Auftritt des US-Vizepräsidenten in MünchenJ. D. Vance bleibt Erklärungen schuldig
Während die USA Europa in der Ukraine-Frage in die Ecke drängen, sorgt sich ihr Vizepräsident um die Meinungsfreiheit in Europa. Er hält die demokratischen Staaten für gefährlicher als Russland und China.
![US-Vizepräsident JD Vance spricht auf der 61. Münchner Sicherheitskonferenz am 14. Februar 2025.](https://cdn.unitycms.io/images/FIRDSMyJahPBhzzuLPa2Gg.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=Ha7dd6ixciw)
Es ging fast unter am Freitag, dass eine Drohne in das havarierte Kernkraftwerk von Tschernobyl gesteuert war, dass es zu einer Explosion gekommen war an dessen Schutzmantel, dass die Internationale Atomenergiebehörde auf den Plan gerufen wurde, um die Strahlungsgefahr zu messen. Die gab Entwarnung, doch zeigte der Vorfall eines deutlich: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine geht mit unverminderten Provokationen weiter, nicht ausschliesslich mit Bomben im Donbass, nicht ausschliesslich mit Bomben auf Städte in der Zentralukraine, am Schwarzen Meer, auch auf Atomkraftwerke zielt Russland.
Moskau erhält das Risiko einer Eskalation aufrecht, in München aber geht es vor allem um die USA, die gerade mit ihrer Überwältigungstaktik Europa überziehen. Tschernobyl wurde eine Randnotiz an der Sicherheitskonferenz, dem Davos der Sicherheits- und Krisenpolitik.
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Den vorläufigen Höhepunkt der US-amerikanischen Schockrhetorik lieferte der amtierende Vizepräsident der USA auf der Bühne im Hotel Bayerischer Hof. Seine Ansprache wurde zu einer Wutrede über Europas Demokratien, die er von Grund auf infrage stellte und mit nicht wenigen Anmassungen versah. Sein Amerika, gemeint war die neue Trump-Regierung, sei nun «the new sheriff in town», der neue Gesetzeshüter in der Stadt.
Es war erwartet worden, dass sich J. D. Vance Europa vornehmen würde in München. Dass er Brüssel, Berlin, Paris in ihrer Unentschlossenheit angreifen, mehr Verantwortung fordern würde. Gleichzeitig waren die Erwartungen hoch, dass er als Abgesandter Donald Trumps nach einer turbulenten Woche Klarheit über die Pläne seines Landes zum weiteren Vorgehen in der Ukraine schaffen würde. Denn US-Präsident Trump und sein Verteidigungsminister Pete Hegseth haben jüngst die Verhandlungen mit Russland über die Zukunft der Ukraine in die eigene Hand genommen – an der Ukraine und an Europa vorbei.
Vance hält sich nicht auf mit dem Thema Ukraine
Vance hielt sich nicht auf mit der Ukraine. Er forderte zwar, Europa müsse mehr Verantwortung tragen, in der militärischen Verteidigung etwa. Die freie Meinungsäusserung und die Zuwanderung beschäftigten ihn aber mehr. Vance zufolge ist Erstere in Europa massiv bedroht und Letztere das «grösste Problem».
Rumänien, sagte er empört, habe kürzlich seine Wahl für ungültig erklärt, wegen angeblicher russischer Einflussnahme. Dass eine Wahl derart beeinflusst werden könne, sage doch vor allem eines aus, meinte Vance: Wie schwach die Demokratie des Landes sei. Im Publikum sind viele irritiert über den Ton, den der Amerikaner anschlägt. Dass diese durch die Einflussnahme geschwächt worden war, fand keine Erwähnung.
Social-Media-Plattformen wie Tiktok zu verbieten, wertete Vance als Angriff auf die Meinungsfreiheit, eine nachgewiesene Verbreitung von Falschinformation mittels solcher Portale sparte Vance ebenfalls aus. Vance befand stattdessen, es müsse auch Rechts- und Linkspopulisten in München eine Bühne geboten werden. Als wolle man ihre unbequemen Wahrheiten ausschliessen, diese müssten aber doch Gehör finden.
![Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei der Ankunft zur 61. Münchner Sicherheitskonferenz am 14. Februar 2025 in München, begleitet von Sicherheitskräften und Fotografen. Im Hintergrund drängt US-Präsident Trump auf ein schnelles Ende des Konflikts, während Selenskyj Sicherheitsgarantien fordert.](https://cdn.unitycms.io/images/EYSAIwxHq3jA8NbhGLwh5I.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=qLxmjEYkCuc)
So entwickelte sich seine Rede zu einer Wahlkampfrede für die internationalen Rechten, wohlwissend um die anstehenden Wahlen in Deutschland am kommenden Sonntag, für die jüngst Elon Musk eine Wahlempfehlung abgegeben hatte (AfD). Vance selbst hatte kurz vor dem Münchner Treffen in einem Interview mit dem «Wall Street Journal» Deutschland eine Koalition mit der Partei von Alice Weidel empfohlen. Auch das ist neu, seit Trump seine Minister und Berater in die Welt loslässt – ungehemmte Parteinahme im Wahlkampf eigentlich verbündeter Staaten. Es war Vance erste derartige Reise als Vizepräsident, 2024 war er noch als Senator in München.
«Die Bedrohung, die mir am meisten Sorge macht», sagte Vance nun, «ist nicht Russland oder China, sondern es ist eine aus dem Inneren.» Der Vizepräsident der Vereinigten Staaten findet also die Partner in Europa gefährlicher als zwei Diktaturen, bei den Zuhörenden einmal mehr Innehalten, Stirnrunzeln, ungläubige Blicke.
Von der Leyen will höhere Verteidigungsausgaben
Dass man Vances Sorge in Europa naturgemäss anders sieht, machte kurz vorher EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen deutlich. Mit der Losung «Frieden durch Stärke», stellte sie noch einmal klar, wer eine Bedrohung darstellt. Russland, damit das nicht vergessen geht, ist der Aggressor in der Ukraine, er ist dort bislang keinen Zentimeter zurückgewichen – auch nicht, was das Ziel angeht, das Land als souveränen Staat zu zerstören. Russland führt ausserdem erwiesenermassen einen hybriden Krieg gegen europäische Staaten mittels Wahleinmischung, Sabotage und Spionage.
Die Losung, die also auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski ohne Unterlass fordert: Nur aus einer starken Verhandlungsposition heraus kann die überfallene Ukraine eine annehmbare Einigung für einen Waffenstillstand erzielen. Das erfordert zwingend: Sicherheitsgarantien der USA. Antworten darauf, Erklärungen zum US-Vorgehen in Sachen Ukraine blieb Vance schuldig. Es bleibt zu hoffen, dass er seinem Ruf gerecht wird, öffentlich härter aufzutreten und in Gesprächen hinter verschlossenen Türen zugänglicher zu sein.
Selenski hofft auf Gespräche hinter den Kulissen
Für Wolodimir Selenski war es ein schwerer Gang zur Sicherheitskonferenz. Zum Auftakt hatte er nicht die Hauptbühne, ausgerechnet, wo doch sein Land seit dieser Woche beim Beginn ihres eigenen Friedensverhandlungsprozesses als Zaungast zusehen muss. An einem kleineren Podium bekräftigte er, dass man jederzeit zu «echten Gesprächen» bereit sei, er hofft wohl vor allem auf Gespräche hinter verschlossenen Türen.
Es bleibt ihm derzeit nicht viel übrig. Jetzt, das muss er in München zur Kenntnis nehmen, muss sich Europa neu sortieren. Geht es nach von der Leyen, sollen dafür die Verteidigungsausgaben deutlich steigen, schliesslich stehen die Zeichen auf Aufrüstung: militärisch, aber auch gegen die USA, die sich in gut einer Woche vom Verbündeten zum wandelnden Risiko für Europa gewandelt haben.
Selenski wird am Samstag seinen grossen Auftritt bekommen, dann wird er wie 2024 auf der «main stage» erwartet. Ein kleiner Trost gegen die Beklemmung des ersten Konferenztages.
Weniger hingegen halfen die Gerüchte, die kursierten, es seien Kreml-Vertreter in der Stadt, um mit den Ukrainern und den US-Amerikanern zu Gesprächen zusammenzukommen. An der Konferenz selbst waren sie jedenfalls nicht, sie sind nicht akkreditiert, einzig Regimekritiker sind geladen, unter ihnen Julia Nawalnaja. Das bekräftigte Konferenz-Chef Christoph Heusgen noch am Morgen, kurz nachdem eine entsprechende Behauptung Trumps die Runde machte. Was aber in diesen Tagen abseits der Konferenz in Hotelsuiten geschieht – wer weiss es. Trump aber bewies auch aus dem fernen Washington, dass ihn Institutionen wie eine internationale Grosskonferenz nicht scheren und er seine eigene Agenda hat.
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