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Reizthema Tempo 30
Bürgerlicher Angriff auf Tempo 30 – was er für Zürich bedeutet

ZÜRICH 06.02.18 Der Zürcher Stadtrat hat im Bereich der ÖV-Haltestelle «Seilbahn Rigiblick» die Höchstgeschwindigkeit von 50 auf 30 km/h gesenkt. Verkehr und Schilder bei der Haltestelle Seilbahn Rigiblick. © Samuel Schalch / Tages-Anzeiger
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Mit 30 km/h über die Zürcher Rosengartenstrasse schleichen?

Davor graut es der FDP und der SVP. Auf allen Staatsebenen versuchen sie derzeit, Städte und Gemeinden an der Verlangsamung ihrer Hauptstrassen zu hindern.

Diese Redaktion hat über einen entsprechenden Vorstoss im nationalen Parlament berichtet. Dieser hat gute Chancen. In Zürich laufen schon länger ähnliche Bemühungen. Eine Übersicht.

Was wollen die Bürgerlichen in der Stadt Zürich?

Im Mai 2022 hat die städtische SVP eine Anti-Tempo-30-Volksinitiative eingereicht. Diese verlangt, dass auf allen Hauptstrassen bis 50 km/h beschleunigt werden kann. Momentan berät die zuständige Kommission im Gemeinderat darüber. Der Abschluss steht kurz bevor. Die Volksabstimmung könnte diesen September stattfinden. Der Stadtrat lehnt die Initiative ab.

Was passiert im Kanton Zürich?

Hier bekämpfen FDP und SVP Tempo 30 gleich mit zwei Initiativen. Die FDP hat im November 2022 die ÖV-Initiative eingereicht. Sie soll Städte, insbesondere Zürich, dazu verpflichten, Busse und Trams nicht zu verlangsamen. Zusatzkosten, die durch Tempo 30 beim öffentlichen Verkehr entstehen, müssten die Städte selbst bezahlen.

Dazu kommt die Mobilitätsinitiative. Sie fordert Tempo 50 auf allen Hauptverkehrsachsen im ganzen Kanton. Das Komitee, in dem Vertreter aus SVP und FDP sitzen, hat sie im Juni 2023 dem Regierungsrat übergeben. Der Vorstoss auf nationaler Ebene, der vom Luzerner FDP-Nationalrat Peter Schilliger stammt, ist ähnlich formuliert. Man habe aber nicht zusammengearbeitet, sagt Christian Lucek (SVP), der Präsident des kantonalen Initiativkomitees.

Laut Lucek ergänzen sich die beiden kantonalen Initiativen. Wann über diese abgestimmt wird, ist unklar. Derzeit berät der Regierungsrat die Vorlagen. Danach werden sie noch vom Kantonsrat behandelt.

ZÜRICH 06.02.18 Der Zürcher Stadtrat hat im Bereich der ÖV-Haltestelle «Seilbahn Rigiblick» die Höchstgeschwindigkeit von 50 auf 30 km/h gesenkt. Verkehr und Schilder bei der Haltestelle Seilbahn Rigiblick. © Samuel Schalch / Tages-Anzeiger

Was geschieht, wenn die Stadtbevölkerung für Tempo 30 stimmt und die Kantonsbevölkerung dagegen?

Christian Lucek geht davon aus, dass der Kanton als übergeordnete Staatsebene die Stadt Zürich übersteuern würde. In einem solchen Szenario müsste die Stadt die Höchstgeschwindigkeit auf ihren Hauptstrassen bei 50 km/h belassen – auch wenn eine Mehrheit der Stadtbevölkerung dies ablehnte.

Am mächtigsten wirkte laut Christian Lucek ein Entscheid auf Bundesebene. «Durch ein nationales Tempo-30-Verbot könnte sich unsere kantonale Mobilitätsinitiative erübrigen.» Es ist aber nicht klar, ob die Zürcher Initiativen oder der nationale Vorstoss schneller vorankommen. Gegen einen Anti-Tempo-30-Beschluss durch National- und Ständerat kann das Referendum ergriffen werden. Dadurch würde es eine nationale Volksabstimmung geben.

