Präsidentschaft in VenezuelaWahlbehörde erklärt Maduro zum Sieger, Opposition und USA zweifeln
Zwar wurde bei der Wahl in Venezuela der Amtsinhaber angeblich mit 51,2 Prozent wiedergewählt. Aber selbst US-Aussenminister Blinken äussert «ernsthafte Bedenken».
Am Ende eines langen Tages scheint feszustehen: Alles bleibt, wie es ist in Venezuela. Und doch ist alles anders. Bei den Wahlen in dem südamerikanischen Land haben die regierenden Chavisten am Sonntag mit 51,2 Prozent gewonnen, wie die nationale Wahlbehörde Consejo Nacional Electoral nach Auszählung von 80 Prozent der Stimmen um kurz nach Mitternacht Ortszeit bekannt gab. Der umstrittene Staatschef Nicolás Maduro darf damit weitere sechs Jahre im Amt bleiben.
Die Opposition hat das offizielle Ergebnis aber nicht anerkannt. Venezuela habe einen neuen Präsidenten und dieser heisse Edmundo González, sagte Oppositionspolitikerin María Corina Machado.
Auch die USA haben Zweifel am vom Nationalen Wahlrat verkündeten Sieg von Amtsinhaber Maduro angemeldet. Washington habe «ernsthafte Bedenken», dass das vermeldete Ergebnis nicht dem Willen des Volkes entspreche, sagte Aussenminister Antony Blinken.
Schon vorher galt die Wahl als eine der wichtigsten in der jüngeren Geschichte des Landes. Seit nunmehr einem Vierteljahrhundert ist Venezuela fest in der Hand der Chavisten, zunächst mit Namensgeber Hugo Chávez, einem linken Populisten, der 1998 erstmals die Wahl gewonnen und versprochen hatte, das Land in einen «Sozialismus des 21. Jahrhunderts» zu führen. Und dann, nach Chávez‘ Tod, mit seinem von ihm ausgewählten Nachfolger, dem aktuellen Staatschef Nicolás Maduro.
Misswirtschaft und Korruption haben die Erdölförderung stark beeinträchtigt
Venezuela verfügt über die grössten bekannten Erdölreserven der Welt, mehr als 300 Milliarden Barrel, und lange bescherte dieser Rohstoffreichtum den Venezolanern einen für die Region beispiellosen Wohlstand. Heute aber haben Misswirtschaft und Korruption die Erdölförderung schwer beeinträchtigt. Die Lage verschlechtern auch Sanktionen der USA, unter anderem wegen Wahlbetrugs und Menschenrechtsverbrechen.
Mehr als die Hälfte der Menschen in Venezuela lebt heute unter der Armutsgrenze und weit mehr als sieben Millionen – fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung – haben in den vergangenen Jahren das Land verlassen auf der Flucht vor Armut und Not. Waren die Chavisten einst in demokratischen Wahlen an die Macht gekommen, beklagen Menschenrechtsorganisationen heute politische Verfolgung und zunehmenden Autoritarismus.
Über Jahre hinweg zeigte sich die Regierung von Nicolás Maduro weitgehend unbeeindruckt von Massenprotesten im Land und internationalem Druck. Nach zähen Verhandlungen einigte man sich im Herbst vergangenen Jahres aber mit Teilen der Opposition auf Präsidentschaftswahlen. Möglichst frei und fair sollten diese werden, versprachen die Chavisten. Doch spätestens als sie dann den Termin für die Abstimmung bekanntgaben, wurde klar: So einfach würde es nicht werden. Denn die Wahlen waren angesetzt für den 28. Juli – ausgerechnet der Tag, an dem der verstorbene Staatschef Chávez 70 Jahre alt geworden wäre.
Im Wahlkampf wurde die Stimmung hitziger, der Präsident warnte vor einem «Blutbad»
Dazu wurde die aussichtsreichste Kandidatin der Opposition von der Teilnahme ausgeschlossen: María Corina Machado, eine 56-jährige Politikerin, die wenige Monate zuvor mit grossem Vorsprung die Vorwahlen der konservativen Opposition gewonnen hatte. Machado liess sich am Ende von Edmundo González vertreten, einem 74-jährigen Ex-Diplomaten, der zuvor den allermeisten Venezolanern vollkommen unbekannt war, bald aber in allen seriösen Umfragen vorne lag.
