Hohe MedikamentenpreiseUSA schonen Pharmariesen Roche und Novartis
US-Präsident Joe Biden wollte die hohen Preise für Medikamente regulieren. Doch er scheitert am Widerstand in seiner eigenen Partei und an der Pharmalobby.
Es ist schwer, zwei unterschiedlichere Präsidenten zu finden als Joe Biden und Donald Trump. Aber eines der wenigen Dinge, die sie verbinden, ist die Forderung, die Medikamentenpreise zu senken; und ihr Unvermögen, dies gegen die Pharmalobby durchzusetzen.
Schon Barack Obama misslang es – und vor ihm Bill Clinton. Doch obwohl mehr als 80 Prozent der Amerikaner der Regierung das Verhandeln der Medikamentenpreise erlauben wollen, wird die Pharmaindustrie das auch diesmal wieder mithilfe von willfährigen Parlamentariern verhindern.
Für die Regierung Biden ist der Rückschlag besonders peinlich, weil er aus den eigenen Reihen kommt. Der Versuch scheiterte diesmal auch am Widerstand von drei demokratischen Abgeordneten und einer demokratischen Senatorin.
Die Pharmaindustrie verfügt mit mehr als 1500 Lobbyisten über die schlagkräftigste Truppe im Kongress.
Biden brauchte wegen der hauchdünnen Mehrheiten jede einzelne Stimme, und das weiss auch die Pharmaindustrie. Sie verfügt mit mehr als 1500 Lobbyisten über die schlagkräftigste Truppe im Kongress und kann hinter den Kulissen jeden Gesetzentwurf bearbeiten und steuern.
Dazu braucht sie dieses Jahr wegen der dünnen Mehrheit für die Demokraten nur ganz wenige Parlamentarier – drei Abgeordnete und eine Senatorin genügen, um das Gesetz zu Fall zu bringen. Die Rechnung ging auf, lehnen doch drei Abgeordnete und die Senatorin Kyrsten Sinema den Biden-Vorschlag ab.
Widerspenstige Senatorin
Der Einfluss der Pharmaindustrie ist am Beispiel Sinema besonders schön zu sehen. Pharmafirmen und ihre Verbände schoben ihr dieses Jahr gemäss Open Secrets bereits Wahlspenden von 466’000 Dollar zu, mehr als jedem anderen Mitglied des Kongresses. Die öffentliche Kampagne begann am 9. September, als eine Nonprofitorganisation im Auftrag der Pharmaceutical Research and Manufacturers of America, TV-Spots auszustrahlen begann, die Sinemas Unabhängigkeit und Gradlinigkeit rühmten und sie sogar mit dem verstorbenen Senator John McCain verglichen.
Nachdem sie die Kollegen monatelang im Dunkeln gelassen hatte, brach Sinema kurz darauf ihr Schweigen. Sie werde keiner Preiskontrolle zustimmen, sagte sie dem Präsidenten, auch einem Kompromissvorschlag der moderaten Demokraten nicht. Nichts deutet darauf hin, dass sie ihre Meinung ändern könnte.
Senator Bernie Sanders wehrt sich dagegen. «Ich werde nicht zulassen, dass sie damit durchkommt. Die Pharmaindustrie machte 50 Milliarden Dollar Profite letztes Jahr und zahlt ihren Manager exorbitante Saläre und steckt Hunderte Millionen Dollar ins Lobbying. Ich kenne ihre Macht, glauben Sie mir, ich kenne ihre Macht. Aber diesmal kann sich nicht wieder gewinnen», schimpfte der US-Senator. Er fürchtet, dass viele Wähler den Demokraten den Rücken kehren werden, wenn die Partei ihr Wahlversprechen von effektiven Preiskontrollen nicht einlöst.
Prompt doppelte die Branche jüngst mit Inseraten nach und warnte vor einem «sozialistischen Staat, der die Medikamenteneinnahme kontrollieren will». Unterschrieben wurde der Aufruf von 34 Pharma-Multis, darunter von Novartis-Chef Vasant Narasimhan und von Alexander Hardy, CEO der Roche-Biotechtochter Genentech. Kleine Biotechfirmen müssten ihre Forschung um 90 Prozent reduzieren, warnen die Pharmariesen.
Medikamente sind in den USA 40 Prozent teurer
Der US-Markt ist der profitabelste für die Branche. Ein Vergleich von zehn Krebsmedikamenten zeigt gemäss der Credit Suisse, dass die Preise in den USA zwischen 35 und 40 Prozent höher sind als in Europa. Der Einwand, wonach Preisverhandlungen die Forschung bremsen würden, ist gemäss einer in Health Affairs veröffentlichten Studie auch nicht haltbar, da die 20 am häufigsten verschriebenen Medikamente genug abwerfen, um die Forschungs- und Entwicklungskosten der 15 herstellenden Firmen zu decken.
Die Verteidigung dieser Spitzenposition in den USA hat sich die Industrie in den letzten 20 Jahren rund 4,8 Milliarden Dollar kosten lassen. Sie beschäftigt über 1500 Lobbyisten. Auch Roche und Novartis sind hier sehr aktiv, die Schweizer Pharmariesen haben im vergangenen Jahr gemäss Open Secrets Millionen ins Lobbying investiert und auch Senatorin Sinema mit Wahlspenden unterstützt.
Die Preiskontrolle ist Teil des Sozialhilfepakets der Regierung Biden, das vergangene Woche auf Druck seiner eigenen Partei von 3,5 Billionen Dollar auf noch 1,75 Billionen zusammengestrichen worden war. Laut dem ursprünglichen Vorschlag sollten die Preise vieler rezeptpflichtiger Medikamente um über die Hälfte gesenkt werden und sich damit den Preisen in Europa annähern. Die staatliche Medicare-Versicherung könnte über zehn Jahre hinweg rund 500 Milliarden Dollar sparen, schätzt die Regierung, wovon in erster Linie ältere Versicherte profitieren würden.
Am meisten leiden Patienten in dürftigen Verhältnissen unter den Medikamentenpreisen. Zwei Drittel aller Privatkonkurse in den USA gehen auf die hohen Gesundheitskosten zurück, und 30 Prozent der Versicherten berichten, auf Medikamenten verzichten zu müssen. Studien haben gezeigt, dass 25 Prozent der Diabetes-Patienten sich nicht genügend Insulin leisten können und zahlreiche Krebskranke die Chemotherapie unter- oder ganz abbrechen müssen.
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