Dem Fussball verfallenFCZ, GC und nun Winterthur: Uli Forte startet seine 11. Trainermission
Seit über 20 Jahren steht der neue Trainer des FC Winterthur im Einsatz – es ist ein Leben mit Erfolgen und Enttäuschungen, wie es perfekt zu seinem Beruf passt.
- Uli Forte ist seit Januar Trainer beim FC Winterthur in der Super League.
- Er beschreibt seine Verbindung zum Fussball als eine leidenschaftliche Sucht.
- Trotz vieler Entlassungen sieht er seine Trainerkarriere als erfolgreich an.
- Forte ist überzeugt, dass seine Erfahrung Winterthur im Abstiegskampf helfen kann.
Der kleine Ulrich Massimo war fünf, als ihn sein Vater zu seinem ersten Training beim FC Brüttisellen brachte. In der Hand ein Migros-Sack, darin ein «Tüechli» und frische Unterwäsche. Es war der Tag, seit dem er nicht mehr vom Fussball losgekommen ist.
Der grosse Uli sitzt in einem Sponsorenraum der Schützenwiese, auf dem Kopf die Mütze mit dem Logo seines neuen Arbeitgebers. Das Massimo ist im Verlauf der Jahre verschwunden, aus Ulrich ist kein Ueli geworden, sondern ein Uli wie bei Hoeness von Bayern München. Er hat immer Wert darauf gelegt.
50 ist er inzwischen und eine schillernde Figur, die eng mit dem Fussball verbunden ist. Winterthur ist seine elfte Station, seit er 2002 beim Zürcher Quartierclub Red Star in der 2. Liga als Spielertrainer eingestiegen ist. «Das Business ist schnelllebig», erklärt Uli Forte seine vielen Wechsel. Dreimal ging er von sich aus, die anderen Male sei er «gegangen worden».
Eine Entlassung kratze am Ego, gerade während der Anfangsjahre, gibt er zu. Eine Freistellung erlebte er wahlweise als kleineren oder grösseren Schock, aber nur einmal, im August 2022, traf sie ihn so sehr, dass er sich sagte: «Das ist zu viel. Das muss ich mir nicht mehr antun.»
Damals war er gerade erst dabei, sich den Traum von einem Job im Ausland zu erfüllen. Arminia Bielefeld, 2. Bundesliga, endlich in der Liga, wo Urs Fischer seinen Höhenflug mit Union Berlin gestartet hatte. Er dachte sich: «Wenn ich nur die Hälfte von Urs erreiche, bin ich der glücklichste Mensch der Welt.» Er unterschrieb für zwei Jahre und sagte sich: «So, jetzt geht es los!»
Er begann zu arbeiten, verlor das erste Testspiel gegen Uni Craiova 1:4, und das sollte schon der Anfang vom Ende sein. «Wenn wir so spielen, kriegen wir in der Bundesliga die Hütte voll!», rief Sportchef Samir Arabi aus. Forte versuchte, ihn zu beruhigen, vergeblich. Er und der Sportchef, der ihn unbedingt in Bielefeld gewollt hatte, fanden nie zusammen. Nach vier Niederlagen in vier Ligaspielen und 47 Tagen war das Abenteuer Bundesliga für ihn zu Ende. Darum hatte er das, was er heute «Kurzschlussgedanken» nennt, und distanzierte sich vom Fussball.
Von Sucht und Strenge
Die Familie fing ihn auf, die Frau, die vier Kinder, die Eltern, der Bruder. Und da ist eben dieses Spiel, das ihn einfach nicht loslässt. Virus nennt er es, Leidenschaft, Sucht, Verlangen. «Ich bin dem Fussball verfallen», sagt er gar.
Acht Monate nach Bielefeld kehrte er bei Xamax in den Fussball zurück, zwar nur Challenge League, aber ihm fällt «kein Zacken aus der Krone», wenn er nur hier unterkommt. «Ob Challenge League oder Super League, das ist für mich Hans was Heiri», erklärt er. «Am Ende sind wir, die im Fussball arbeiten dürfen, absolut privilegiert.» Arbeiten ist für ihn immer besser, als daheim herumzusitzen. Das ist immer sein Credo gewesen.
