Unfall mit Assistenzsystem«Die Leute vertrauen auf den Autopiloten und wähnen sich in Sicherheit»
Ein Lenker ist auf der Autobahn mit eingeschalteter Fahrassistenz mit Vollgas in einen Prellbock gefahren. Werden Autopiloten in der Schweiz zum Sicherheitsrisiko?
Ein 33-Jähriger fährt mit seinem Mercedes ungebremst in einen stehenden Prellbock – und das auf der Autobahn. Dieser Unfall hat sich am Mittwochmorgen in Kölliken AG ereignet. Offenbar fuhr der Lenker mit eingeschaltetem Assistenzsystem – und verliess sich zu sehr darauf. Er kam mit leichten Verletzungen davon.
In der Schweiz tragen Autofahrende die Verantwortung, auch wenn sie Fahrassistenzsysteme nutzen. Werden die Systeme trotzdem ein Risiko für Unfälle?
Stephan Roth ist Fahrexperte beim Schweizer Verkehrssicherheitszentrum in Safenwil. Er sieht mehrere mögliche Erklärungen für solche Unfälle. Der Lenker könnte aufs Gas gedrückt und das Assistenzsystem übersteuert haben. Vielleicht blendete die Sonne in die Kamera und schaltete sie aus. Dies sollte der Lenker normalerweise merken, denn er bekommt einen Warnhinweis.
Die Verantwortung liegt beim Menschen
Beim Unfall in Kölliken müssten die Ermittlungen abgewartet werden. «Das Problem ist: Die Leute vertrauen zu sehr auf den Autopiloten, sie wähnen sich in falscher Sicherheit», sagt Roth. Fahrassistenten seien dafür konzipiert worden, Schäden bei einem Unfall zu minimieren, manchmal auch zu verhindern. Doch die Verantwortung liege immer bei den Lenkerinnen und Lenkern. Diese sollten nie einem Assistenzsystem blind vertrauen. «Es kommt häufig vor, dass jemand den Autopiloten einschaltet und dann eine Nachricht auf dem Smartphone schreibt oder dem Kind im Rücksitz einen Nuggi gibt – das sollte man unterlassen», so Roth. «Eine Fahrassistenz ist keine Garantie.»
Die Aargauer Kantonspolizei ist zurzeit damit beschäftigt, den Unfallhergang zu untersuchen. «Der Lenker hatte Glück, die ganze Wucht wurde vom Prellbock aufgefangen», sagt Mediensprecher Bernhard Graser. Übrig bleibe ein Sachschaden von 100’000 Franken. Gemäss Graser kommen Kollisionen mit einem Prellbock hin und wieder vor, «aber nicht in dieser Art». Derart frontal und ungebremst in einen Prellbock zu fahren, sei höchst selten. Wie oft Unfälle aufgrund von fehlerhaften Assistenzsystemen vorkommen, ist unklar. Das Bundesamt für Strassen (Astra) teilt mit, dass in der Unfallstatistik keine entsprechende Rubrik gelistet sei. Auch bei den Versicherungen fehlen solche Zahlen.
Teil-, bedingt, hoch und voll automatisiert
Aus technischer Sicht gibt es einen Unterschied zwischen Assistenz- und Automatisierungssystemen. Zu den Assistenzsystemen gehört beispielsweise der Tempomat oder das Spurhaltesystem. Diese Systeme können heute punktuell und zeitlich begrenzt auf Schweizer Strassen eingesetzt werden. «Immer unter der Prämisse, dass der Mensch am Lenkrad jederzeit die Kontrolle über ein Fahrzeug hat», wie es beim Astra heisst.
Fahrzeuge können teil-, bedingt, hoch und voll automatisiert (selbstfahrend) sein. Ein bedingt automatisiertes Auto kann für einen Zeitraum die Führung teilweise oder ganz übernehmen und diese auch wieder an die Fahrerin oder den Fahrer zurückgeben. Im Gegensatz dazu verkehren voll automatisierte Autos jederzeit selbstständig.
«Auf Schweizer Strassen ist aktuell Level 2 möglich», sagt Thomas Rohrbach vom Astra. Das heisst: teilautomatisierte Autos. Das System kann für eine kurze Zeit oder in speziellen Situationen wie beispielsweise dem Überholen auf der Autobahn die Führung des Fahrzeugs übernehmen. Künftig werde sich das aber ändern. Diesen Frühling hat das Schweizer Parlament die Revision des Strassenverkehrsgesetzes beschlossen und darin auch die Grundlage für das automatisierte Fahren geschaffen. Nun muss der Bundesrat die Details auf Verordnungsstufe regeln. «Wir gehen heute davon aus, dass die neue Verordnung – nach erfolgter Vernehmlassung – voraussichtlich Mitte 2025 in Kraft treten wird», sagt Rohrbach. So würden auch (teil-)automatisierte Fahrten auf Level 3 und später auch Level 4 unter klar definierten Bedingungen möglich. Auch dann soll aber die volle Verantwortung beim Lenker oder der Lenkerin bleiben.
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