Parteien zum Unterschriften-Bschiss«Die Fälschungen untergraben das Vertrauen in die Demokratie»
Das Tricksen beim Unterschriftensammeln wühlt die Politik auf. Viele sind irritiert, dass der Bundesrat nicht informiert hat. Und jetzt? Diverse Massnahmen werden gefordert.

Die Schweiz ist stolz auf ihre direkte Demokratie. Umso schockierender ist für Parlamentarierinnen und Parlamentarier, was diese Redaktion aufgedeckt hat: Tausende von Unterschriften bei Volksinitiativen und Referenden wurden gefälscht. Professionell. In den letzten Monaten und Jahren ist es immer schlimmer geworden. Nun ermittelt die Bundesanwaltschaft.
«Jetzt hat unsere Demokratie ein Problem», sagt GLP-Präsident Jürg Grossen. «Es darf nicht sein, dass wir über Initiativen abstimmen, die gar nicht zustande hätten kommen dürfen.» Grossen spricht von einem «Scherbenhaufen», vor dem die Schweiz nun stehe.

Auch Lisa Mazzone, die Präsidentin der Grünen, ist schockiert: «Das zeigt, wohin es führt, wenn man aus der Demokratie ein Businessmodell macht.» Sie geisselt damit das Kaufen von Unterschriften bei professionellen Sammelfirmen. Die Linke wollte dies schon mehrfach verbieten, ist damit im Parlament aber unterlegen.
FDP-Präsident erwartet harte Strafen
Hätte der Bundesrat schon früher über die ihm bekannten Missstände informiert, hätten wohl viele Parlamentarierinnen und Parlamentarier anders gestimmt, ist Greta Gysin überzeugt. Sie präsidiert die Staatspolitische Kommission des Nationalrats und will das Thema für die Sitzung von Ende Woche traktandieren.
«Es wäre wichtig gewesen, die Öffentlichkeit über die Häufung von Unterschriftenfälschungen zu informieren und zu warnen», findet auch SP-Nationalrätin Nadine Masshardt. Und es ist nicht nur die Linke, die sich darüber ärgert. Mitte-Ständerat Daniel Fässler, der die Staatspolitische Kommission der kleinen Kammer präsidiert, pflichtet ihr bei. Er hätte erwartet, dass der Bundesrat das Parlament in Kenntnis setzt.

«Solche Fälschungen sind nicht nur strafbar, sondern untergraben auch das Vertrauen der Bevölkerung in unsere Volksrechte und die Demokratie», sagt FDP-Präsident Thierry Burkart. Er erwartet «harte Strafen» und fordert alle Sammelunternehmen auf, ihre Auswahlverfahren für bezahlte Sammlerinnen und Sammler «unverzüglich zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern».
Kauf von Unterschriften verbieten
Solche Fälschungen dürften in einer demokratischen Gesellschaft nicht passieren, findet Nadine Masshardt. Nun müsse sich die Geschäftsprüfungskommission des Themas annehmen. «Denn der Schutz unserer Demokratie und unseres politischen Systems ist zu wichtig, als dass wir einfach zum politischen Alltag übergehen können.»

FDP-Präsident Burkart erwartet nun vom Bundesrat «Vorschläge zum weiteren Vorgehen bei den betroffenen Vorlagen, auch bei Initiativen im Sammelstadium.»
Vor allem für die Linke ist klar, dass spätestens jetzt das Kaufen von Unterschriften bei externen Firmen verboten werden muss. «Die Demokratie sollte nicht vom Portemonnaie abhängig sein», sagt Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone. Das sieht auch SP-Nationalrätin Masshardt so. Und Mitte-Ständerat Fässler würde ein solches Verbot «sofort unterstützen».
Lizenz für professionelle Sammler
GLP-Präsident Grossen hingegen ist «grundsätzlich zurückhaltend bei Verboten». Kleinere Organisationen oder Parteien hätten es ohne professionelle Hilfe beim Unterschriftensammeln schwer. FDP-Präsident Burkart sagt nichts zu einem allfälligen Verbot von gekauften Unterschriften. Und Mitte-Präsident Gerhard Pfister will erst die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft abwarten. Es brauche überdies eine Stellungnahme der Bundeskanzlei, wie sie künftig Unterschriftenfälschungen verhindern wolle.

SP-Nationalrat Roger Nordmann schlägt vor, dass die Bundeskanzlei bei verdächtigen, bereits durchgewinkten Initiativen nachträglich eine grössere Stichprobe von Unterschriftenbögen vornimmt. Und die Unterzeichnenden fragt, ob die Unterschrift von ihnen ist und ob es ihre Absicht war, das entsprechende Volksbegehren zu unterzeichnen. Nur so könne das Vertrauen wiederhergestellt werden.
Grossen könnte sich vorstellen, künftig elektronisch Unterschriften zu sammeln, sobald diesbezüglich eine sichere und funktionierende Lösung bereitsteht. Auch Mazzone findet, es sei «höchste Zeit für ein E-Collecting».
Der frühere Bundesratssprecher Oswald Sigg schlägt vor, das bezahlte Sammeln zu regulieren: «Wer gegen Entgelt Unterschriften sammelt, sollte über eine Lizenz des Bundes oder eines Kantons verfügen.» Die Behörden müssten prüfen, ob der Gesuchsteller einige Grundvoraussetzungen erfüllt. «Es braucht gewisse Standards», findet Sigg. Zum Beispiel müssten die Sammlerinnen und Sammler geschult werden, auch dass sie die Vorlagen kennen, für die sie sammeln.
Sigg hat selbst als Mitinitiant bei fünf Volksinitiativen mitgewirkt und Unterschriften gesammelt. Und er arbeitet derzeit an einem Buch über die Rolle des Geldes in der Politik unter dem Titel: «Kommerzielle Demokratie».
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