Mamablog: Unangepasste KinderVerdienen Sturköpfe mehr Akzeptanz?
Der Nachzügler unserer Autorin macht, was er will. Eigentlich passt er so ja perfekt ins System unserer Individualgesellschaft. Eigentlich.
«Das Dritte läuft einfach so mit, wirst schon sehen!» Und: «Dich wird nichts mehr aus der Ruhe bringen, schliesslich weisst du ja jetzt wies läuft.» Das war in etwa der Tenor als unser drittes Kind unterwegs war – sein älterer Bruder damals 10, seine Schwester 6 Jahre alt.
Und stimmt schon, in mancherlei Hinsicht hat man beim dritten Kind tatsächlich mehr die Ruhe weg. Etwa als sich die erste obstruktive Bronchitis anbahnte und der kleine Wicht beim Atmen nur noch Pfeiflaute von sich gab. Oder beim ersten Trottiunfall, als er sich das Kinn in blutige Fetzen riss.
Nicht, dass solche Ereignisse emotionslos an einem vorübergehen würden – das wäre wohl auch beim achten Kind nicht der Fall – aber ich werde in solchen Momenten zumindest nicht mehr komplett hysterisch.
Extraportion Sturheit
Doch es gibt auch Dinge, auf die wir nicht vorbereitet waren: namentlich auf einen Sturkopf. Und damit meine ich nicht die Sorte Dickschädel, die das Anziehen verweigert, wenn man es gerade von ihm verlangt, weil er einfach gerne noch den Legoturm zu Ende bauen würde. Sondern die Extraportion Sturheit. Kinder also, die tun und lassen, was sie gerade für richtig halten, auch wenn das andere weniger gut finden. Kinder also, wie unser Dritter.
So staunte ich eines Tages nicht schlecht, als ich aus einer Sitzung geklingelt wurde und am anderen Ende des Telefons die Stimme der Kindergärtnerin vernahm, die mich darum bat, den kleinen Mann doch bitte so schnell wie möglich abzuholen, da er sich weigere, in die Bibliothek mitzukommen. Als ich den Mister ans Telefon verlangte, um die Sache zu klären, meinte er bestimmt: «Da ich meine Bücher im Hort vergessen habe, darf ich heute keine neuen ausleihen – warum sollte ich also in die Bibi gehen?» Argumentieren kann er, soviel steht fest.
Unbequem, ungehorsam, unbelehrbar
Kinder, die sich verweigern und widersprechen, sind allerdings in unserer Gesellschaft nicht sonderlich beliebt. Nicht selten werden sie gar zum Schrecken von Kindergärtnerinnen und der Lehrerschaft. Was mitunter auch verständlich ist, schliesslich muss der Karren laufen und die Herde im Zaum gehalten werden. Wer ausschert, stellt das System auf den Kopf und stiftet Chaos.
Auch an Kindergeburtstagen gehören Sturköpfe nicht zu den gefragtesten Partygästen. Denn wer schätzt schon einen Gast, der mitten im Geschehen heim will, weil er im Zoo eben lieber die Tiere beobachten möchte, als eine Schnitzeljagd zu veranstalten und Quizfragen zu beantworten? Sagen wir es wie es ist: Sturköpfe gelten als unbequem, ungehorsam und unbelehrbar – sie sind die reinsten Assis.
Ein Herz für Ausscherer
Was eigentlich dann doch wieder erstaunt. Vor allem, wenn man ein bisschen länger darüber nachdenkt. Denn im Grunde leben wir ja in einer Zeit, in der grössten Wert auf die individuelle Persönlichkeitsentfaltung gelegt wird. Schliesslich gibt es sie nicht umsonst, all die Workshops und Seminare, die Namen wie «Finde deinen eigenen Weg» und «Fertig mit nett!» tragen, und von denen sich ganz viele Erwachsene ganz viel versprechen. Allem voran: Eigenheit und Durchsetzungskraft.
Fährt aber einer neben der Spur oder benimmt sich nicht wie erwartet, finden wir es dann doch ziemlich unpassend. Und dies, obwohl wir für Ausschererinnen, Mutige und Aktivistinnen stets eine besondere Bewunderung hegen.
Ich zumindest finde Aktionen wie jene des Theatermachers Milo Rau grossartig, der für die Aufführung von «Orest in Mossul» ins zerbombte Gebiet fuhr, um vor Ort auf die Gräueltaten an Homosexuellen durch den IS aufmerksam zu machen. Auch Sprayer Banksys Aufbegehren gegen die Kommerzialisierung von Street-Art gilt als bewundernswert. Und unvergessen bleibt natürlich das Manöver der Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete, die ohne Genehmigung ein Schiff mit Flüchtlingen in den Hafen von Lampedusa gelenkt hatte und sich keinen Deut um die Beschimpfungen des italienischen Aussenministers Matteo Salvini scherte.
Grundsätzlich scheinen wir also ein Herz für Menschen zu haben, die es wagen, gegen den Strom zu schwimmen, sich in ihr Ding nicht reinreden lassen, weil sie gute Argumente haben oder für eine Überzeugung einstehen und dafür zu kämpfen wagen. Warum versuchen wir also, unsere kleinen Sturköpfe ständig umzupolen? Wäre es nicht sinnvoll, sie in ihren Skills besonders zu bestärken – auch wenn es anstrengend ist? Oder wie seht ihr das?
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