Machado und González reisten durchs Land und riefen die Menschen in mehr oder minder spontanen Massenkundgebungen dazu auf, wählen zu gehen und für einen Wandel zu stimmen. Die chavistische Regierung wiederum versuchte, die Opposition für die Armut im Land verantwortlich zu machen, mit grossen Anzeigentafeln und in Sendungen im Staatsfernsehen.
Je näher die Wahlen rückten, desto hitziger wurde es. Nach Oppositionsveranstaltungen kam es immer wieder zu Verhaftungen, und Maduro sprach wenige Tage vor der Stimmabgabe sogar von einem «Blutbad» und einem «Bürgerkrieg», sollte seine Regierung nicht die Abstimmung gewinnen.
Am Sonntag bildeten sich vor manchen Wahllokalen lange Schlangen, die Beteiligung war gross. Nach Schliessung der Lokale um 18 Uhr wurde die Stimmung schnell angespannter. «Das sind die entscheidenden Minuten», sagte Machado auf einer Pressekonferenz. Sie rief dazu auf, in den Wahllokalen zu bleiben und dort das Ergebnis der Auszählung zu überwachen. Diese ist ein zum Teil automatisierter Prozess, denn Venezuela verfügt über ein elektronisches Wahlsystem. Es gilt – zumindest in der Theorie – als weitestgehend fälschungssicher und jede digitale Urne sollte dabei am Ende ein Papier mit den abgegebenen Stimmen ausdrucken, ähnlich einem Kassenbon. In der Praxis aber schien dies an einigen Stellen nicht zu funktionieren; ob aus technischen Mängeln oder wegen Widerstands der Wahlbeamten, ist unklar.
Auch die Wahlbehörde wird von Chavisten dominiert
Laut venezolanischem Wahlgesetz dürfen keine Nachwahlbefragungen veröffentlicht werden. Dennoch kursierten bald erste Hochrechnungen im Netz. Manche sagten der Opposition einen klaren Sieg voraus, andere sahen Maduro weit vorne. González, der Spitzenkandidat der Opposition, meldete sich am späten Nachmittag deswegen zu Wort: Falsche Informationen seien im Umlauf, die noch dazu gegen das Gesetz verstiessen. «Lasst uns den Ergebnissen mit Ruhe entgegensehen», schrieb der Politiker auf X.
Gleichzeitig häuften sich Berichte über grössere Gruppen von Regierungsanhängern auf Motorrädern, die sogenannten colectivos, die vor Wahllokalen auffuhren. Dabei kam es laut Medienberichten auch zu verbalen Einschüchterungen. Um kurz nach 21 Uhr Ortszeit meldete sich dann auch noch mal der Spitzenkandidat der Opposition zu Wort: «Venezolaner, lasst uns in Ruhe in den Wahllokalen bleiben und Stimme für Stimme validieren und verteidigen», schrieb González auf X. «Lasst uns die Demokratie in Frieden verteidigen und feiern.»
Am Ende war es dann kurz nach Mitternacht Ortszeit, als Elvis Amoroso, der Präsident der nationalen Wahlbehörde, vor die Kameras trat. Nach Auszählung von 80 Prozent der Stimmen habe Maduro die Wahl mit 51,2 Prozent der Stimmen gewonnen. Oppositionskandidat González habe 44,2 Prozent erhalten. Vor jubelnden Anhängern sagte Maduro: «Das ist ein Triumph der Hoffnung, der Wahrheit und des Weges, den uns unser Kommandant Hugo Chávez gezeigt hat!»
Die grosse Frage ist nun, wie es weiter geht mit dem Land. Die Opposition hat Maduros Sieg nicht anerkannt, gleichzeitig hat die Politikerin Machado eine neue politische Massenbewegung in Venezuela geschaffen, die sich so schnell nicht ruhig stellen lassen wird. Die Wahlen mögen also vorbei sein und der Chavismus sich zum Sieger erklärt haben. Der Kampf um die Macht in Venezuela aber hat gerade erst begonnen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.