Artenschwund durch ErnährungWer die Umwelt schützen will, isst am besten Pommes frites
Vor allem Fleisch schadet der biologischen Vielfalt. Werden vegane Produkte in tropischen Ländern wie Indien angebaut, sind aber auch Linsen und Bohnen schädlich.
Was haben ein spanischer Lammbraten namens Lechazo und vegane indische Küchlein auf Basis von Reis und Bohnen – Idli genannt – gemeinsam? Sie gehören zu den zehn Speisen, die am stärksten zum Verlust der biologischen Vielfalt beitragen.
151 beliebte Rezepte aus aller Welt haben Forschende bezüglich ihrer Auswirkungen auf die Biodiversität untersucht – eine durchaus relevante Thematik. Schliesslich ist derzeit das sechste Massenaussterben der Erdgeschichte in vollem Gang, und es wird nach Angaben des Umweltprogramms der Vereinten Nationen vorwiegend durch die weltweite Nahrungsmittelproduktion – insbesondere die Tierhaltung – verursacht. Einer der Hauptgründe dafür ist, dass die Viehzucht und die dafür nötigen Futtermittel sehr viel Landfläche benötigen und damit Lebensräume zerstören.
Wenig überraschend zeigt die Studie daher, dass Fleischgerichte in der Regel die schlimmsten Übeltäter sind: Nicht nur Lechazo, sondern auch viele brasilianische Rindfleischgerichte und besser bekannte Speisen wie Chili con Carne und Hamburger schädigen die biologische Vielfalt vergleichsweise stark.
Insgesamt schneiden vegane Menüs sehr gut ab
Überraschend ist hingegen, dass auch einige vegane Menüs schlecht abschneiden. So ziehen neben Idli unter anderem auch Chana Masala und Rajma, ein Curry, das hauptsächlich aus Kidneybohnen besteht und traditionell mit Reis serviert wird, die Biodiversität stark in Mitleidenschaft. Unter den 15 für die Biodiversität am schädlichsten klassifizierten Speisen befindet sich auch eine vegane schwedische Heidelbeersuppe.
Insgesamt schneiden vegane und vegetarische Gerichte aber sehr gut ab: Von den 50 untersuchten Speisen mit der geringsten Belastung für die Biodiversität sind acht vegetarisch und 42 vegan. Dazu gehören Kartoffelgerichte wie Pommes frites und Pellkartoffeln, aber auch Polenta, St. Galler Brot und Penne all’arrabbiata. Darüber berichteten Forschende um Roman Carrasco von der National University of Singapore in der Fachzeitschrift «Plos One».
«Generell bestätigt die Studie Resultate aus früheren Arbeiten, fokussiert aber spezifisch auf Gerichte», sagt Stephan Pfister von der ETH Zürich, der auf Lebenszyklusanalysen unter anderem im Zusammenhang mit Biodiversitätsverlust spezialisiert ist. «Andere Studien hatten den Biodiversitätsverlust oft pro Kilogramm Nahrung oder pro Nährwert analysiert, was für Menschen weniger fassbar ist.»
Insbesondere zeigt die Studie, dass der Einfluss von Menüs auf die Artenvielfalt je nach Herkunft der Zutaten stark variiert. «Generell sind tierische Produkte schlechter, weil sie weniger energieeffizient sind», sagt Pfister. «Andererseits sind Produkte aus tropischen Regionen wie Indien, Mexiko und Brasilien wegen der dort vorhandenen hohen Artenvielfalt kritisch.»
Lukas Fesenfeld von der Universität Bern und der ETH Zürich, der das wissenschaftliche Gremium «Ernährungszukunft Schweiz» geleitet hat, findet die Studie «grundsätzlich relevant, da sie neben den Klimaeffekten der Ernährung auch die Effekte auf die globale Biodiversität in den Fokus rückt». Neu sei vor allem der Ansatz, die Effekte der Ernährung auf die Biodiversität auf Ebene von populären Speisen in verschiedenen kulturellen Kontexten und Ländern rund um die Welt zu analysieren.
Ergebnisse für Indien besonders überraschend
Die Ergebnisse für Indien waren laut Studienautor Carrasco am überraschendsten, «weil sie den Biodiversitätsfussabdruck hocheffizienter Lebensmittel wie Hülsenfrüchte deutlich machten. Selbst die effizientesten Lebensmittel fordern dort einen Tribut an die biologische Vielfalt.»
