Vereiste Böden der Arktis Tickt am Meeresgrund eine Zeitbombe?
In den untermeerischen Permafrostböden am Nordpol sind grosse Mengen an Methan gespeichert. Forschende befürchten, der Klimawandel könnte die Treibhausgase schlagartig freisetzen.

In der menschenleeren Tundra auf der Yamal-Halbinsel im Norden Sibiriens tauchten vor fast zehn Jahren mysteriöse Krater auf. Wie sich später herausstellte, hatte Methangas diese bis zu 60 Meter tiefen Löcher in die Landschaft gesprengt. Bei Auftauprozessen staute sich das Gas an Schwachstellen im gefrorenen Untergrund und brach schliesslich aus.

Doch nicht nur im Permafrostboden an Land schlummern grosse Mengen Treibhausgase, sondern auch im eisigen Meeresboden vor den Küsten rund um den Arktischen Ozean. Die Gase sind dort in submarinem Permafrost gebunden, also in gefrorenem Meeresboden. Anhand von Echolot- und Sonarmessungen entdeckten Wissenschaftler auch dort an verschiedenen Stellen immer wieder Gruppen von grossen und kleinen Kratern, aus denen Schleier aus Methan-Gasblasen zur Meeresoberfläche blubbern.
Manche Wissenschaftler sehen im submarinen Permafrost daher eine tickende Zeitbombe. Plötzliche Ausbrüche könnten, so befürchten sie, die globale Erwärmung katastrophal anheizen. Noch weiss man wenig über den von Eis durchsetzten Meeresboden. Sogar seine Verbreitung ist noch nicht überall kartiert. Bekannt ist lediglich, dass von den insgesamt 2,5 Millionen Quadratkilometern submarinem Permafrost etwa 80 Prozent unter dem flachen Meer auf dem Kontinentalschelf vor Nord- und Ostsibirien liegen, 20 Prozent vor den Küsten Alaskas und Kanadas.
Grosses Methanreservoir
Es wird geschätzt, dass dort derzeit zwischen 3 und 17 Millionen Tonnen Methan pro Jahr ausströmen. Zum Vergleich: Der vom Menschen verursachte Methanausstoss lag 2017 weltweit bei etwa 272 Millionen Tonnen. «Nach neueren Kenntnissen treten die Gase bisher nur langsam aus», sagt Paul Overduin, Permafrost-Spezialist am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Potsdam. So beschreibt es Overduin zusammen mit Kollegen auch in einer kürzlich erschienenen Studie.
Die Frage ist jedoch, ob es bei diesem gemächlichen Tempo bleibt. Der submarine Permafrost bildete sich ebenso wie der Permafrostboden an Land während der letzten Eiszeit. Damals war viel Wasser in den Gletschern in den Polgebieten gebunden. Der Meeresspiegel lag deshalb 120 Meter tiefer als heute. An Land breitete sich eine eiskalte Tundra aus – eine Mammutsteppe mit Temperaturen von minus 15 Grad Celsius im Jahresdurchschnitt.
So ist der Boden mit allen Überresten von abgestorbenen Pflanzen und Tieren durchgefroren, stellenweise über einen Kilometer tief. Am Ende der Eiszeit, als der Meeresspiegel wieder um 120 Meter stieg, überspülte Meerwasser diese Kältesteppe entlang der arktischen Küste viele Kilometer, in Sibirien sogar Hunderte Kilometer weit ins Landesinnere hinein. Seither liegt ein grosses Stück Permafrostboden unter dem Meer.
Für Paul Overduin hat der submarine Permafrost im globalen Klimasystem zwei Funktionen: Zum einen wirkt er wie eine Kühltruhe, in der organisches Material sicher verwahrt ist, solange die Temperaturen am Meeresboden unter dem Gefrierpunkt liegen. Die Reste können so nicht – wie beim Permafrost an Land – im Sommer bei höheren Temperaturen von Mikroorganismen zersetzt werden, die dabei Treibhausgase freisetzen.
Zum anderen funktioniert der untermeerische Permafrost wie ein Deckel, der einen für das Klima noch problematischeren Untergrund überspannt: Methanhydrate. Dieses Gemisch aus gefrorenem Wasser und Methangas kommt nicht nur im tiefen Permafrostboden, sondern auch in den Sedimenten darunter vor. Das Methangas ist aus grossen Erdtiefen allmählich durch Risse und Poren aufgestiegen und hat sich unter hohem Druck und tiefen Temperaturen mit Wasser zu Methanhydrat verbunden.

Dieses sieht zwar aus wie Eis, ist aber nur unter hohem Druck stabil. Sobald es zum Beispiel bei Bohrungen an die Erdoberfläche gelangt, zerfällt es sofort. Aus einem Liter Methanhydrat entweichen dabei 160 Liter Methan. In dem Eis steckt so viel Energie, dass es brennt, wenn man es anzündet.
Vor kurzem hat ein deutsch-kanadisch-koreanisches Wissenschaftlerteam den submarinen Permafrost während einer Expedition auf dem Eisbrecher Araon in einem 100 mal 200 Kilometer grossen Gebiet der Beaufortsee vor der kanadischen Küste mit seismischen Methoden durchleuchtet. Demnach ist der Permafrostdeckel etwa 350 Meter dick, wird jedoch Richtung Kontinentalabhang, wo das flache Meer in die Tiefsee abfällt, immer dünner. Erst 600 Meter unter dem Meeresboden konnten Methangashydrate identifiziert werden.
Sind die an anderer Stelle auf dem Meeresboden in der Beaufortsee entdeckten Krater ein Zeichen dafür, dass der untermeerische Permafrost instabil wird? «Das wissen wir nicht», sagt Overduin. Sie seien aber «ein Zeichen der allgemeinen globalen Erwärmung des Permafrostes». Entscheidend für die Stabilität des untermeerischen Permafrostes sei die Meereisdecke.
Diese Eisschicht an der Wasseroberfläche schützt den untermeerischen Permafrost die längste Zeit des Jahres vor der Sonne. Doch im Sommer zieht sie sich aufgrund des Klimawandels immer schneller und immer weiter zurück, und sie wird auch immer dünner. «Weniger Meereis bedeutet höhere Temperaturen auf dem Meeresboden», erklärt Overduin. Denn das dunkle Meerwasser absorbiert mehr Sonnenstrahlung als Eis. Die Folge: Wie beim Permafrost an Land könnte sich der Permafrost im Meeresboden aufwärmen und immer tiefer auftauen, sodass Mikroorganismen vermehrt Klimagase freisetzen.
Noch sind viele Fragen offen. Wie schnell wird das aufgetaute Material submarin zersetzt, wie viel klimaschädliches Gas wird nach dem Austritt schon im Meerwasser absorbiert, wie viel gelangt in die Atmosphäre? Sicher ist nur: Die Gefriertruhen-Funktion des untermeerischen Permafrostes nimmt unweigerlich ab. Doch niemand kann sagen, wann der Deckel zerbricht.
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