Journalismus in VenezuelaMit KI gegen die Diktatur
Venezuelas Machthaber Maduro und sein Regime verfolgen Berichterstatter. Einige Journalisten wehren sich – mit vom Computer generierten Moderatoren.
Wenn man wissen will, wie es um die Pressefreiheit in Venezuela bestellt ist, braucht man sich eigentlich nur «Operación Retuit» anzusehen. Die Sendung ist eine Zusammenarbeit von mehreren venezolanischen und ausländischen Nachrichtenseiten. Sie wird seit Mitte August fast täglich im Netz ausgestrahlt.
Mal geht es darum, wieso die autoritäre Regierung Venezuelas den Kurznachrichtendienst X im Land hat sperren lassen, ein andermal beschäftigt sich «Operación Retuit» dann mit der Frage, was mit all den Menschen geschehen ist, die seit Ende Juli in dem südamerikanischen Land festgenommen worden sind.
Damals hatten in Venezuela Wahlen stattgefunden. Schon im Vorfeld war die Stimmung angespannt gewesen, und am Ende hatte sich Machthaber Nicolás Maduro zum Sieger erklären lassen. Beweise dafür wurden bis heute nicht präsentiert, im ganzen Land brachen Proteste aus. Das Regime reagierte mit brutaler Härte, es gab Tote und Tausende Verhaftete, darunter Oppositionelle und auch Journalisten.
«Wir sind nicht echt», sagt die Moderatorin
Umso mutiger also, möchte man da sagen, dass die beiden Moderatoren von «Operación Retuit» sich trauen, brisante Themen anzusprechen – nur: Die beiden gibt es gar nicht. Eine künstliche Intelligenz hat sie generiert, zum Schutz. «Wir sind nicht echt», sagt die Moderatorin, La Chama genannt, auch gleich im ersten Video. Und ihr Kollege, El Pana, fügt hinzu: «Aber unsere Inhalte sind es!» Denn alle Informationen seien verifiziert und erstellt von Journalisten. Wieso diese dann nicht selbst vor die Kamera treten? «Sicherheitsgründe», sagt El Pana. Viel zu kritisch ist die Lage heute in Venezuela für Berichterstatter.
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Seit nunmehr einem Vierteljahrhundert wird das Land von den Chavisten regiert: erst vom Namensgeber der linken politischen Bewegung, Ex-Präsident Hugo Chávez, und dann, nach dessen Tod 2013, von seinem persönlich auserwählten Nachfolger, dem aktuellen Staatschef Nicolás Maduro. Die Beziehung der beiden Männer zur Presse war schon immer angespannt.
Hugo Chávez wusste, wie nützlich Medien sind
Einerseits hatte Hugo Chávez wie kaum ein anderer Politiker seiner Zeit erkannt, wie nützlich Medien für den Machterhalt sind, ganz besonders das Fernsehen. Kurz nach seinem Amtsantritt 1999 startete der Linkspopulist «Aló Presidente», eine Fernsehshow, in der er sich den Fragen von Anrufern stellte, gleichzeitig aber auch stundenlang über die Fortschritte seiner sogenannten «Bolivarischen Revolution» dozierte.
Chávez hatte Charisma, dazu aber auch Glück: Während seiner Zeit an der Macht boomte die Ölförderung in Venezuela, und gleichzeitig kletterten die Weltmarktpreise in immer neue Höhen. Teilweise konnte die Regierung das Geld gar nicht so schnell ausgeben, wie es in die Staatskassen sprudelte. Riesige Sozialprogramme wurden aufgelegt, Benzin und Essen subventioniert und ein nahezu kostenloses Gesundheitssystem geschaffen.
Dazu initiierte Chávez einen eigenen Fernsehsender, Telesur. Dieser war als Sprachrohr für den von ihm ausgerufenen «Sozialismus des 21. Jahrhunderts» gedacht, aber auch als südamerikanisches Gegengewicht zu CNN und anderen Kanälen aus dem sogenannten imperialistischen Ausland, vor allem den USA.
Keine Lizenz, keine Tinte, kein Papier
Während Chávez einerseits die Presse förderte und für sich nutzte, so hart ging er gleichzeitig gegen Redaktionen vor, die ihm kritisch gegenüberstanden. Eine ganze Reihe von Fernseh- und Radiosendern musste während seiner Amtszeit schliessen. Andere wurden aufgekauft und auf Regierungslinie gebracht. Ähnliches geschah mit Zeitungen: Mal fehlte Papier, dann Tinte, bis immer mehr Blätter aufgaben.
Gleichzeitig verschlechterte sich die Lage im Land: Gegen Ende der Nullerjahre begannen die Ölpreise auf den Weltmärkten zu fallen, und in Venezuela führten Missmanagement, Korruption und Wirtschaftssanktionen zu einer Abnahme der Fördermenge. Der Regierung in Caracas ging das Geld aus. Sie warf die Notenpressen an, die Inflation stieg, 2014 war die Teuerungsrate im Land eine der höchsten der Welt – und von da an ging es stetig weiter bergab.
Maduro sieht «Kampagne internationaler Medien»
Proteste brachen aus, es kam zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. Damals begann die Regierung erstmals, auch ausländische Sender zu blockieren. Dem TV-Kanal NTN 24 aus Kolumbien warf sie vor, Gewalt zu schüren, und verbannte ihn aus dem Kabelnetz. Weitere folgten in den kommenden Jahren, darunter CNN, das kolumbianische Caracol TV oder Televisión Nacional aus Chile.
Anfang dieses Jahres traf es dann sogar die Deutsche Welle: Der Sender hatte in einem kurzen Video über Korruption berichtet und Venezuela einen «Mafiastaat» genannt. «Nazis!», schimpfte daraufhin Staatschef Nicolás Maduro und sprach von einer «Kampagne internationaler Medien» gegen Venezuela.
Trotz Massenprotesten und der katastrophalen Wirtschaftslage hält Maduro sich nun seit mehr als einem Jahrzehnt an der Macht. Gesetze bezüglich freier Meinungsäusserung und Berichterstattung wurden in den vergangenen Jahren immer weiter verschärft. Soziale Netzwerke werden von der Regierung überwacht, und als kurz nach den Wahlen Ende Juli Proteste ausbrachen, verkündete der Staatschef kurzerhand, den Kurznachrichtendienst X ganz abschalten zu lassen, für zehn Tage, wegen «Anstiftung zu Hass, Bürgerkrieg und Tod».
Journalisten drohen hohe Haftstrafen
Dazu will das Regime nun auch jede noch so leise Form von Kritik in den Medien ausschalten. Beim staatlich kontrollierten Sender VTV kam es zu Massenentlassungen, nachdem bei rund 100 Mitarbeitern regierungskritische Whatsapp-Chats gefunden worden waren.
Fast ein Dutzend Journalisten wurde dazu seit Ausbruch der Proteste festgenommen, teilweise unter dem Vorwurf von Terrorismus. Darauf stehen in Venezuela Haftstrafen von bis zu 30 Jahren. Viele Berichterstatter versuchen nun, das Land zu verlassen. Von einer faktischen «Ausgangssperre» für Journalisten spricht die Gewerkschaft SNTP.
Einige Mutige aber wollen dennoch weiterarbeiten, wenn auch nicht unter ihrem eigenen Namen, sondern unter Pseudonymen. El Pana und La Chama, auf Deutsch so viel wie «Der Kumpel und die Kameradin»: zwei künstliche Moderatoren gegen skrupellose Machthaber.
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