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Meinung

Leitartikel zum Detailhändler
M wie Mitte – die Migros muss zurück zu ihren Wurzeln

Migros Hochhaus am Limmatplatz.
02.02.2024
(Tages-Anzeiger/Urs Jaudas)
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Das «M» steht für «Medium», die Mitte. Für Schweizerinnen und Schweizer stand das «M» der Migros seit Generationen genau dafür: der Laden in unserer Mitte. Nach dem Krieg wuchs das M dazu heran, es ernährte Einkommens­schwache, Einwanderer und alle, die preisbewusst waren. Das M wurde zum Symbol für die Schweiz.

Es war ein gutes Gefühl, bei der Migros einzukaufen. Denn das M stand auch für Modernität. Die Migros brachte amerikanisches Feeling in die Schweizer Einkaufswelt: In den neuen Supermärkten schoben Kinder vergnügt grosse Trolleys mit dem ganzen Wocheneinkauf an glänzenden Vitrinen aus Chromstahl vorbei. Nach dem Wocheneinkauf am Samstag blieb genug Geld für ein frisches Güggeli aus dem Bräter oder mondän belegte Brötchen.

Damals war die Migros modern und Coop altmodisch

Die Läden von Coop hiessen damals altmodisch «Konsi», sahen genauso aus und verkauften teure Markenartikel, deren Inhalte in der Migros anders verpackt waren und beispielsweise «Zaun» statt «Hag» hiessen.

Die Migros war ein Projekt von unten, auch wenn sie von Gottlieb und Adele Duttweiler als Aktiengesellschaft gegründet worden war und den Zweck verfolgte, Gewinn zu machen – um diesen über Innovationen und Preissenkungen an die Kundschaft weiterzugeben. Das Gründerpaar stützte sich auf die einfachen Hausfrauen ab, die Kundinnen der ersten Stunde. Ab 1940 besassen sie die Migros gleich selbst. Aus Aktien wurde Genossenschaftskapital.

Das orange M sah sich als Brücke zwischen Produzent und Konsument. Die Brücke wurde ihr Symbol. Die Zeitung «Brückenbauer» der Migros gab sich als Mediatorin zwischen unterschiedlichen Interessengruppen, die Partei der Migros, der Landesring der Unabhängigen, politisierte in der Mitte des Parteienspektrums. Duttweiler und seine Anhängerschaft setzten auf eine sozial-liberale Ordnung, basisdemokratisch und auf Ausgleich bedacht. Das machte die Migros in der Mitte der Gesellschaft beliebt. Das verhiess: faire Löhne und Preise und einen Platz auf der Sonnenseite des Lebens.

Duttweiler sah seine Rolle als Dienstleister mitten in der Gesellschaft. Er hatte erkannt, dass das von ihm gegründete Unternehmen in seiner wachsenden Stärke auch gesellschaftliche Verantwortung übernehmen muss – heute «Corporate Social Responsibility» genannt.

Verzettelt und verschlafen

Was bedeutet das für die Migros von heute? Sie muss ihren Platz in der Mitte wieder finden. Auch innerhalb der Branche. «Oben» regiert der Marken-Champion Coop, der es in den letzten 30 Jahren geschafft hat, sich vom verstaubten, aus der Arbeiterbewegung entstandenen «Konsi»-Laden zum Supermarkt der Besserverdienenden zu wandeln. Der die Food-Liebhaber mit erfolgreichen Hausmarken abholt und neben den Durchschnitts- und Günstigprodukten auf Spezialitäten setzt, die wohlhabendere Kundinnen und Kunden ansprechen.

«Unten» kämpfen die Discounter mit ihren beschränkten Sortimenten um die wachsende Zahl jener, die wenig Wert auf Einkaufserlebnisse oder Nischenprodukte legen. Um jene, die froh sind, in zehn Minuten ihre üblichen Produkte zu Tiefstpreisen abgreifen zu können, die gerne auch Bioqualität haben dürfen, aber nicht müssen.

Dazwischen gibt es mehr als genug Platz für die Migros. Eine Migros mit vollem Sortiment und Eigenprodukten, bei denen man zugreifen kann, weil man weiss, dass sie beste Standards erfüllen, gut und bezahlbar sind.

Stattdessen hat sie sich in den letzten Jahrzehnten verzettelt: mit zu vielen eigenen Produktelinien und einem unübersichtlichen Sortiment, das die Migros-Industrie liefern muss. So wurde das Angebot teurer als nötig.

Man investierte im Ausland und in Jungunternehmen, die aus nicht viel mehr als einer Idee bestanden. Gleichzeitig verschlief man Trends wie die Vegan-Küche, obwohl es genügend interne Stimmen gab, die auf die Chancen verwiesen, die sich hier eröffneten. Resigniert spotten Mitarbeitende: Die Migros braucht fünf Jahre, um einen Trend in ein Produkt umzusetzen. Bis dann ist der Trend vorbei. Derweil mauserte sich Coop zum «One-Stop-Shop» für kulinarisch Ambitionierte.

Migros-Kunden brauchen keine Reisen und Hörgeräte

Die Migros tut gut daran, Ballast abzuwerfen. Verkaufswagen waren 1930 innovativ, 1990 aber überholt. Es ist heute nicht nötig, dass die Migros auch Möbel verkauft – oder Hörgeräte oder Reisen. Der Kern ihres Geschäfts sollten Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs sein. Hier war sie einst stark, führte etwa als Pionierin mediterrane und asiatische Zutaten ein, und hier kann sie wieder stark werden.

Die Migros war und ist erfolgreich, wenn die Kundin weiss, dass sie in ihren Filialen alles findet, was sie braucht, und dass sie darauf zählen kann, nicht übers Ohr gehauen zu werden. Beim gegenwärtigen Umbau läuft sie aber Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Warum entlässt ein Koloss mit 100’000 Mitarbeitenden 1500 davon in Zeiten von Fachkräftemangel? Warum entledigt sich die Migros ihrer zu wenig rentablen Fachmärkte, aber nicht ihrer viel zu komplexen Struktur?

Damit setzt sie ihr gutes Image aufs Spiel. Das hat viel mit den Entscheiden der letzten Monate zu tun, die für weite Teile der Öffentlichkeit unverständlich und schwer zu vermitteln sind. Es hat aber auch damit zu tun, dass die Migros ihre Mitte, den Kern ihrer Marke, aus den Augen verloren hat.