Seit Anfang dieses Jahres kann er sein Verlangen nach Fussball in Winterthur ausleben. Diese Stadt kennt er bestens, seit er hier das Wirtschaftsgymnasium besuchte. Und der FCW ist für ihn immer ein besonderer Verein gewesen. Deshalb ist der Reiz gross, endlich hier zu arbeiten und einen Vertrag bis 2026 einzugehen, obschon die Aufgabe alles andere als einfach ist: Der FCW ist Letzter der Super League, vier Punkte hinter Yverdon.
Da stellt sich die Frage: Warum soll er hier der Richtige sein? «Die Erfahrung spielt eine Rolle», antwortet er, «ich habe das schon einige Male erlebt und hoffe, dass ich aus meinem Erfahrungsschatz das Optimum herausholen kann.»
Der Rucksack ist gut gefüllt von diesem Ulrich Massimo Forte, dem Sohn eines Automechanikers aus Salerno, der seine Heimat 1969 verliess, um zusammen mit seiner Frau auf einem Bauernhof in Brüttisellen ein neues Leben aufzubauen (und weil der Bauer Ulrich hiess, tauften die Fortes ihren ersten Sohn nach ihm). Die Anfänge sind schwierig, Vater und Mutter haben nur 5000 Lira als Erspartes in der Tasche, umgerechnet rund 30 Franken, und einen Koffer, den sie mit einer Schnur zusammengebunden haben.
Die Geschichte von den paar Tausend Lira erzählt der Vater später gerne seinen Söhnen, Ulrich Massimo und Alfredo, wenn sie wieder einmal glaubten, die Welt erobert zu haben. «Er war streng mit uns», erinnert sich Forte heute, «er holte uns schnell auf den Boden der Realität zurück. Das hat uns gutgetan.»
Der Vater arbeitet als Knecht, bis er eine Anstellung als Maschinenmechaniker findet, seine Mutter ist eine normale Angestellte, und abends erledigen sie zusammen Putzarbeiten. Die Buben teilen sich ein Zimmer, bis Uli mit 24 auszieht. Heute erzählt er die Geschichte aus der Jugend seinen Mädchen, wenn sie meinten, sie müssten übertreiben. (Was nichts daran ändert, dass sie ihn unglaublich stolz machen.)
Forte beginnt ein Wirtschaftsstudium, Schwerpunkt Finanzen. Zu der Zeit ist er noch ein raubeiniger Verteidiger bei Red Star. Wenn er gefragt wird, wie er wählen würde, wenn er sich zwischen Fussball und Studium entscheiden müsste, sagt er immer: «Fussball!» Marcel Cornioley, selbst ein Spitzenspieler, macht ihn 2002 bei Red Star zum Spielertrainer, und Cornioley ist es zusammen mit Rolf Fringer, der ihn vier Jahre später für ein Vorstellungsgespräch beim FC Wil vorschlägt.
Von Einsicht und Schafen
«Da habe ich im Fussball so richtig Glück gehabt», sagt Forte. In Wil wird er zum Profitrainer und bekommt die Zeit, Fehler und Erfahrungen zu machen. Davon berichtet er auch jungen Trainern oder Spielern, wenn sie ihn um Rat fragen: «Ihr müsst nicht das Ziel haben, so schnell wie möglich hochzukommen. Euer Ziel muss sein: Wenn ihr hochkommt, müsst ihr bereit sein, muss der Rucksack gefüllt sein. Sonst seid ihr schnell weg vom Fenster.»
Nach zwei Jahren in Wil wechselt er nach St. Gallen, steigt im ersten Jahr gleich auf, hält im zweiten die Klasse und bekommt im dritten Probleme, als der Club finanziell in Schieflage gerät. Er wird entlassen und spürt Existenzängste, er fliegt mit seinem Bruder nach New York und geht in sich. Da erkennt er, dass er in St. Gallen im Umgang mit den Spielern zu pedantisch, zu verbissen war. Dass er etwas ändern muss.
