Unia: Alle Löhne müssen steigen
Über eine 2-prozentige generelle Erhöhung der Einkommen hinaus verlangt der Schweizerische Gewerkschaftsbund ein Plus von mindestens 50 Franken für jede berufstätige Frau.
Nachholbedarf– kein anderes Wort ging den Gewerkschaftsvertretern öfter über die Lippen, als sie gestern in Bern ihre Forderungen für die Lohnrunde 2019/20 präsentierten. Aufzuholen gilt es nach ihrem Dafürhalten in zweierlei Hinsicht: einmal bei der Kaufkraft der Arbeitnehmenden, nachdem die Löhne in den Jahren 2017 und 2018 inflationsbereinigt gesunken sind. Zum andern bei den Frauenlöhnen, die weiterhin merklich hinter den Salären männlicher Beschäftigter hinterherhinken.
Aus dieser Bestandsaufnahme leiten die Mitgliedsverbände des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) ihr Forderungspaket ab: Generelle Lohnerhöhungen von 2 Prozent sowie darüber hinaus ein zusätzlicher Lohnzuwachs für Frauen.
Die Gewerkschaft Unia will in den von ihr betreuten Branchen – etwa im Detailhandel, in der Maschinen- und Metallindustrie sowie der Chemie- und Pharmabranche – ein Lohnplus für Frauen von monatlich mindestens 50 Franken verlangen. Syndicom, welche die Branchen Medien, Logistik sowie Informations- und Kommunikationstechnik abdeckt, nannte gestern keine konkrete Zahl für die Anhebung der Frauenlöhne.
«Es gibt Spielraum für Lohnerhöhungen»
Mit seiner 2-Prozent-Vorgabe liegt der SGB gleichauf mit den Lohnforderungen des Arbeitnehmerdachverbands Travailsuisse, die dieser bereits Mitte August vorgelegt hatte. Von einer Zusatzforderung betreffend die Frauenlöhne hatte Travailsuisse abgesehen.
«In einem Land, das in den letzten zwei Jahren ein starkes Wirtschaftswachstum, hohe Gewinnmargen der Firmen, eine moderate Arbeitslosigkeit, deutliche Überschüsse der öffentlichen Hand und gleichzeitig Reallohnsenkungen kannte, gibt es Spielraum für Lohnerhöhungen», machte SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard vor Medienvertretern deutlich.
Angesichts aufkeimender Rezessionsängste plädierte Maillard dafür, auf bewährte Instrumente zur Ankurbelung der Wirtschaft zu setzen:«Lohnerhöhungen und die Weiterentwicklung der sozialen Sicherheit». Dies sei anderen Ideen klar vorzuziehen, wie etwa der Verteilung von Geld direkt an die Bevölkerung – das sogenannte Helikoptergeld.
Apropos Rezessionsängste: Aus Sicht von Daniel Lampart, Chefökonom des SGB, wird die Lage in der Schweiz«zu schwarz gemalt». Gewiss sei 2019«kein Superjahr». Gleichzeitig suchten die Firmen aber so viele Arbeitskräfte wie nie in den letzten zehn Jahren. Lampart verwies ferner auf die Umfragen der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, denen zufolge nahezu alle Branchen ihre Geschäftslage als gut oder zumindest befriedigend einstuften.
Die Industrie habe sich zuletzt abgekühlt, räumte der SGB-Chefökonom ein. Das gelte insbesondere für die Zulieferer der deutschen Autohersteller. Doch selbst hier hätten sich die Geschäftserwartungen laut den KOF-Umfragen stabilisiert, und die Industriefirmen rechneten für die kommenden Monate wieder mit leicht anziehenden Exporten, wie Lampart ergänzte.
Der Chefökonom des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, Simon Wey, hat freilich eine etwas andere Sicht der Dinge. Der Handelsstreit zwischen den USA und China und der ungewisse Ausgang des Brexit «hängen (...) wie ein Damoklesschwert über der Weltwirtschaft», schrieb Wey kürzlich in einem Zeitungsbeitrag. Für die hiesigen Unternehmen kämen noch die Unsicherheiten rund um das Rahmenabkommen mit der EU und den Abstimmungsausgang der Kündigungsinitiative im nächsten Jahr hinzu.
Als Indiz für die miese Stimmung in den Firmen zog Wey den Einkaufsmanagerindex heran; dieser gilt unter Experten als einer der verlässlichsten Konjunkturindikatoren. Im Juli glitt der Index für den Schweizer Industriesektor auf den tiefsten Stand seit dem Krisenjahr 2009 zurück. Angesichts dieser Ausgangslage sieht der Arbeitgebervertreter «wenig Spielraum für Lohnverhandlungen».
Erhoffter Rückenwind vom Frauenstreik
Die von den Sozialpartnern abgesteckten Verhandlungspositionen sprechen nach Einschätzung von Daniel Lampart für eine «harte Lohnrunde». Dass die gewerkschaftlichen Verhandlungsführer in den Betrieben unter erheblichem Erwartungsdruck der Mitgliederbasis stehen, «kann uns nur recht sein», so der SGB-Mann.
Unia-Präsidentin Vania Alleva hielt den Arbeitgebern vor, «trotz guter Konjunktur auf der Lohnbremse zu stehen». In den beiden zurückliegenden Jahren seien die Reallöhne insgesamt um 0,5 Prozent gesunken, während gleichzeitig die Arbeitsproduktivität um fast 5 Prozent zugelegt habe.
Die Entwicklung der Arbeitsproduktivität bestimmt mittel- bis längerfristig den Verteilungsspielraum zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Der Fairness halber sei darauf hingewiesen, dass die Reallöhne in den Jahren 2015 und 2016 stärker gestiegen sind als die Arbeitsproduktivität.
Auslöser hierfür war die Aufhebung des Euromindestkurses Anfang 2015. Obwohl die Unternehmen dadurch stark an preislicher Wettbewerbsfähigkeit einbüssten, verzichteten sie weitgehend auf Lohnkürzungen und Stellenstreichungen. Mit andern Worten: Der «Frankenschock» wurde grösstenteils über die Gewinnmargen der Firmen abgefedert. Insofern stellten die beiden vergangenen, aus Arbeitnehmersicht enttäuschenden Lohnrunden eine Kompensation für die Arbeitgeber dar.
Rückenwind erhoffen sich die Gewerkschaften von der enormen Mobilisierungskraft, die der Frauenstreik von Mitte Juni freisetzte. «Die Unternehmen müssen sich der Reputationswirkung im Publikum bewusst sein, wenn sie sich nicht endlich bewegen, um das Gefälle zwischen Männer- und Frauenlöhnen einzuebnen», sagte Syndicom-Chef Daniel Münger. Gleichzeitig ist er überzeugt davon, dass die Arbeitnehmervertreter beim Thema Lohndiskriminierung in manchen Unternehmen auf offenere Ohren stossen würden.
Abgesehen von den geforderten ergänzenden Lohnsteigerungen von 50 Franken bei Frauensalären – in Betrieben mit besonders tiefen Frauenlöhnen sollen es auch mehr sein – will sich die Unia laut Vania Alleva für «systematische Lohnanalysen in allen Betrieben» starkmachen.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch