GastkommentarUnd wenn das Virus doch aus einem Labor stammt?
Diese Woche ebnete die Weltgesundheitsversammlung den Weg für eine unabhängige Untersuchung der Corona-Krise. Die ist auch dringend nötig.
Die Theorie einer absichtlichen Verbreitung von Covid-19 wurde von nahezu allen Forschenden rasch und zu Recht ins Reich der Desinformation verbannt. Alles deutet auf ein natürliches Überlaufen des Virus vom Tier zum Menschen hin. Aber wie und wo dieser «Spillover» stattgefunden hat, ist unklar.
Gemäss weit verbreiteter Ansicht war ein Nassmarkt in Wuhan Ort des Geschehens. In chinesischen Nassmärkten werden Tiere aller Art, also auch Wildtiere, geschlachtet und auf der Strasse verkauft. Sie bieten einem Virus ideale Bedingungen, von einer Spezies zur nächsten zu springen. Im Nu präsentierte China Verbindungen zwischen Erstinfizierten und dem Nassmarkt in Wuhan.
Könnte die verheerende Pandemie Quittung für unzureichende Labor-Sicherheitsmassnahmen sein?
Allerdings konnte eine Studie bei drei der vier ersten Erkrankungen, einschliesslich des allerersten bekannten Falls, keine Verbindung zum Nassmarkt feststellen. Damit rückten die beiden in Wuhan operierenden Forschungsinstitute als weitere plausible Quelle der Virenfreisetzung in den Vordergrund: Könnte die verheerende Pandemie Quittung für unzureichende Labor-Sicherheitsmassnahmen sein?
Könnten sich Coronaviren-Forscher unwissentlich infiziert haben, die danach – wenn auch ohne selber Krankheitssymptome zu haben und unabsichtlich – weitere Personen ansteckten? Oder könnten unsachgemäss entsorgte Abfälle oder Tierkadaver aus der Forschung, von Ratten oder Katzen vertilgt, Ursprung des Spillovers sein?
Obwohl diese Art Forschung auf höherer Biosicherheitsstufe erfolgt, sind Laborunfälle nie ausgeschlossen.
Da die meisten Coronaviren beim Menschen höchstens eine Erkältung verursachen, arbeiten Labors weltweit mit diesen Viren auf der Biosicherheitsstufe 2 von vier Sicherheitsstufen. So arbeitet das «Wuhan Center for Disease Control» mit Coronaviren auf dieser tiefen Sicherheitsstufe – wohlgemerkt wenige hundert Meter vom Nassmarkt entfernt. Ebenso wird in der Nähe am Wuhan Institute of Virology intensiv an Coronaviren geforscht. Das Institut verfügt über die weltweit grösste Sammlung von Coronaviren.
Um Heilmittel zu entwickeln, werden Viren genmanipuliert und Labortiere infiziert. Obwohl diese Art Forschung auf höherer Biosicherheitsstufe erfolgt, sind Laborunfälle nie ausgeschlossen. Solche Experimente bergen das Risiko einer unabsichtlichen Freisetzung. Die Forscher bewegen sich also auf einem schmalen Grat zwischen Heilmittelentwicklung und von Menschenhand herbeigeführter Krankheit.
China treibt bekanntlich seit Beginn der Krise seine eigene Version der Geschichte voran.
Solche Fragen sind berechtigt, zumal der Volksrepublik China im Allgemeinen und den beiden erwähnten Instituten in Wuhan im Speziellen in Sachen Sicherheit Handlungsbedarf attestiert wird. Zusätzliche Brisanz schaffen Pekings systematische Ablenkungsmanöver von der Möglichkeit eines Forschungsunfalls.
China treibt bekanntlich seit Beginn der Krise seine eigene Version der Geschichte voran. Im Zuge dessen wurde unmittelbar nach Ausbruch des Virus die Forschungstransparenz empfindlich eingeschränkt. Auf den Websites der Institute in Wuhan fehlten bald einschlägige Inhalte. Mittlerweile muss die Veröffentlichung relevanter wissenschaftlicher Arbeiten von Beamten der Zentralregierung genehmigt werden. Vor diesem Hintergrund wurden Rufe nach Aufklärung lauter.
Es gilt, in stürmischer See zwischen nationalistischer Propaganda und pauschaler Schuldzuweisung zu navigieren.
Diese Woche beschloss die Weltgesundheitsversammlung eine internationale Untersuchung. Um den Spillover zu ergründen, ist eine virologische und epidemiologische Analyse zentral. Ebenso wichtig ist aber eine forensische Untersuchung vor Ort zwecks Klarstellung der Ereigniskette; und zwar, bevor alle Spuren verwischt sind. Gerade letzteres wird infolge der Politisierung der Corona-Krise schwierig sein. Es gilt, in stürmischer See zwischen nationalistischer Propaganda und pauschaler Schuldzuweisung zu navigieren.
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