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Verletzte im Ski-Weltcup
Manche verzichten tatsächlich freiwillig auf Rennen – was steckt dahinter?

France's Alexis Pinturault lies on the snow after crashing during an alpine ski, men's World Cup super-G race, in Wengen, Switzerland, Friday, Jan. 12, 2024. Pinturault crashed in a World Cup super-G race Friday and was airlifted from the course, six days after he became a father for the first time. (AP Photo/Shin Tanaka)
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Die zwei Finalwochenenden im Skizirkus stehen an, zum Saisonende wird in jeder Disziplin noch einmal gefahren, werden die Kugeln vergeben, die Besten gefeiert. Doch dem Feuerwerk in Saalbach-Hinterglemm fehlen ein paar Funken, darunter ziemlich grelle: Aleksander Kilde, Marco Schwarz, Alexis Pinturault, Sofia Goggia, Petra Vlhova, Valérie Grenier, sie alle sind verletzt. Auch bei Swiss-Ski ist die Liste an Abwesenden lang: Corinne Suter, Jasmine Flury, Wendy Holdener und Marco Kohler sind nicht dabei, wenn die Top 25 jeder Disziplin plus die Nachwuchsweltmeister am Start stehen.

Doch was passiert mit all den Verletzten, wenn sie wieder zurückkommen? Können sie einfach dort weitermachen, wo sie aufgehört haben? Oder verlieren sie ihre Startpositionen, die sie sich mit Leistungen in der Vergangenheit gesichert haben? Fragen und Antworten zum ausgefeilten Reglement.

Wer kann den Verletztenstatus beantragen?

Der Verletztenstatus ist der Schutz für die verletzten Fahrerinnen und Fahrer. Er verhindert, dass sie in den Weltcupstartlisten immer weiter nach hinten rutschen, weil sie weder Rennen fahren noch Punkte sammeln können. Beantragen können den Verletztenstatus alle, die in einer Saison nicht zu mehr als vier Rennen in einer Disziplin gestartet sind.

Wendy Holdener of Switzerland reacts in the finish area during the second run of the Women's Giant Slalom race of the FIS Alpine Ski World Cup season opener on the Rettenbach glacier, in Soelden, Austria, on Saturday, October 28, 2023. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)

Wendy Holdener also hat zumindest diesbezüglich Glück. Zum Zeitpunkt ihres Trainingssturzes hatte sie drei Slaloms und vier Riesenslaloms bestritten. Den Status beantragen kann auch Corinne Suter. Ihr Kreuzband riss in der vierten Abfahrt der Saison, und sie hatte da auch vier Super-G bestritten. Joana Hählen hingegen erlitt in der fünften Abfahrt eine Knochenprellung. Wenn sie in den Weltcup zurückkehrt, wird sie also den Startplatz einnehmen müssen, auf den sie bis Ende Saison abgerutscht ist. Im Super-G hat sie zwar nur vier Rennen bestritten, vom Verletztenstatus profitieren kann sie wegen der überschrittenen Anzahl an Starts in der Abfahrt dennoch nicht.

Werden die Verletzten dennoch bestraft?

Es klingt überraschend: Hählen hätte selbst dann nicht vom Verletztenstatus im Super-G profitiert, wenn sie ihn bekommen hätte. Denn auf der Weltcupstartliste dieser Disziplin liegt die Bernerin derzeit auf Rang 18. Wäre aber der Modus des Verletztenstatus zur Anwendung gekommen und entscheidend, würde sie nächste Saison auf Startplatz 21 gelistet. Die Verletzten haben nämlich durchaus einen Nachteil: Sie werden zwar weitestgehend geschützt, verlieren aber dennoch Startplätze.

Die Top 5 werden um vier Ränge zurückversetzt. Holdener war zum Zeitpunkt ihres Ausfalls drittbeste Slalomfahrerin, kommt sie in der nächsten Saison zurück, tut sie das als Siebte der Startliste. Je weiter hinten jemand klassiert ist, desto grösser ist der Zuschlag. Athletinnen und Athleten zwischen den Rängen 6 und 10 verlieren 6 Plätze. Bis zu Rang 30 wächst der Zuschlag auf 14 Plätze an.

Warum trifft es die Schlechteren härter?

Der Hauptgrund für die ungleichen Zuschläge: Die Besten sollen nicht gleich behandelt werden wie Athleten, die lediglich um wenige Punkte kämpfen.

Und doch kommt es kaum zu ganz grossen Rückversetzungen. Denn es gibt neben der Weltcupstartliste noch einen weiteren Schutz: So werden die gesammelten FIS-Punkte eingefroren. Diese sind für die Startreihenfolge nach den Top 30 massgebend. Diese Punkte können in sämtlichen von der FIS organisierten Rennen gesammelt werden. Um diese im Falle einer Verletzung zu behalten, darf während acht Monaten kein einziges Rennen gefahren werden.

Was passiert, wenn jemand während der Saison zurückkehrt?

Wer sich ernsthaft verletzt und länger als nur zwei, drei Wochen ausfällt, wird sich vor der Rückkehr ins Renngeschehen zwangsläufig mit folgender Frage auseinandersetzen müssen: Lohnt sich das Comeback – oder ist es gar klüger, noch länger zu pausieren, den Verletztenstatus nicht zu gefährden und den fixen Platz in der Startliste zu behalten?

