Analyse zum Palästinenser-HilfswerkWas die Lehre aus dem UNRWA-Skandal ist – und was nicht
Die Vorgänge sind unverzeihlich. Der Skandal fällt in eine Zeit, in der ohnehin viele mit der UNO hadern. Dennoch ist sie die wichtigste Vereinigung der Erde.
Das vielleicht grösste Problem der Vereinten Nationen ist, dass permanent die falschen Erwartungen an sie gestellt werden. Oder zu viele verschiedene Erwartungen auf einmal. Das führt dazu, dass grundsätzlich jemand unzufrieden ist mit der Arbeit der Organisation, oft sogar sämtliche Mitglieder zugleich.
Westliche Staaten bezeichnen die UNO regelmässig als aufgeblasen und ineffizient. Länder des globalen Südens betrachten die Vereinigung als undemokratisch und von den Reichen dominiert. Beide Gruppen haben recht. Die UNO ist ein bürokratischer Monsterapparat, in dem immer wieder einmal Korruptionsfälle vertuscht werden. Man kann darüber verzweifeln, und das noch bevor man auch nur einen einzigen Gedanken an die bizarre Struktur des Sicherheitsrats verschwendet hat, das nominell wichtigste Gremium der UNO.
Nicht perfekt, aber nötig
Der zweite UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld hat einmal gesagt, die Vereinten Nationen seien nicht gegründet worden, um die Menschheit in den Himmel zu führen, sondern um sie vor der Hölle zu bewahren. Dieser Satz sollte jedes Mal wieder hervorgeholt werden, wenn die Kritik wie im Moment von allen Seiten auf die Organisation einprasselt. Die UNO wird es nicht nur niemals allen recht machen, sie macht es meistens niemandem recht. Dennoch ist sie die wohl wichtigste Vereinigung des Erdballs.
Gegründet wurde sie 1945 unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs, als 50 Staaten die UNO-Charta unterzeichneten. Heute sitzen Diplomatinnen und Diplomaten aus 193 Ländern im Hauptquartier am New Yorker East River, das von innen zum Teil so aussieht wie eine Hommage an das Design der Siebzigerjahre.
Nirgends sonst kommt die Weltgemeinschaft auf so engem Raum zusammen, die UNO bietet einerseits die grosse Bühne für die grossen Debatten, sie bietet andererseits ein Forum für stille Diplomatie, wenn hinter den Kulissen ausgehandelt wird, worauf man sich abseits der Fensterreden tatsächlich verständigen kann.
Rücktritt von Guterres gefordert
Im Moment sitzt die Organisation mal wieder zwischen allen Stühlen. Einige Mitglieder ihres Hilfswerks für die Palästinenser (UNRWA) haben sich am Terroranschlag auf Israel am 7. Oktober beteiligt. Der israelische Aussenminister Israel Katz hat daher den Rücktritt von UNO-Generalsekretär António Guterres gefordert. Einige Staaten stellten ihre Unterstützung für UNRWA vorübergehend ein. Es handelt sich um einen handfesten Skandal, die Kritik an der Organisation ist berechtigt. Was derweil kaum gesehen wird: Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von UNRWA in Gaza ausharren, um humanitäre Hilfe zu leisten; Dutzende von ihnen sind in dem Konflikt getötet worden.
Die Lage im Gazastreifen zeigt, dass die UNO bisweilen nicht einmal die Minimalforderung von Dag Hammarskjöld erfüllt. Das Gebiet ist längst zur Hölle geworden, das konnte die UNO nicht verhindern. Doch immerhin lindert sie Leid, ohne ihr Wirken wäre die Lage noch schlimmer, so schwer vorstellbar das ist.
Ein Versagen wie in Srebrenica
Dass einige UNRWA-Leute den Terroristen der Hamas halfen, ist unverzeihlich. In der Geschichte der UNO zählt das zu den grossen Momenten des Versagens, wie die Untätigkeit bei den Völkermorden in Ruanda und in Srebrenica in den Neunzigerjahren. Doch niemand kann der UNO absprechen, dass sie im Grundsatz eine Organisation ist, die stets das Gute will.
Sie hilft in Hungersnöten, sie liefert medizinische Hilfsgüter in Krisenregionen, sie setzt sich für den Klimaschutz ein, und das Kinderhilfswerk Unicef hat in den vergangenen Jahrzehnten Millionen Kindern Zugang zu Bildung ermöglicht. Zudem benennen die Vereinten Nationen Verstösse gegen das Völkerrecht. Mehr als 140 Mitgliedsstaaten haben zum Beispiel in der Generalversammlung Russlands Überfall auf die Ukraine verurteilt. Solche Resolutionen bleiben oft unmittelbar folgenlos, da sie nicht rechtlich bindend sind, und die einfallsloseren unter den Kritikern bemühen dann gern das Bild vom zahnlosen Tiger. Dennoch sind diese symbolischen Akte wichtig. In der Generalversammlung spricht die Stimme der Welt, und die Hoffnung muss immer sein, dass sie eines Tages gehört wird.
Stimmen aus Afrika und Südamerika
Das Gegenstück zur Generalversammlung ist der Sicherheitsrat, in dem die fünf Vetomächte oft Stillstand herbeiführen, vor allem die USA, Russland und China, mit Abstrichen Frankreich und Grossbritannien. Seit vielen Jahren gibt es Bemühungen, das Gremium zu reformieren. Bisher scheitern alle Reformvorschläge an den Vetomächten, die kein Interesse daran haben, ihre Macht zu teilen.
Doch auch hier muss das Prinzip Hoffnung gelten: Eines Tages wird der Druck so gross sein, dass es zu einer zeitgemässen Neuorganisation des Sicherheitsrats kommt, sodass auch Stimmen aus Afrika und Südamerika permanent in dem Gremium vertreten sind.
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