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Profiteure des Krieges
Rüstungsfirmen schaffen Zehntausende neue Jobs

SCRANTON, PA - APRIL 12: 155mm artillery shells are inspected in the production shop at the Scranton Army Ammunition Plant on April 12, 2023 in Scranton, Pennsylvania. The U.S. Army is rapidly moving to scale up the production of the ammunition built at the plant and being supplied to Ukraine. The company has been run by General Dynamics since 2006. They are contracted to produce 11,000 shells per month but in the last few months they have exceeded that number. (Photo by Hannah Beier/Getty Images)
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Der Ukraine-Krieg und weltweite Konflikte sorgen für einen Boom in der Rüstungsbranche. Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts (Sipri) sind die Verteidigungsausgaben 2023 weltweit um 7 Prozent auf gewaltige 2,4 Billionen Dollar gestiegen – das ist die grösste Zunahme seit 15 Jahren. Russland allein hat seinen Rüstungsetat um 24 Prozent auf geschätzte 109 Milliarden Dollar hochgeschraubt, das ist eine Steigerung um 57 Prozent seit 2014. Die Zahl ist allerdings mit Vorsicht zu geniessen, da Moskau mit Statistiken mehr verschleiert als enthüllt.

Die Ukraine gab letztes Jahr 65 Milliarden Dollar für ihre Streitkräfte aus. Und die europäischen Staaten erhöhten ihre Verteidigungsetats auf 588 Milliarden Dollar (plus 16 Prozent). An der Spitze liegen die USA mit 916 Milliarden Dollar und China mit rund 300 Milliarden Dollar für ihre Rüstungsbudgets. Die Militärausgaben der Schweiz beliefen sich 2023 auf 5,67 Milliarden Franken.

Die von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine hat ein Umdenken bewirkt. Die Nachkriegsordnung seit dem Fall der Mauer steht auf der Kippe. Krieg in Europa ist wieder denkbar, Abrüstung ist passé. Militärausgaben sind nicht mehr verpönt und neue Verteidigungsanstrengungen werden vorangetrieben. Entsprechend voll sind die Auftragsbücher in der Branche.

Ingenieure und Schweisserinnen gesucht

Weltweit stellt die Branche nun im Rekordtempo neue Mitarbeiter ein, sucht Expertinnen und Spezialisten. Laut «Financial Times» sind die zehn mächtigsten Rüstungs-, Luft- und Raumfahrtkonzerne momentan dabei, rund 37’000 neue Mitarbeitende anzuheuern. Allein die US-Konzerne Lockheed Martin, Northrop Grumman und General Dynamics verzeichnen 6000 offene Stellen. Gesucht werden Ingenieure, Softwareentwicklerinnen, Analysten für Cybersicherheit, Schweisserinnen und Mechaniker.

Der norwegische Munitionsspezialist Nammo hat sein Personal von 2700 Beschäftigten (2021) auf mittlerweile 3250 aufgestockt und verzeichnet Rekordbestellungen. Das Unternehmen verdoppelte 2023 seinen Umsatz im Vergleich zu 2019, der Gewinn hat sich verdreifacht. Die französische Thales-Gruppe rekrutierte in den letzten drei Jahren 9000 zusätzliche Angestellte. Und Europas Raketenhersteller MBDA, ein Joint Venture von BAE-Systems, Airbus und Leonardo, plant dieses Jahr, seinen Personalstand um 2600 Arbeitskräfte zu erhöhen. 

Ruag profitiert vom F-35-Deal

Auch Schweizer Firmen profitieren vom Paradigmenwechsel und suchen Fachkräfte. Vor allem der Auftrag aus Bern über sechs Milliarden Franken für die Beschaffung von 36 Lockheed-Martin-Kampfjets vom Typ F-35A beschert rund 15 Schweizer Firmen wie Ruag, SwissP Defence AG, Mowag oder Thales neue Aufträge. Der Bundesrat spricht von einem Volumen von bis zu 2,9 Milliarden Franken. Die Ruag stellt das Materialkompetenzzentrum für den F-35 und bestätigt auf Anfrage 150 Vakanzen. Gesucht werden Spezialistinnen und Spezialisten im Bereich von Cybersicherheit und IT. Der Wettbewerb im Markt sei «zweifellos intensiv». SwissP Defence braucht Qualitätsprüfer und Mechanikerinnen, Mowag-Ingenieure und Elektrikerinnen. Thales sucht in der Schweiz Systemingenieure für Flugsimulationen und Projektmanagerinnen.

