USA befürchten höhere Gefahr durch den IS
Im Nordirak haben die Kurden über ihre Unabhängigkeit abgestimmt. In der Türkei und dem Irak gibt es starken Widerstand. Auch die USA äussern sich kritisch.
Im Nordirak hat am Montag das umstrittene Referendum über die Unabhängigkeit der kurdischen Autonomieregion begonnen. Bei dem Volksentscheid wird mit einer überwältigenden Zustimmung für die Unabhängigkeit gerechnet. Das Ergebnis ist zwar nicht bindend, könnte aber eine starke Signalwirkung entfalten. Es wird damit gerechnet, dass die «Ja»-Fraktion deutlich in der Mehrheit sein wird.
Das irakische Parlament hat die Entsendung von Truppen in die zwischen Bagdad und den Kurden umstrittenen Gebiete gefordert. Auch mehrere schiitische Milizführer warnten, eine Abspaltung der Kurden nicht hinzunehmen. Die irakische Regierung ist gemäss der Verfassung verpflichtet, den Beschlüssen des Parlaments Folge zu leisten. Die Entsendung von Truppen würde einer Kriegserklärung an die Kurden gleichkommen.
Türkei ruft Bürger zur Ausreise auf
Die türkische Regierung hat ihre Staatsbürger in der Region angesichts des Referendums zur Ausreise aufgerufen. Wer keinen zwingenden Grund zur Anwesenheit habe, dem werde dringend empfohlen, die Region so bald wie möglich zu verlassen, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Montag unter Berufung auf das Aussenministerium.
In einer separaten Medienmitteilung des Aussenministeriums in Ankara hiess es am Montag, das Referendum sei «null und nichtig» und ohne jede rechtliche Grundlage. Die Türkei werde das Ergebnis nicht anerkennen.
Ankara will «jede Massnahme» ergreifen
«Wir sind bestürzt über diesen Versuch» der politischen Führung der Kurdenregion, die das Referendum trotz aller Warnungen der Türkei und der Internationalen Gemeinschaft abhalte.
Das Aussenministerium schien indirekt auch mit einer möglichen militärischen Intervention zu drohen. Die Türkei werde «jede Massnahme» ergreifen, die das internationale Recht und das türkische Parlament erlaube, hiess es in der Mitteilung. Das gelte etwa im Fall, dass «radikale Elemente und Terroristen» die Lage nach dem Referendum ausnutzten und die nationale Sicherheit der Türkei gefährdeten.
Erdogan könnte kurdisches Öl blockieren
Später am Montag doppelte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan an einer Pressekonferenz in Ankara nach und drohte direkt mit einer militärischen Intervention im Nachbarland. Erdogan erklärte, eine kurdische Unabhängigkeit sei für die Türkei inakzeptabel. Dies sei eine Frage des Überlebens.
Erdogan verwies auf derzeit laufende Manöver der türkischen Streitkräfte entlang der Grenze zum Irak. Die Soldaten seien nicht «für nichts» vor Ort, erklärte er: «Wir könnten eines Abends plötzlich da sein.» Der Präsident kündigte militärische, politische und wirtschaftliche Massnahmen gegen das Streben der irakischen Kurden nach Unabhängigkeit an. So könnte die Türkei eine Ölpipeline aus dem Nordirak schliessen, sagte er. «Anschliessend werden wir sehen, an wen sie (ihr Öl) verkaufen. Der Hahn ist bei uns. Sie sind erledigt, sobald wir ihn zudrehen.» Ausserdem werde der Grenzübergang Habur zum Irak vollständig geschlossen.

Die Türkei ist die wichtigste Handelspartnerin der irakischen Kurden, die zum Export ihres Erdöls auf die Pipeline ins türkische Ceylan angewiesen sind. Bisher unterhielten sie freundschaftliche Beziehungen zu Ankara.
Iran schliesst Luft- und Landgrenzen
Der Iran sprach sich ebenfalls gegen das Referendum aus. Das Nachbarland hat seine Luft- und Landgrenzen zu der Kurdenregion geschlossen. Die Grenzschliessung sei auf Bitte der irakischen Zentralregierung in Bagdad erfolgt, sagte der iranische Aussenamtssprecher Bahram Ghasemi am Montag. Das Referendum sei «illegal und illegitim».
Der Iran hatte bereits am Sonntag verkündet, alle Flüge in die Kurdenregion zu stoppen. Der iranische Präsident Hassan Rohani hatte in der Nacht in einem Telefonat dem irakischen Ministerpräsidenten Haidar al-Abadi versichert, Teheran unterstütze vollends die irakische Zentralregierung.
Nachbarn haben Angst vor «Ansteckung»
Die Türkei und der Iran befürchten ein Erstarken kurdischer Autonomiebestrebungen in ihren Ländern. Sie wollen verhindern, dass die Abstimmung kurdische Rufe nach mehr Autonomie im jeweils eigenen Land verstärkt. Kritiker fürchten, dass der ohnehin instabile Irak weiter zerfallen könnte und der Konflikt den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) behindert.
USA befürchten mehr Elend
Kritik kam auch von den Vereinten Nationen und den USA, die eine Destabilisierung der ganzen Region befürchten. Die USA, ein wichtiger Verbündeter der Kurden im Nordirak, sind «zutiefst enttäuscht» über die Entscheidung der kurdischen Regionalregierung im Nordirak, ein Unabhängigkeitsreferendum durchzuführen. Die Abstimmung werde das Verhältnis der Kurden zum Irak wie auch zu den Nachbarländern «deutlich verkomplizieren», hiess es am Montag in einer Mitteilung des Ministeriums in Washington.
Zwar werde das nicht bindende Referendum das Verhältnis der Vereinigten Staaten zu den Bewohnern der Kurdengebiete im Nordirak nicht ändern, schreibt das Aussenministerium. Die USA aber warnen vor mehr Unsicherheit in der Region und zusätzlicher Gefahr durch den IS.
Kein Zurück zu einer «gescheiterten Beziehung»
Kurden-Präsident Massud Barsani gab der irakischen Zentralregierung vor Journalisten die Verantwortung für das Referendum. Diese habe die Kurden über Jahrzehnte unterdrückt und benachteiligt. «Wir haben unser Bestes getan, um eine Lösung mit Bagdad und der internationalen Gemeinschaft zu finden», sagte Barsani.
«Bagdad hat uns nicht akzeptiert und uns damit dazu gezwungen, diesen Schritt zu machen», so Barsani. Es gebe kein Zurück zu dieser «gescheiterten Beziehung».
Barsani erklärte, er erwarte keine Zusammenstösse mit der irakischen Armee. Die kurdischen Peschmerga-Kämpfer seien aber bereit, auf jeden Angriff zu reagieren. Der Türkei und dem Iran sagte er zu, die Kurden würden ein Faktor für Stabilität in der Region sein und sich an internationale Grenzen halten.
Ölreicher Zankapfel
Die Abstimmung in der ölreichen, ethnisch gemischten Provinz Kirkuk ist besonders umstritten. Dieses Gebiet wird gleichermassen von der irakischen Regierung und den Kurden beansprucht. Die Peschmerga-Kämpfer konnten die Provinz im Zuge des Kampfes gegen die IS-Terrormiliz unter Kontrolle bringen.
sda/ap/mch
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