Ungewöhnliches TierexperimentMenschliche Stimmen versetzen Zebras und Giraffen in Todesangst
Forscher wollten wissen, wer für Wildtiere furchteinflössender ist, Menschen oder Löwen. Das Ergebnis: Der Mensch dürfte für die Artenvielfalt noch viel schädlicher sein als bisher angenommen.
Der Mensch ist ein schreckliches Raubtier. Dabei sieht er eigentlich ganz harmlos aus. Viel harmloser als zum Beispiel ein Löwe, der deutlich grösser und schneller ist. Trotzdem haben Giraffen, Zebras, Warzenschweine, Antilopen, Hyänen, Leoparden und viele andere grössere Angst vor Menschen als vor Löwen. Allein menschliche Stimmen zu hören, versetzt fast alle Tiere in Todesangst.
Das hat ein ungewöhnliches Experiment der kanadischen Biologin Liana Zanette mit wilden Tieren im Kruger-Nationalpark ergeben, dem grössten Schutzgebiet Südafrikas. Die Wissenschaftlerin und ihr Team spielten 19 verschiedenen Tierarten menschliche Stimmen und das Knurren von Löwen vor und verglichen die Reaktionen. «Wir wollten herausfinden, ob Menschen furchteinflössender sind als das furchteinflössendste nicht menschliche Raubtier», sagt Michael Clinchy, der an der Studie beteiligt war, die gerade im Wissenschaftsjournal «Current Biology» erschienen ist.
Für ihr Experiment installierten die Forschenden einen Lautsprecher und eine Kamera etwa zehn Meter von verschiedenen Wasserlöchern entfernt. Sobald Tiere zum Trinken kamen, schalteten sich beide Geräte mithilfe eines Bewegungsmelders automatisch ein. «Wir haben die Kamera in einer bärensicheren Box verstaut», sagt Zanette. Es gebe zwar in Südafrika keine Bären, aber die Box schütze auch vor Hyänen und Leoparden, «die gerne darauf herumkauen».
«Die Angst vor Menschen ist tief verwurzelt und allgegenwärtig.»
Obwohl die menschlichen Stimmen nicht aggressiv waren – es waren lediglich Aufnahmen von Radiosendungen in verschiedenen landestypischen Sprachen –, lösten sie bei 18 von 19 beobachteten Tierarten im Schnitt doppelt so häufig eine Fluchtreaktion aus wie das Löwenknurren. «Die Angst vor Menschen ist tief verwurzelt und allgegenwärtig», sagt Clinchy.
Die einzige Ausnahme waren Elefanten: Auch sie rannten beim Klang menschlicher Stimmen zwar oft weg, stoppten dann aber meist und kehrten zur Wasserstelle zurück. Elefanten haben auch keine grosse Angst vor Löwen: «Die Löwengeräusche machten einen Elefanten eines Nachts so wütend, dass er den Lautsprecher und die Kamera angriff und zerstörte», erzählt Zanette.
Der Mensch: Eine Art Super-Raubtier
Biologen sprechen von «landscape of fear», einer Landschaft der Angst, die dadurch entsteht, dass Orte und ganze Regionen für Tiere praktisch unzugänglich werden, weil sich dort Menschen aufhalten. Der Homo sapiens ist für wild lebende Tiere wahrscheinlich noch viel schädlicher, als man bisher dachte – zusätzlich zu den bekannten Gründen für das Artensterben wie Jagd, Zerstörung von Lebensraum und Klimawandel.
Wer sich zum Beispiel wie die Tiere in der Studie mitten in der Trockenzeit nicht traut, zu einem Wasserloch zu gehen, um daraus zu trinken, kann im Extremfall verdursten. Der Mensch ist also kein normales Raubtier, sondern eine Art Super-Raubtier, das schon durch seine blosse Anwesenheit tötet.
Fehler gefunden?Jetzt melden.