Gibt jemand während der Saison ein Comeback und bestreitet das fünfte Rennen in einer Disziplin, verfällt der Verletztenstatus. Die nicht gefahrenen Bewerbe werden gewertet, als wäre die Verletzte jedes Mal ausgefallen. Um bei Holdener zu bleiben: Wäre sie wie geplant am vergangenen Wochenende in Are zurückgekommen, hätte sie viel riskiert. Die 30-Jährige liegt im Slalom wegen der vielen verpassten Wettkämpfe derzeit auf Startplatz 16. Sie hätte zum Saisonabschluss noch zwei Topresultate liefern müssen, um sich bis auf Rang 7 vorzuarbeiten, der ihr nun für den Start zur nächsten Saison zusteht.

Gibt es Athletinnen, die mit dem Comeback zuwarten?

Speedspezialistin Joana Hählen sagt, der Verletztenstatus habe einen wesentlichen Einfluss bei der Comebackplanung. «Man muss sehr gut abwägen. Es kann ein Risiko sein, nach einer Verletzung zu Beginn der Saison am Ende des Winters nochmals einzugreifen. Die Position in der Startliste ist enorm wichtig, sie entscheidet über den Kaderstatus – und somit auch über viel Geld.» Bei Swiss-Ski etwa gilt: Wer die Saison in den Top 15 einer Disziplinenwertung beendet, figuriert im Nationalteam, für die Top 30 reichts fürs A-Kader. Hählen jedoch bleibt ohnehin im Nationalteam, weil sie einen Podestplatz herausgefahren hat.

Die Regelung hat aber den positiven Effekt, dass Athleten und Athletinnen genügend Zeit haben, eine Verletzung ganz auszuheilen.

Immer wieder wird nach Verletzungen taktiert. Carlo Janka erlitt vor dem Winter 2017/18 einen Kreuzbandriss, er bestritt nur die Kombination an den Olympischen Spielen in Pyeongchang, verzichtete aber auf weitere Starts auch im Weltcup, um eine möglichst günstige Ausgangslage für die nächste Saison zu haben. Denn für die FIS gilt: Ein Rennen ist kein Rennen. In diesem Fall werden die Strafpunkte aufgrund der Startliste vom Saisonbeginn vergeben.

Was ist, wenn jemand mehr als eine Saison verpasst?

Der Verletztenstatus gilt nur für eine Saison. Verpasst eine Athletin oder ein Athlet auch den Start der nächsten Saison, werden diese Rennen grundsätzlich gewertet, als wäre er oder sie nicht ins Ziel gekommen. Allerdings kann bei der FIS erneut Verletztenstatus beantragt werden. Liegt ein entsprechendes Attest eines Arztes vor, wird dem Antrag auch stattgegeben. Auch hier gilt: Testet jemand in nur einem Wettkampf, ob der Körper der Belastung schon wieder standhält, kommt dann aber zum Schluss, dass es für ein Comeback zu früh ist, wird dieses Rennen quasi gestrichen und das Ranking vom Saisonstart aufrechterhalten.

Ist das System gerecht?

Vor allem ist es kompliziert – selbst die meisten Athletinnen und Athleten blicken beim Reglement nicht gänzlich durch. Gerade in einem Winter wie diesem mit schier unzähligen Verletzungen wird der Ruf nach optimalem Schutz laut. Joana Hählen stört sich an den Strafpunkten: «Wer verletzt ist, wird schliesslich schon genug bestraft.» Vor allem aber bemängelt die Berner Oberländerin, dass schwächere Athletinnen stärker bestraft werden als die Topleute. «Das müsste zwingend einheitlich sein», sagt Hählen.

Skifahrerin Joana Hählen während der Physiotherapie nach einem Kreuzbandriss, am 06.02.2024 in Magglingen.  Foto: Christian Pfander / Tamedia AG

Die 32-Jährige erinnert sich, wie früher auf drittklassiger FIS-Stufe mit anderem Reglement getrickst und betrogen wurde. «Nach einer schlechten Saison wurde da auch mal der Verletztenstatus eingegeben, um den Winter zu retten.»

Auch der Schweizer Männer-Cheftrainer Tom Stauffer forderte als Mitglied der entsprechenden Arbeitsgruppe schon einen besseren Schutz für die Athleten und eine mildere Bestrafung in Form von Zurückversetzungen. Damit kam er aber nicht durch. Das jetzige System findet der Berner aber im Vergleich zu früher doch ziemlich ausgewogen. «Es muss auch eine gewisse Strenge haben», sagt Stauffer. Schliesslich kennt auch er Fälle von Missbrauch. «Wenn einer mitten in der Saison merkt, dass es nicht so läuft wie gewollt, und er von irgendeinem Arzt ein Zeugnis bekommt, ist es richtig, dass er nicht einfach den Verletztenstatus erhält. Es wurde in der Vergangenheit oft Schindluder mit dem Reglement betrieben.»

Wie sind Schwangerschaften geregelt?

Eine Familie gründete sie zwar erst nach der Karriere, aber es war Tina Maze, die eine entscheidende Reglementsänderung angeregt hat: Die einstige Dominatorin aus Slowenien forderte, dass auch Mütter vom Verletztenstatus profitieren. Nach der Geburt des Kindes gilt der Schutzstatus nun für höchstens neun Monate, bei entsprechenden medizinischen Gründen aber kann eine Verlängerung beantragt werden. Davon profitieren könnte Tamara Tippler: Die Österreicherin brach die vergangene Saison wegen einer Schwangerschaft ab, im September kam ihre Tochter zur Welt. Beim Final in Saalbach will Tippler nun als Vorfahrerin wieder etwas Weltcupluft schnuppern.