In diesem Fall könnten sich die Stadtzürcherinnen und Zürcher an der Urne insgesamt viermal zum Thema äussern.

Was finden die Stadtzürcherinnen und Stadtzürcher?

Im November 2021 sagten 57 Prozent der Abstimmenden Ja zum städtischen Richtplan Verkehr. Dieser sieht weitgehend Tempo 30 vor.

Laut einer Umfrage, welche diese Redaktion vor rund zwei Jahren durchführen liess, befürworten knapp 51 Prozent der Stadtbevölkerung flächendeckendes Tempo 30.

Auf wie vielen Hauptverkehrsachsen gilt in Zürich bereits Tempo 30, und wo ist dies noch geplant?

Bisher hat die Stadt Tempo 30 auf Kantonsstrassen vor allem punktuell umgesetzt: beim Universitätsspital, am Rigiplatz, rund um den Goldbrunnenplatz oder am Seebacherplatz. Bald kommt der Escher-Wyss-Platz dazu. Gegen dessen Verlangsamung ist keine Einsprache eingegangen.

In den kommenden Jahren will der Stadtrat aber weitgehend Tempo 30 durchsetzen auf den «lärmigen Hauptachsen». Dazu gehören die Rosengartenstrasse, die Seebahnstrasse, die Birchstrasse, die Pfingstweidstrasse, das Sihlquai, die Alfred-Escher-Strasse oder die Quaibrücke. Auf manchen Achsen wie der Forchstrasse oder der Ueberlandstrasse soll nur in der Nacht Tempo 30 gelten.

Auf einigen Hauptstrassen will der Stadtrat aber weiterhin Tempo 50 erlauben: auf den Achsen entlang des Seebeckens zum Beispiel, der Badenerstrasse oder der Wehntalerstrasse.

Würde das Tempo-30-Verbot rückwirkend gelten? Müssten bisherige Tempo-30-Hauptstrassen wieder auf 50 beschleunigt werden?

Markus Knauss, Grünen-Gemeinderat und Co-Geschäftsführer des VCS Zürich, kann sich das nicht vorstellen. «Das wäre mit enormem Aufwand verbunden, und an vielen Orten würden dadurch Menschen gefährdet.» Entsprechend ärgert es Markus Knauss, dass die Stadt Zürich aus seiner Sicht zu wenig schnell vorwärtsmacht mit der Abbremsung.

Im kantonalen Initiativtext steht nichts von einer Rückwirkung. Christian Lucek vom Initiativkomitee geht aber davon aus, dass zumindest alle Tempo-30-Massnahmen, die die Gemeinden nach der Einreichung der Initiativen erlassen haben, wieder aufgehoben werden müssten.

Lässt sich die Tempo-50-Pflicht überhaupt durchsetzen?

Um den Strassenlärm zu verringern, schreibt das nationale Umweltschutzgesetz «Massnahmen an der Quelle» vor. Dazu zählt vor allem Tempo 30. Wegen dieser Regel unterlagen TCS und ACS in der Stadt Zürich mit all ihren Einsprachen gegen Tempo-30-Massnahmen. Gleichzeitig konnte der VCS die Stadt juristisch zu weiteren Tempo-30-Zonen zwingen. Das Bundesgericht hat Verkehrsverlangsamungen immer gestützt.

Laut Markus Knauss ist es schwierig zu sagen, was nach einem allfälligen Ja zu den Anti-Tempo-30-Vorlagen mehr zählen würde: das Recht auf Lärmschutz oder die Tempo-50-Pflicht. «Es dürfte auf jeden Fall zu weiteren Gerichtsverfahren und Verzögerungen kommen», sagt Knauss.

Was läuft international?

Wie viele Schweizer Städte wollen auch viele europäische Grossstädte die Autos bremsen. Amsterdam hat im vergangenen Dezember flächendeckend Tempo 30 verordnet. Paris tat dies bereits 2021, Bologna 2023.

Mitarbeit: Patrice Siegrist