Dies sollte nicht als Kritik an der indischen Küche verstanden werden, sagt Carrasco. «Ganz im Gegenteil: Der hohe Anteil an Vegetariern und die grosse Bedeutung von Hülsenfrüchten sollte von anderen Ländern nachgeahmt werden.» Denn würde in Indien mehr Fleisch produziert und konsumiert, wäre alles noch viel schlimmer. «Tatsache ist, dass 1,4 Milliarden Menschen ernährt werden müssen, und auch wenn dies auf möglichst nachhaltige Weise geschieht, sind Kompromisse mit der biologischen Vielfalt unausweichlich.»
Laut Carrasco lassen sich aus der Studie zwei wesentliche Botschaften ableiten: «Wenn wir im Einklang mit der Natur leben wollen, sollten wir so weit wie möglich auf Rind- und Lammfleisch verzichten. Flexitarische, vegetarische und vegane Ernährung sind unsere beste Chance, die Krise der biologischen Vielfalt zu stoppen.»
Die zweite Botschaft ist laut Carrasco, dass die Herkunft der Zutaten, aus denen ein Gericht besteht, eine wichtige Rolle spielt. Fesenfeld drückt es so aus: «Die Biodiversitätseffekte eines gleichen Gerichtes mit den gleichen Zutaten können je nach Produktionsgebiet und Anbaumethode deutlich variieren.»
Das bedeutet zum Beispiel: In Europa angebaute Hülsenfrüchte oder Reis aus Italien haben einen viel geringeren negativen Einfluss auf die Biodiversität als der Anbau der gleichen Produkte in tropischen Regionen. Denn die meisten Anbauflächen in Europa werden teils seit Jahrhunderten für die Landwirtschaft genutzt. Und aufgrund der klimatischen Bedingungen herrscht dort eine geringere Artenvielfalt. Daher haben die Forschenden in der Studie auch zwischen lokalem Anbau der Zutaten im Herkunftsland der Gerichte und einem globalen Anbau an Orten, wo die Biodiversität weniger Schaden nimmt, unterschieden.
Generell ist die Studie laut ETH-Forscher Pfister gut gemacht. Kritisch sieht er aber unter anderem, dass die Biodiversität nur unter dem Gesichtspunkt der Landnutzung untersucht wurde. Wasserverbrauch, Überdüngung und Klimawandel seien nicht berücksichtigt worden. «Aber generell ist der Landverbrauch der wichtigste Faktor für den Verlust an Biodiversität», sagt Pfister.
Zudem unterliege die Produktion in der Landwirtschaft von Jahr zu Jahr einer grossen Variabilität, und manche Produkte wie Obst seien saisonal wegen der Lagerung mehr oder weniger umweltschädlich. Daher sollten laut Pfister die Resultate der Studie nicht als strenge Rangliste angesehen werden, sondern eher als Indikator für die Schädlichkeitsklasse der Speisen.
Was das für die Schweiz bedeutet
Was die Schweiz betrifft, sind laut Fesenfeld vor allem Poulet und Schweineprodukte auf den Import von Futtermitteln angewiesen. «Dieser Import geht oftmals mit einem Biodiversitätsverlust im Ausland einher», sagt Fesenfeld. «Im Bezug auf den Erhalt der heimischen Biodiversität hat die Schweiz einen Standortvorteil für eine graslandbasierte Produktion von Wiederkäuern wie Kühen und Schafen auf bestehenden Graslandflächen. Zusätzliche Futtermittel aus dem Ausland sollten aber nicht gross zum Einsatz kommen.»
Ohne Futtermittel aus dem Ausland würde das Angebot an Schweizer Tierprodukten aber sinken. «Daher müsste zeitgleich der Konsum dieser Produkte weiter reduziert werden», sagt Fesenfeld. «Ansonsten werden die Probleme einfach ins Ausland verlagert.» Bei Reis, Schokolade und Kaffee sei der Biodiversitätsfussabdruck teilweise auch recht gross. «Hier ist die Schweiz vermehrt auf Importe angewiesen und sollte deshalb beim Import vor allem auf die genauen Produktionsmethoden und -regionen achten.»
Aus Sicht der Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten kann man laut Fesenfeld sagen: «Insgesamt weniger tierische Produkte, und wenn doch, dann vor allem graslandbasiert aus der Schweiz, sowie mehr Hülsenfrüchte und Reis aus der Schweiz und Europa, wo die Biodiversitätsrisiken beim Anbau meist deutlich geringer sind. Auch der Einkauf von Lebensmitteln mit nachweislich biodiversitätsförderlichen und ökologischen Produktionsmethoden ist sinnvoll.»
Ähnlich bilanziert Pfister: «Fleisch und Produkte aus tropischen Regionen sollte man nur mit Mass konsumieren. Zudem sollte man vor allem bei diesen Produkten darauf achten, dass man keinen Food-Waste generiert!»
Dieser Artikel wurde im März 2024 veröffentlicht. Er erscheint aus aktuellem Anlass noch einmal.
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