USA nach den WahlenKamala Harris’ Partei sucht Wege aus dem Nirgendwo
Die Demokraten haben Mühe, sich von ihrer Niederlage zu erholen. Im Widerstand gegen Donald Trump macht sich Erschöpfung breit – und hinter den Kulissen schiebt man sich die Schuld zu.

Während am Hof des wiedergewählten Donald Trump in Mar-a-Lago der strahlende Sieg jeden Abend neu gefeiert wird, sinkt der Lebensmut der Demokraten ins Bodenlose. Die Verlierer der Präsidentschaftswahl wissen nicht, wie sie mit ihrer Niederlage umgehen sollen.
Die erste Phase im Trauerprozess gemäss Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross haben die meisten überwunden: Sie leugnen die Schlappe nicht mehr. Diese Woche gaben sich die letzten der unterlegenen Kongresskandidaten geschlagen. Sie hatten keine Chance gegen die mächtige Welle, die Trump ins Weisse Haus spülte und den Republikanern Zuwächse in fast allen Gliedstaaten bescherte.
Der fast landesweiten Gegenrevolution fiel auch Kamala Harris zum Opfer. Die einst strahlend angetretene Vizepräsidentin hat sich nach Hawaii zurückgezogen, wo sie am Strand über ihre nächsten Schritte nachdenkt.
Trauerphase zwei: Ärger
Während sich Vizepräsidentin Kamala Harris nach Hawaii zurückgezogen hat und dort über ihre weiteren Pläne nachdenken will, stecken die meisten Demokraten in der Trauerphase zwei – und verspüren derzeit vor allem Ärger. Ihre Wut richtet sich nicht einmal so sehr gegen Trump, der immerhin neben den Elektoren auch bei den Volksstimmen eine Mehrheit erzielen konnte. Der Ärger gilt hauptsächlich den Führungskräften in der eigenen Partei.
Wütend zeigt man mit dem Finger aufeinander. «Der Verlust geht vor allem auf Präsident Biden», wetterte der Harris-Unterstützer Andrew Young. «Wenn er anstatt im Juli im Januar zurückgetreten wäre, stünden wir jetzt an einem anderen Ort.» Bidens Leute hingegen geben die Schuld Harris und deren Stab. «Wie konnten sie eine Milliarde Dollar ausgeben und nicht siegen?», fragte laut Medienberichten jemand aus Bidens Umfeld. Andere kritisieren die Auswechslung Bidens: «Vielleicht hätten sie ihn nicht auf die Strafbank schicken sollen.»
Ein tieferer Befund lautet, dass die demokratische Partei ihre Seele verloren hat. Wie die langjährige Kolumnistin Peggy Noonan diese Woche in Erinnerung rief, vertraten Amerikas Demokraten immer die einfachen Leute, sie waren gegen den Krieg und befürworteten hohe Staatsausgaben. Alle drei Säulen wurden ihnen inzwischen von Donald Trump gestohlen. Die Republikaner konnten bei der Arbeiterschaft aller Hautfarben punkten, und sie scharten Kriegsgegner hinter sich. Derweil trat Harris im Wahlkampf mit den Ober-Falken Liz und Dick Cheney auf.
Kritiker gibt Obama die Schuld
Nach Ansicht vieler Kritiker müssen die Demokraten von ihrer hohen Warte herunterklettern. «Trump ist nicht die Krankheit, er ist das Symptom», sagte Chris Kofinis, ein früherer Stabschef von Senator Joe Manchin, der «Washington Post». «Die Krankheit sind politische, kulturelle und wirtschaftliche Eliten, die dem Volk vorschreiben, was es zu denken hat.» Ihnen hätten die Wählenden gesagt: «Fahrt zur Hölle.»