GC bietet ihm im April 2012 den Ausweg nach seiner gut einjährigen Arbeitslosigkeit. Der Club kann nur deshalb nicht absteigen, weil Xamax in Konkurs gegangen ist und Sion 36 Punkte abgezogen worden sind. In der folgenden Saison startet Forte mit GC durch: Vizemeister, Cupsieger. Die Geschichte endet trotzdem unschön, weil er von einer Ausstiegsklausel Gebrauch macht und für 300’000 Franken zu YB wechselt.
Was ihm dabei nicht hilft, ist ein Interview mit dieser Zeitung, das ausgerechnet an dem Tag erscheint, als sein Abgang bekannt wird. Darin sagt er: «Die Mannschaft ist eine Schafherde, die unterwegs ist, und ich bin der Hirte, der schaut, dass keiner verloren geht.» Die Fans verübeln ihm das und beschimpfen ihn heftig. Forte weiss längst: Sein Interview ist ein Fehler, «ich hätte es in dieser Situation nie geben dürfen».
In Bern verdoppelt er sein Salär und plant mit Fredy Bickel als Sportchef, endlich wieder einen Meistertitel zu gewinnen. Er wird Dritter und Zweiter, aber als er zu Beginn der dritten Saison in der Qualifikation zur Champions League an Monaco scheitert, wird er entlassen. Er habe sich abgenützt, erklärt Bickel die Trennung. Forte geht trotzdem als Sieger. In Bern hat er seine heutige Frau und ihre drei Mädchen kennen gelernt.
Der Vorwurf, irgendwann würden die Spieler seine Sprüche kennen, begleitet ihn lange. Damit kann er wiederum nichts anfangen. Er habe immer versucht, sich neu zu positionieren, neu zu erfinden. Was ihm vorgehalten werde, sei ungerechtfertigt, «absolut!» Er redet von Schubladendenken. Und verweist auf die durchschnittliche Amtszeit bei seinen Vereinen: Ohne das Kürzestabenteuer Bielefeld beträgt sie 1,64 Jahre. «Damit bin ich da, wo sich alle anderen Trainer auch bewegen», sagt er.
Von Respekt und Glauben
Knapp zwei Jahre, bis zum Februar 2018, ist er beim FCZ. Er gewinnt den Cup, steigt wieder auf, ist Dritter der Super League und im Cup-Halbfinal. Das reicht der Führung um Präsident Ancillo Canepa nicht, sie wirft ihm vor, zu wenig mit Jungen zu arbeiten, und setzt ihn ab. Als er das seiner Frau am Telefon mitteilt, sagt sie ihm: «Hör auf mit solchem Blödsinn!» Sie braucht ihre Zeit, bis sie ihm glaubt.
Im April 2019 kehrt er zu GC zurück. Die Situation ist nach 13 sieglosen Spielen total verfahren, und es ist kompliziert, weil die Fans Forte den abrupten Abgang sechs Jahre zuvor nicht vergessen haben. «Verpiss dich», rufen sie ihm zu. Er geht auf sie zu, was nichts am Abstieg ändert. Im Februar darauf haben die neuen Besitzer aus China neue Pläne, für Forte gibt es darin keinen Platz.
Eineinhalb Jahre ist er wieder ohne Anstellung. Der Respekt davor, im Geschäft vergessen zu werden, wächst bei ihm. Er macht die zweifelhafte Erfahrung, dass einzelne Clubs gar nicht genau wissen, was er schon gemacht hat oder wie alt er ist, als sie ihn zu einem Gespräch treffen. Erst in Yverdon kann er einen neuen Anlauf starten, bevor dann die 47 Tage Bielefeld kommen.
Heute sagt er: «Ich habe immer an meine Arbeit auf dem Platz geglaubt. Am Ende zählen die Fakten.» Die ersten Fakten in Winterthur lauten: schönes 0:0 in Bern, bitteres 2:3 gegen Lugano nach einer 2:0-Führung. Forte sagt seinen Spielern: «Wenn ihr gegen den Ersten der Tabelle eine solche Leistung abrufen könnt, könnt ihr das gegen jeden.» Der nächste Gegner heisst Yverdon.
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