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Kanton vs. Zürich und Winterthur
Entscheid zu Tempo 30: SVP sieht Zeitenwende, die Linke tobt

Aktueller Zankapfel Rosengartenstrasse: Die Stadt will Tempo 30 einrichten, der Kanton stellt sich quer.
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Tempo 30 auf städtischen Hauptstrassen kommt noch stärker unter Druck. Nachdem der Nationalrat kürzlich einen FDP-Vorstoss gegen Tempo 30 befürwortet und sogar verschärft hat, doppelt nun der Zürcher Regierungsrat nach.

Die Kantonsregierung spricht sich für die Mobilitätsinitiative von SVP und FDP aus. Und die sogenannte ÖV-Initiative – ebenfalls von FDP und SVP – unterstützt sie im Kern, schlägt aber in einem Gegenvorschlag einen angepassten Fokus vor.

Die Mobilitätsinitiative will, dass allein der Kanton für die Anordnung von Geschwindigkeiten auf Hauptverkehrsachsen zuständig ist. Zudem soll auf diesen Strassen die «bundesrechtlich zulässige Höchstgeschwindigkeit», also Tempo 50, nur in Ausnahmefällen und über kurze Strecken herabgesetzt werden können.

SVP und FDP bekämpfen die Städte

Die Initiative richtet sich gegen die Städte Zürich und Winterthur, die bisher als einzige Gemeinden das Tempo auf dem Stadtgebiet selbst regulieren durften. Dem will nach den beiden rechten Parteien auch der Regierungsrat ein Ende bereiten. Hintergrund sind Bestrebungen in beiden Grossstädten, mehr Tempo-30-Schilder aufzustellen. 

Das Herabsetzen der Geschwindigkeit könne «einschneidende Folgen» für den gesamten Verkehr haben, begründet der Regierungsrat seine Entscheide. Betroffen seien der öffentliche Verkehr, die Quartiere wegen des Ausweichverkehrs und die Blaulichtorganisationen. 

Weniger Haltestellen wegen Tempo 30?

Laut der ÖV-Initiative sollen Gemeinden nur dann «Fördermassnahmen», also Geld vom ZVV erhalten, wenn sie den öffentlichen Verkehr nicht durch bauliche Massnahmen oder Verkehrsanordnungen «behindern oder verlangsamen». Die Mehrkosten, weil sie etwa wegen Tempo 30 mehr Busse oder Trams einsetzen müssen, sollen die Gemeinden selbst tragen.

Tempo 30 beim Rigiplatz, Winterthurerstrasse, Universitaetsstrasse.
07.12.2021
(Tages-Anzeiger/Urs Jaudas)

Der Regierungsrat mildert die Initiative in seinem Gegenvorschlag ab und zielt auf einen anderen Punkt. Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh (FDP) lässt sich in einer Mitteilung so zitieren: «Es ist zielführender, Verlustzeiten wenn möglich zu kompensieren, bevor Mehrkosten entstehen.»

Wenn der ÖV also etwa durch Tempo 30 verlangsamt wird, soll der Zeitverlust durch konsequente Bevorzugung des ÖV kompensiert werden. Dies soll mittels eigenen Busspuren oder eines angepassten Ampelregimes geschehen. Die Regierung bringt auch direktere Fahrwege, eine Reduktion der Anzahl Haltestellen oder kürzere Wendezeiten als Möglichkeiten ins Spiel. Nur wenn solche Massnahmen nicht ausreichten, sollen sich die Städte an den Mehrkosten für die zusätzlichen Fahrzeuge beteiligen müssen. 

Stadt: «Angriff auf Tempo 30»

Die Stadt Zürich reagierte heftig auf den «Angriff auf Tempo 30», wie sie die Entscheide der Kantonsregierung nennt. Tempo 30 sei eine «wichtige Massnahme zur Lärmreduktion, für mehr Verkehrssicherheit und für eine qualitätsvolle Siedlungsentwicklung», schreibt der Stadtrat in einer Mitteilung.

Tempo 30 an der Morgartenstrasse in Zürich.

Die Stadt will weitgehend Tempo 30 einführen. Heute seien auf dem Stadtgebiet 140’000 Menschen an ihrem Wohnort von übermässigem Strassenlärm betroffen, schreibt der Stadtrat. Umso wichtiger seien Massnahmen an der Quelle, also bei der Entstehung des Lärms auf der Strasse. Das Stimmvolk habe diese Strategie mit Annahme des kommunalen Verkehrsrichtplans gutgeheissen. Die Initiativen wertet die Stadtregierung auch als Angriff auf die Gemeindeautonomie. 

Die Frage, ob die Stadt jetzt noch möglichst viele Tempo-30-Strecken anordne, bevor über die Initiativen abgestimmt wird, beantwortet Tiefbauvorsteherin Simone Brander (SP) auf Anfrage so: Die Stadt erstelle bei Tempo-30-Strecken stets Gutachten, die belegten, dass Tempo 30 dort angezeigt und verhältnismässig sei. «Von diesem sorgfältigen Vorgehen weichen wir auch jetzt nicht ab», sagt Brander.