Zu den Adressaten der bitteren Botschaft zählt die alte Generation der Parteiführung mit der Ex-Speakerin Nancy Pelosi. Die 84-jährige Kalifornierin war eine Drahtzieherin der Einwechslung von Kamala Harris. Die berüchtigte Strategin räumt aber keinerlei eigene Fehler ein. Stattdessen macht sie für die Niederlage neue Kommunikationskanäle wie Podcasts verantwortlich. «Die Republikaner», sagte sie diese Woche, «haben uns an der Social-Media-Front abgehängt.»
An Kamala Harris’ Niederlage trage auch Barack Obama Schuld, sagt dessen Biograf David Garrow. Der Ex-Präsident und seine Frau Michelle hätten der Wählerschaft vorgepredigt, und «niemand mag es, wenn man sie kleinredet». Garrow erwartet, dass sich Obama allmählich aus der Politik zurückziehen wird. Dann würde seine Relevanz auf «Clinton-Territorium» begrenzt.

Im Zorn über die Niederlage erwacht bei vielen Demokraten der Widerstandsgeist. Im Kongress und in Joe Bidens Regierung versuchen ihre Vertreter, bisher Erreichtes möglichst «Trump-fest» zu machen, damit der Republikaner nach dem 20. Januar nicht alles ins Gegenteil kehren kann. Staatsanwälte in demokratisch regierten Bundesstaaten rüsten auf, um Trumps Vorhaben auf dem Gerichtsweg zu bekämpfen und zum Beispiel zu verhindern, dass illegal Eingewanderte massenhaft abgeschoben werden.
Erschöpfung macht sich breit
Allerdings geht die Befürchtung um, dass Trump diesmal schwerer zu bremsen sein wird als vor vier Jahren. Der republikanische Präsident sei auf seine zweite Runde im Weissen Haus besser vorbereitet, glaubt Bob Ferguson, der oberste Staatsanwalt von Washington State. Zudem könne sich Trump auf eine starke konservative Mehrheit im Supreme Court abstützen, sagte Ferguson der «New York Times».
Auf die Unterstützung durch Strassenproteste können die Demokraten nicht mehr ohne weiteres zählen. Nach einem anderen Bericht der «Times» greift bei der «Trump resistance» Erschöpfung um sich. Unter anderem, weil der erste «Women’s March» vom Januar 2017 letztlich nicht viel bewirkte, sehen laut der Zeitung viele den Sinn nicht mehr ein.
Mehr und mehr Demokraten treten die dritte Trauerphase an und beginnen mit dem Wahlsieger politisch zu feilschen. Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom etwa hielt die Fahne des Widerstands gegen Trump vor der Präsidentschaftswahl höher als alle anderen. Nachher gab er sich kompromissbereit und sagte: «Es ist nicht mein Job, jeden Tag aufzuwachen, ein Brecheisen zu ergreifen und es zwischen die Speichen der Trump-Regierung zu stecken.»
Hintergrund der neuen Haltung ist die Einsicht, dass es noch keinen Wahlsieg garantiert, gegen Trump zu sein. Dies sei eine Lektion der Niederlage, schreibt «The Nation», das linke Traditionsmagazin. «Die #Resistance-Logik und die dazugehörigen Wahlstrategien sind tot und müssen begraben werden.»
Wer führt die Partei aus der politischen Wüste?
Anstatt den in die Irre führenden Anti-Trump-Kurs weiterzuverfolgen, müsse die Partei der breiten Wählerschaft positive Gründe geben, ihre Kandidatinnen und Kandidaten zu wählen, argumentiert die Zeitschrift. Die Autopsie der Niederlage hat bisher nicht ergeben, welche Köpfe die Partei aus der politischen Wüste führen sollen. Gesucht sind Leute, die erfolgreich an die Wurzeln der Demokraten als Arbeiterpartei anknüpfen, ohne die vielen Identitätsgruppen nach Rasse und Geschlecht zu vernachlässigen.
Zwar kommen für die künftige Besetzung der Parteiführung einige Jungtalente infrage. Aber es zeigt die Tiefe der politischen Identitätskrise, dass vielen Demokraten am ehesten Rahm Emanuel einfällt, Obamas erster Stabschef und danach Chicagos Bürgermeister. Die Erwähnung dieses sattsam bekannten Namens wird die enttäuschte Parteibasis aber nur noch mehr bedrücken. Nach Kübler-Ross’ Trauertheorie wäre das die vierte Phase: Depression.
Fehler gefunden?Jetzt melden.