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Ungarn sabotiert EU-Hilfe für Ukraine
Orbans Aussenminister nervt in Brüssel alle

Hungarian Foreign and Trade Minister Peter Szijjarto speaks during a joint press conference with Czech Republic's Foreign Minister in the conference hall of the ministry building in Budapest, Hungary, on April 26, 2024. (Photo by Attila KISBENEDEK / AFP)
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Sollte irgendwann an der neuen europäischen Diplomatenakademie einmal ein Einführungskurs zum Thema «Wie vergrätze ich meine Verbündeten?» auf dem Lehrplan stehen, böte sich Peter Szijjarto als Dozent an. Er ist der Aussenminister von Ungarn und hat daher die Aufgabe, den Partnern in der EU und der Nato unliebsame Entscheidungen mitzuteilen – in der Regel, dass dieses oder jenes Projekt, das die anderen EU- und Nato-Regierungen zur Unterstützung der Ukraine beschlossen haben, leider wegen Budapester Einwänden und Bedenken nicht umgesetzt werden kann.

Das tut Szijjarto so oft, dass der genervte Unterton, mit dem in Brüssel schon seit langem über Ungarns wenig konstruktive Rolle geredet wird, zunehmend offener Empörung und blankem Zorn Platz macht. Man müsse sich langsam fragen, ob Szijjartos Chef, Ungarns Premier Viktor Orban, in der EU nicht schlicht und einfach russische Interessen vertrete und Europa von innen her demontieren wolle, sagte ein ranghoher osteuropäischer Regierungsvertreter.

Scharfer Schlagabtausch beim Aussenminister-Treffen

Zuvor hatte es kürzlich beim Treffen der EU-Aussenministerinnen und -minister in Brüssel einen, wie Diplomaten es nannten, «Schlagabtausch» zwischen Szijjarto und etlichen seiner Kollegen gegeben, der schärfer als alle ähnlichen Debatten in der Vergangenheit abgelaufen war. Wobei nach Angaben von Teilnehmern die verbalen Schläge vor allem den Ungarn trafen.

Szijjarto habe nur schwache, gewundene Argumente zur Gegenwehr vorbringen können, hiess es nach der Sitzung, es sei ihm auch kein anderer Minister zur Seite gesprungen. Szijjarto sei unmissverständlich klargemacht worden, dass die Geduld der anderen 26 EU-Regierungen am Ende sei.

Konkret ging es bei dem Streit um Geld: Bereits im März hatten die EU-Regierungen mit der Zustimmung Ungarns beschlossen, den Geldtopf, aus dem sich die Mitgliedsländer einen Teil der Kosten für Waffenkäufe für die Ukraine zurückerstatten lassen können, mit weiteren fünf Milliarden Euro auszustatten. Diese Gelder fliessen in die sogenannte European Peace Facility (EPF).

EU-Diplomat: «Ungarn benimmt sich inakzeptabel»

In diesem Monat entschied die EU dann, wiederum mit Billigung Ungarns, dass die Gewinne, die in diesem Jahr auf dem in Europa eingefrorene russische Zentralbankvermögen anfallen, ebenfalls an die EPF überwiesen und zum grössten Teil für die militärische Unterstützung Kiews ausgegeben werden sollen. Dabei geht es um weitere knapp drei Milliarden Euro.

Obwohl Orban in beiden Fällen zustimmte, dass in den Waffenetat frisches Geld hineinfliesst, blockiert er seit mehr als einem Jahr per Veto sämtliche Abflüsse aus diesem Budget. Das heisst: Andere EU-Staaten, die Waffen und Munition an die Ukraine abgeben oder für Kiew bei der Rüstungsindustrie einkaufen, können keine Refinanzierung über die EPF bekommen.

Medienberichten zufolge belaufen sich die zur Erstattung eingereichten Rechnungen für Waffen, Munition und Militärmaterial inzwischen auf total neun Milliarden Euro. Allein Polen hat etwa 400 Millionen Euro an Aussenständen, die es wegen Ungarns Veto nicht aus der EPF zurückerhält.