Auch Winterthur protestiert

Ähnlich wie in Zürich ist die Gefühlslage in Winterthur. Stadträtin Christa Meier (SP) erklärt auf Anfrage, die Haltung der Winterthurer Stadtregierung decke sich im Wesentlichen mit der Einschätzung der Stadt Zürich. Tempo 30 biete gemäss Studien im städtischen Raum vor allem Vorteile, sagt sie. Der Fuss- und der Veloverkehr erhielten mehr Sicherheit, und die Lärm- und Umweltbelastungen sänken.

Strassenlärm sei ein ernst zu nehmendes Gesundheitsrisiko, und die Städte stünden gesetzlich in der Pflicht, den Schutz der Bevölkerung umzusetzen, sagt Meier. Technische Massnahmen zur Lärmreduktion seien zudem teurer und weniger ökologisch als Tempo 30.

Winterthur
Wülflingen
Kreuzung Holzlegistrasse / Riedhofstrasse 
Fussgängerstreifen in der Tempo 30 Zone 
Bild : MARC DAHINDEN 
28.05.2019

SP: Autolobby gewinnt

Hilfe bekommen die Städte von den linken Parteien. Die Kantonsregierung lasse sich «vor den Karren der Autolobby spannen», schreibt die SP. Als besonders stossend empfindet die Partei, dass der Regierungsrat den ÖV als «Totschlagargument gegen Tempo 30» vorschiebe.

Dabei bestrafe er mit seinem Gegenvorschlag ausgerechnet jene Gemeinden, die ein attraktives ÖV-Angebot mit Massnahmen zum Lärmschutz und zur Sicherheit des Fuss- und Veloverkehrs kombinieren wollten.

Grüne: «Adieu attraktive Ortskerne»

Die Grünen geisseln den Regierungsrat für seine «Verkehrspolitik von gestern». Die Städte erhielten Lärm, Stau und Sicherheitsrisiken, dürften aber nicht mehr bestimmen, wie sie verkehrspolitisch damit umgehen wollten.

Das gelte auch für alle anderen Gemeinden: «Adieu attraktive Ortskerne und Verkehrsberuhigungen», schreiben die Grünen.

Themenbild Verkehr Zürich Stau.
13.11..2023
(URS JAUDAS/TAGES-ANZEIGER)

SVP: «Zeitenwende» und Marschhalt

Die SVP hingegen spricht von einer Zeitenwende. Mit dem Entscheid der Regierung platze die «linksgrüne Verkehrsverhinderungsblase». Die Partei verlangt nun von den Kommunen einen Tempo-30-Marschhalt bis zur Volksabstimmung. Im Zürcher Gemeinderat fordert die SVP die Stadt in einem Postulat auf, den Entscheid aus Bern abzuwarten. 

Die städtische SVP hatte auch in Zürich eine Volksinitiative namens «Kein Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen» eingereicht. Diese wurde von Stadtrat und zuständiger Kommission zur Ablehnung empfohlen und kommt bald ins Parlament. Im September könnte bei einer Volksabstimmung in Zürich der erste Härtetest für die Anti-Tempo-30-Koalition stattfinden. 

FDP hält an ÖV-Initiative fest

Die FDP zeigt sich ebenfalls erfreut über die Entscheide des Regierungsrats und kündigte an, trotz Gegenvorschlag vorerst an der ÖV-Initiative festzuhalten. 

Nun ist der Kantonsrat am Zug. Und da könnte es spannend werden. Die Klimaallianz, bestehend aus SP, GLP, Grünen, EVP und AL, hat die Hälfte der Stimmen im Parlament. Doch ist das Nein der linken Ratsseite nicht gesichert. 

Zwar ist die GLP gegenüber den Initiativen kritisch eingestellt, wie Fraktionspräsidentin Christa Stünzi auf Anfrage sagt. Sie behält sich aber vor, insbesondere den Gegenvorschlag zur ÖV-Initiative genauer zu prüfen, der interessante Aspekte beinhalte. «Wir sind keine Gegner von Tempo 30. Wir sind aber auch der Meinung, dass es nicht überall vorgeschrieben werden soll», sagt Stünzi.

EVP als Zünglein an der Waage

Noch offen ist die Haltung der EVP, wie Fraktionschef Markus Schaaf sagt. «Wir werden die Initiativen und den Gegenvorschlag ergebnisoffen prüfen», sagt er. Die EVP stimmt im Kantonsrat in Verkehrsfragen nicht immer mit den linken Parteien. So befürwortete sie den Rosengartentunnel oder die Pistenverlängerungen am Flughafen. 

Die Mitte wiederum dürfte sich der SVP und FDP anschliessen. «Wir unterstützen die Kanalisierung des Verkehrs und Tempo 50 auf Hauptstrassen grundsätzlich», sagt Fraktionspräsidentin Marzena Kopp. Und den ÖV dürfe man nicht ausbremsen.

Volksabstimmung wahrscheinlich

Die Initiativen und der Gegenvorschlag der Regierung haben also durchaus Chancen im Kantonsparlament. Resultiert ein Ja, sind die Vorschläge Gesetz.

Wahrscheinlich ist aber, dass die linken Parteien in diesem Fall das Referendum ergreifen würden, womit die Tempo-30-Frage vors kantonale Stimmvolk käme.