Auch die Beschaffung des Patriotluftabwehrsystems vom US-Hersteller Raytheon Technologies für rund zwei Milliarden Franken hilft Zulieferern wie Oerlikon Metco, Acutronic, H55 SA, Wey Group oder SR Technics. Für die Schweiz soll mit dem Bodluv-System eine massgeschneiderte Variante mit grösserer Reichweite entwickelt werden. Bodluv ist ein Gemeinschaftsprojekt zwischen Raytheon, Rheinmetall, dem Genfer Elektronik-Spezialisten Mercury Systems und Ruag. Das Patriot-System ist derart nachgefragt, dass Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius im vergangenen Monat die Schweiz gebeten hat, beim Kauf zurückzustehen – zugunsten der Ukraine.

Auch die Finanzmärkte, die jahrelang Rüstungskonzerne ignorierten, passen sich an. Die Aktie des deutschen Panzer- und Munitionsherstellers Rheinmetall ist in den letzten 12 Monaten um 86 Prozent gestiegen, in den letzten 3 Jahren gar um 400 Prozent. Diese Woche gab der Konzern den grössten Auftrag seiner Geschichte bekannt: Die Bundesregierung bestellte Artilleriemunition im Wert von 8,5 Milliarden Euro.

Der Kurs des bayerischen Zulieferers Renk ist seit dem Börsengang im Februar um 71 Prozent explodiert. Die Aktie des britischen Rüstungskonzerns BAE Systems ist seit Anfang des Jahres um 15 Prozent gestiegen. Der Schweizer Investment-Manager VanEck hat einen Exchange-Tradet Fund (ETF) aufgelegt, der europäische Rüstungsaktien abbildet, und sammelte 500 Millionen Dollar ein. Und der deutsche Stahlkonzern Thyssenkrupp steht in Verhandlungen mit der US-Privatbeteiligungsgesellschaft Carlyle über einen Einstieg ins Marinegeschäft des Konzerns. Erste politische Konsequenzen wie die Aufnahme von Finnland und Schweden in die Nato sind vollzogen.

Industrielle Partnerschaften sind unverzichtbar

Aufgrund wachsender Haushaltslöcher und explodierender Staatsschulden sorgen die rasant steigenden Rüstungsausgaben vor allem bei Finanzministern in vielen Industriestaaten für Kopfschmerzen. Verteidigungsetats sind kostspielig, komplexe Waffensysteme enorm teuer und die Bündelung von Ressourcen wird immer wichtiger.

Grenzüberschreitende industrielle Partnerschaften bieten sich an: Deutschland und Frankreich haben im März beschlossen, ein gemeinsames Panzerprojekt (Main Ground Combat System) aufzugleisen. Die von MDBA, Airbus und Saab Bofors Dynamics entwickelte Luft-Luft-Rakete «Meteor» wird heute von sieben Nato-Staaten eingesetzt. Deutschland, Frankreich und Spanien haben sich nach langem Hin und Her zusammengerauft, den Kampfjet der Zukunft «Future Combat Air System» (FCAS) als Nachfolger für den Eurofighter zu bauen. Allerdings wird die Maschine frühestens 2040 abheben.

Probleme hat die Branche allerdings auch: Die von MDBA und der Thales-Gruppe entwickelte Luftabwehrrakete vom Typ «Aster» kann wegen hoher Nachfrage aus der Ukraine nicht schnell genug produziert werden. Europäische Munitionshersteller warnen vor zu hoher Abhängigkeit von Baumwoll-Linters aus der Volksrepublik China. Die Baumwollfaser wird für den Einsatz von Nitrozellulose bei der Produktion von Sprengstoffen oder Artilleriegranaten verwendet. Europa hänge «zu 70 Prozent von chinesischen Baumwoll-Linters ab», betonte Rheinmetall-CEO Armin Papperger kürzlich in einem Interview, es gebe ein Risiko, dass Peking diese Produkte «aus geostrategischen Gründen» zurückhalte.

Da Europa aber seine Produktion von 155-Millimeter-Granaten auf jährlich 1,4 Millionen Stück hochfahren will, ist das Thema signifikant. Zumal Russland für seine enorm steigenden Munitionskapazitäten ebenfalls Material aus China importiert. Der Rüstungswettlauf ist global.