Präsidentschaftswahlen in PolenUnd plötzlich wankt der konservative Präsident
Amtsinhaber Andrzej Duda steuerte lange einem vermeintlich sicheren Wahlsieg entgegen. Doch jetzt hat sein liberaler Herausforderer in den Umfragen deutlich aufgeholt.
Es gab Zeiten, da wäre das Lob eines US-Präsidenten in Polen anstandslos als Gütesiegel verstanden worden, aber diesmal ist das nicht ausgemacht. «Ich glaube, er hat eine Wahl vor sich, und ich denke, er wird sehr erfolgreich sein», sagte Donald Trump in Washington über Andrzej Duda. Es geht um viel für Polens Präsidenten, nicht nur um das Verhältnis zu den USA. Duda will die konservative Mehrheit in Polen sichern; am Sonntag ist Präsidentenwahl, das Rennen dürfte knapper werden als erwartet.
Duda führt nach den Umfragen in Polen mit 40 Prozent der Stimmen, aber das sind weit weniger als jene 60 Prozent, bei denen er auch schon mal stand. Es sieht so aus, als würde ihn sein grösster Herausforderer in eine Stichwahl am 12. Juli zwingen. Rafał Trzaskowski, 48, gleich alt wie Duda, ist erst vor zwei Jahren mit grossem Vorsprung zum Warschauer Bürgermeister gewählt worden, nun greift er schon nach dem Präsidentenamt. Er kommt in den Umfragen auf etwa 30 Prozent. Die anderen neun Kandidaten gelten als chancenlos.
«Wir haben genug»
Die Präsidentenwahl sollte eigentlich bereits am 10. Mai stattfinden, wurde wegen der Pandemie und nach heftigem Streit zwischen den Lagern jedoch verschoben. Die oppositionelle Bürgerkoalition (KO) nutzte die Gunst, servierte ihre bisherige, schwach wirkende Kandidatin ab und nominierte den liberalen Warschauer Bürgermeister Trzaskowski. Innerhalb von einer Woche reichte er nach eigenen Angaben mehr als 1,5 Millionen Unterschriften ein, gefordert waren 100’000. Seitdem zieht er mit der Kampagne «Mamy dość» («Wir haben genug») durchs Land.
Trzaskowski will Polens konservativ-populistischen Kurs beenden. Dieser hat zum Dauerstreit mit der EU geführt, weil die Justizreform den Rechtsstaat in Polen auszuhöhlen droht. Präsident Duda hat die umstrittenen Gesetze der PiS-Regierung loyal mitgetragen. Das Präsidentenamt in Polen umfasst zwar nicht die Machtfülle wie etwa in den USA, aber ein Wechsel würde es der PiS-Regierung erheblich erschweren, Gesetze wie bisher durchzubringen.
Doch Duda hält noch immer viele Trümpfe, auch wenn Trumps Lob eher nicht dazugehört. Polens Präsident ist in den vergangenen Wochen auf dem Land gereist, vor allem dort lebt seine grosse Wählerbasis. Die dankt den Konservativen und damit auch Duda für all jene Verbesserungen, die sich vor allem finanziell bemerkbar machen: Rentner erhalten mehr Geld, erstmals wurde für Familien ein Kindergeld von knapp 120 Franken pro Kind eingeführt, der Mindestlohn ist erhöht worden und das Renteneintrittsalter gesenkt.
Solche grosszügigen Investitionen in die Sozialsysteme haben sich bisher an Wahltagen für die PiS ausgezahlt. Deshalb fiel in diesen Bevölkerungsgruppen die Empörung gedämpfter aus, wenn es in Warschau um Gesetze ging, die aus Sicht der Liberalen die Unabhängigkeit der Justiz beenden und die EU aufschreckten.
«Ich glaube, Duda hat eine Wahl vor sich, und ich denke, er wird sehr erfolgreich sein.»
Trzaskowski will deshalb die sozialen Fortschritte seiner politischen Gegner auch gar nicht antasten. Um Chancen zu haben, in einem zweiten Wahlkampf Duda zu besiegen, müsste er auch einen grossen Teil der polnischen Wähler auf dem Land für sich gewinnen.
LGBT für den Amtsinhaber «nur eine Ideologie»
Der amtierende Präsident wiederum versucht mit Radikalität zu punkten, bei vergangenen Wahlen hat dies den Konservativen durchaus Siege verschafft. Neulich griff Duda im Wahlkampf Schwule, Lesben, Transgender an, sagte: «Man versucht uns einzureden, dass dies Menschen sind. Aber es ist einfach nur eine Ideologie.» Die Attacke dürfte auch auf Trzaskowski abgezielt haben, der im vergangenen Jahr als Hauptstadt-Bürgermeister die LGBT-Gemeinde unterstützt hat und eingetragene Partnerschaften zulassen will.
Trzaskowski gilt für viele konservative und auch EU-kritische Polen als Vertreter der Bildungselite. Er spricht fünf Fremdsprachen, studierte in Oxford und Paris, war Abgeordneter im Europaparlament und in Warschau sogar Minister für Digitalisierung.
Liberale gegen Konservative, Städter gegen Landbevölkerung – lange hat es nach Zerrissenheit auf gleich mehreren Ebenen ausgesehen. Aber in Polen hat es immer wieder auch Wechsel der Lager gegeben, darauf setzt nun auch Trzaskowski. Er will sich eine neue Mitte erkämpfen. In Europa sei Polen derzeit ein absoluter Aussenseiter, sagte er und wirft Duda vor, dass dieser den stramm konservativen Kurs der PiS-Führung um Jarosław Kaczyński derart mittrage. Am Sonntag geht es also um dessen Fortsetzung – oder eine Wende.
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