Hungary's Prime Minister Viktor Orban arrives at a Special European Council at the EU headquarters in Brussels on April 17, 2024. (Photo by Ludovic MARIN / AFP)

Durch Ungarns Blockade sei die bizarre Situation entstanden, dass die Zinsgewinne von den eingefrorenen russischen Konten zwar zunächst losgeeist, dann aber von Budapest erneut auf einem EU-Konto eingefroren worden seien, sagt ein EU-Diplomat, der über genügend schwarzen Humor verfügt, um die bittere Ironie dieser Lage zu sehen. Ein Kollege ist weniger amüsiert: «Ungarn benimmt sich vollkommen inakzeptabel», sagt er.

Warum Ungarn sich so verhält, ist nicht ganz klar – zumindest wechseln die Begründungen regelmässig. Mal geht es um die angebliche Diskriminierung der ungarischen Minderheit in der Ukraine, mal klagt Budapest, dass ungarische Firmen von Kiew schlecht behandelt würden. Doch das überzeugt kaum jemanden in Brüssel. Denn zum einen bestraft Budapest mit der EPF-Blockade nicht die Ukraine, sondern andere EU-Länder, die ihre Ausgaben wegen des Vetos nicht erstattet bekommen.

Ungarn will 20 Milliarden freigegeben bekommen

Zum anderen macht sich kaum jemand Illusionen darüber, was das grosse Ziel der ungarischen Regierung ist: Sie will die etwa 20 Milliarden Euro freigegeben bekommen, welche die EU-Kommission wegen Orbans ständigen Verstössen gegen rechtsstaatliche und demokratische Standards nicht auszahlt. Die Unterstützung der Ukraine, so vermutet ein Beobachter, sei für den Ungarn nur ein nützlicher Hebel, um dieses Interesse durchzusetzen.

Allerdings ist die Blockadefront, die Ungarn aufgebaut hat, derart breit, dass manche Regierungen andere Motive hinter Orbans Verhalten vermuten. Der litauische Aussenminister Gabrielius Landsbergis, der bei der Brüsseler Sitzung am Montag zusammen mit seiner deutschen Kollegin Annalena Baerbock die verbale Schlägerei mit dem Ungarn Szijjarto anführte, rechnete vor, dass Budapest 41 Prozent aller EU-Entscheidungen zur Ukraine blockiert habe.

Man könne das langsam als eine systematische Attacke auf den Versuch der EU ansehen, eine nennenswerte eigene Aussenpolitik zu entwickeln, sagte Landsbergis. Und Baerbock warf Ungarns Regierung vor, die EU-Hilfe für die Ukraine in Geiselhaft für völlig andere Interessen zu nehmen.

Auch in der Nato nimmt Ärger über Ungarn zu

Zusätzlich angefacht wird der Ärger dadurch, dass Orban nicht mehr nur in der EU als prorussischer, antiukrainischer Quertreiber agiert, sondern auch in der Nato. Das ist ein neues Phänomen, denn bisher hat sich Ungarn in dem von den USA dominierten Militärbündnis eher unauffällig verhalten.

Jetzt jedoch blockiert Orban gegen den Willen der grossen Mehrheit der Nato-Länder die Ernennung des scheidenden niederländischen Regierungschefs Mark Rutte zum neuen Generalsekretär der Allianz. Die Personalie sollte eigentlich längst geklärt sein – aber Ungarn zieht nicht mit.

Vor einigen Tagen verkündete Orban zudem, seine Regierung werde die Beziehungen zur Nato «neu definieren», damit Ungarn von der Allianz nicht in einen Krieg mit Russland hineingedrängt werde. Die Art, wie Orban daheim über die Unterstützung der Nato für die Ukraine rede, der er einerseits selbst zugestimmt habe, die er dann aber als Kriegstreiberei bezeichne, sei mittlerweile schwer erträglich, sagen EU-Diplomaten in Brüssel.

Das alles störte Ungarns Aussenminister allerdings überhaupt nicht. Er warf Europa vor, junge Männer zwangsweise zum Kriegsdienst in der Ukraine einziehen zu wollen. Da werde Ungarn nicht mitmachen. Freunde sammelte er so nicht, aber vielleicht Stoff für künftige Akademievorlesungen.