgelegt wurden. Auch deshalb wurde im Schweizer Verband nicht lange diskutiert, bevor es zum Namenswechsel kam. «Die Trans- und nonbinäre Community ist uns sehr wichtig.»
Wäre es denn moralisch nicht konsequenter, gänzlich auf den Sport zu verzichten? «Tatsächlich bringt das einige in eine Zwickmühle. Es gibt durchaus Personen, die wegen Rowlings Aussagen aufgehört haben», sagt Liviero.
Quidditch oder eben Quadball ist auch Teil der Eurogames, die zurzeit in Bern stattfinden. Wie stehen die Veranstaltenden des queeren Sportevents zur Angelegenheit? Man sei sich der Diskussion bewusst und befürworte die Umbenennung. «Das machte es uns auch einfacher, an einer Durchführung des Quadball-Turniers im Rahmen der Eurogames festzuhalten», sagt ein Sprecher.
Zurück beim Training der Berner Boggarts im Liebefeldpark. Bälle werden durch die Luft geschleudert, Körper prallen aneinander. Auch die Boggarts sind heute ein Quadballverein. Den Namenswechsel sieht man als richtigen Schritt. «Für mich steht jedoch der Sport im Vordergrund», sagt Präsidentin Mosimann.
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