Küng erinnert sich an den Concorde-FlugUnd wir dachten, die Zukunft sei schillernd!
Unser Kolumnist findet eine Menükarte aus dem Überschalljet.
Früher, so sagt man dann und wann – und gerne auch mit jammerndem Unterton –, sei alles besser gewesen. Das ist natürlich Blödsinn. Früher war nicht alles besser – manches aber schon. Vor allem aber waren viele Dinge schlichtweg anders. Vornamen beispielsweise. Am 17. Juni vor 1222 Jahren kam Drogo von Metz zur Welt, ein Sprössling von Karl dem Grossen und seiner Konkubine Regina. Drogo! Nicht einmal der avantgardistischste aller avantgardistischen Drogeriebesitzer würde seinen Sohn noch so taufen. Ebenfalls heute feiert Fulko der Ehrwürdige, allerdings seinen Todestag, den 1123. um genau zu sein, und nicht zu verwechseln mit dem Baron Fulk von Bouillon (* vor 1175; † nach 1211), wobei Bouillon in diesem Fall einen kleinen Ort im Südosten Belgiens bezeichnet (5433 Einwohner) und keine Fleischbrühe mit oder ohne Einlage. Wer heisst heute noch Fulko, Fulk oder Drogo?
Doch die Dinge waren auch vor weniger als tausend Jahren anders, dies durfte ich feststellen, als ich mein Büro aufräumte. In einer Schachtel mit der handschriftlichen Aufschrift «Pleistozän» fand ich alte Papiere, Zeugnisse aus der Primarschulzeit etwa, oder die mit Schreibmaschine getippte Menükarte meines Konfirmationsessens im Bad Maisprach. Es gab damals Bouillon mit Einlage, gefolgt von Kalbssteak mit Morchelrahmsauce und Nüdeli, was mich überrascht, denn in meiner Erinnerung war ich damals als Folge der emotionalen Überlastung durch die jährlichen Hausschlachtungen Adoleszenzvegetarier. Nun stellt sich die Frage, was die Wahrheit spricht und was lügt: das alte Dokument oder meine Erinnerung?
In jener Schachtel fand ich eine weitere Menükarte, die eines Transatlantikflugs. Es ist nicht so, dass ich alle Menükarten aller Flüge aufgehoben hätte, denn das Essen in den Flugzeugen ist ja in den seltensten Fällen erinnerungswürdig, und wenn doch, dann eher aus negativen Gründen – eine der wenigen Konstanten der letzten Dekaden. Der Grund der Archivierung der Menükarte ist den besonderen Umständen des Flugs geschuldet, denn ich musste mich mit dem Essen beeilen: Die Concorde brauchte von New York nach Paris bloss drei Stunden. Das Essen war auch nicht outstanding, sondern einfach sehr gutes Fast Food im wahrsten Sinn des Wortes (und es gab Weine, die pro Flasche mehr kosteten als heute Easyjet-Flüge).
Aber ich erinnere mich gerne an den Flug mit der Concorde in hoher Höhe (18’000 Meter), die krumme blaue Erde unter, die beginnende Schwärze des Weltalls über mir. Die Concorde erinnert mich an eine Vergangenheit, in der man dachte, die Zukunft sei etwas Schillerndes, Glänzendes, auf das man mit freudiger Erregung in doppelter Schallgeschwindigkeit drauf zu düste. Nun aber wissen wir ja leider: Die Dinge sind kompliziert geworden. Und das Beispiel Concorde zeigt: Dinge waren früher nicht besser, sie waren wohl einfach einfacher, weil wir dümmer waren. Und vor allem waren sie noch etwas: schöner – zumindest was die Form von Flugzeugen angeht.
Apropos schön: Heute feiern auch Lisa und Lena Mantler Geburtstag, die von Gott mit zwei strahlend weissen Dauergrinsgebissen und vier schlangenschlanken Beinen ausgestatteten christlichen Influencer-Zwillinge, die auf Instagram 19’600’000 Follower vorweisen und Werbung nicht nur für den Herrn im Himmel machen, sondern auch für Ferien auf den Malediven, Lockenwickler oder fesche Fashion.
Lisa und Lena sind nicht Drogo und Fulko und auch nicht die Concorde, aber definitiv 21. Jahrhundert. In diesem Sinne: Alles Gute!
Max Küng ist Reporter bei «Das Magazin».
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