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Sondergipfel zur Ukraine-Hilfe
«EU-Geheimplan» gegen Ungarn schlägt Wellen

FILE - Hungarian Prime Minister Viktor Orban arrives for an annual international press conference in Budapest, Hungary, Thursday, Dec. 21, 2023. Swedish Prime Minister Ulf Kristersson tells his Hungarian counterpart Viktor Orbán that more dialogue would be beneficial after Orbán invited the Swede to Budapest to discuss Sweden's NATO accession. (AP Photo/Denes Erdos, File)
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Emmanuel Macron oder Olaf Scholz könnte sich doch einfach mal hinstellen und Ungarn öffentlich schlechtreden. Der französische Präsident oder der deutsche Bundeskanzler könnten konstatieren, dass das Land auf absehbare Zeit keine EU-Gelder mehr bekommen, der Geldhahn für Budapest auf Dauer zugedreht werde. Die öffentliche Desavouierung würde die ohnehin kränkelnde Währung des Landes weiter schwächen und das Vertrauen der ausländischen Investoren in Ungarn ebenfalls.

Britische Zeitungen schreiben vor dem EU-Gipfel zur Ukraine-Hilfe von einem «geheimen EU-Plan, Ungarns Wirtschaft zu sabotieren» – ein Racheakt sozusagen nach Jahren der ungarischen Erpressungsmanöver und Blockaden. Auch dass die Staats- und Regierungschefs diesen Donnerstag zu einem Sondergipfel zusammenkommen müssen, haben sie einzig und allein Viktor Orban zu verdanken. Ungarns Regierungschef hatte im Dezember beim ersten Anlauf mit seinem Veto verhindert, dass die EU ein 50 Milliarden Euro schweres Hilfspaket für die Ukraine beschliessen konnte.

Korruption in Ungarn

Jetzt beim zweiten Anlauf macht Viktor Orban bisher ebenfalls keine Anstalten, seine Blockade aufzuheben. Offiziell sorgt er sich, dass EU-Mittel angesichts grassierender Korruption in der Ukraine versickern könnten.

Das ist natürlich ein Witz, weil Ungarn selber wegen massiver Vetternwirtschaft und grosser Defizite beim Rechtsstaat am Pranger steht. So hat die EU zuletzt für Ungarn bestimmte Gelder in Höhe von 30 Milliarden Euro aus verschiedenen Fördertöpfen eingefroren und eine Freigabe an Konditionen geknüpft. Unter anderem sollen ungarische Gerichte wieder unabhängig Korruptionsfälle im Umfeld des Regierungschefs verfolgen können.

Einen kleineren Teil der Gelder hat Brüssel vor einem EU-Gipfel im Dezember freigegeben, in der Hoffnung, Viktor Orban günstig zu stimmen. Diese Rechnung ist aber nicht aufgegangen. Orban will alle Fördermittel freipressen, ohne es klar auszusprechen und ohne die nötigen Reformen vorzunehmen. Das Schicksal der Ukraine ist ihm dabei egal. Dabei braucht das Land die Unterstützung dringend, um gegen Russlands Angriffskrieg zu bestehen.

FILE - Ukrainian President Volodymyr Zelenskyy talks to reporters after a meeting at the Annual Meeting of World Economic Forum in Davos, Switzerland, Jan. 16, 2024. Ukrainian President Volodymyr Zelenskyy says he's worried by the prospect of Donald Trump returning to the White House. In an interview with the U.K.?s Channel 4 News that aired Friday Jan. 19, 2024, Zelenskyy called Trump?s claim that he could stop Ukraine?s war with Russia in 24 hours ?very dangerous.? (AP Photo/Markus Schreiber, File)

Die Zeit drängt also. Hier kommt der angebliche Geheimplan ins Spiel. In Brüssel und den europäischen Hauptstädten ist die Geduld aufgebraucht, liegen die Nerven blank. Viktor Orban gefährde die Sicherheit Europas, so Diplomaten. Die Idee, den Spiess mal umzudrehen, liegt da nahe. Wieso nicht einmal den Erpresser erpressen?

Denn im Reich von Viktor Orban geht ohne EU-Gelder eigentlich nicht viel. Das ist das Paradox, denn Ungarn braucht das Geld der EU, auf die er jeden Tag in den staatlich kontrollierten und regimenahen Medien schimpft. Das Land hat schon heute eines der höchsten Staatsdefizite in der EU und kämpft derzeit gegen rekordhohe Inflation. Ungarn braucht die europäischen Steuergelder, um Strassen, Eisenbahnen oder Telekommunikationsnetze auszubauen.

Knapp 80 Prozent der ungarischen Exporte gehen in die EU. Brüssel trägt mit den Kohäsionsmitteln und Geldern aus Regionalfonds massgeblich zum bisher recht günstigen Investitionsklima in Ungarn bei. Doch war das Leak des Geheimplans Absicht, Teil einer Drohkulisse für den Gipfel am Donnerstag?

Die ungarischen Blockaden hätten einige dazu gebracht, sich auch «radikalere Optionen» zu überlegen, heisst es aus Paris besänftigend. Die EU sei aber nicht der Rahmen für willkürliche politische Entscheidungen. Eine Sprecherin von EU-Rats-Präsident Charles Michel betonte, es handle sich lediglich um ein «Hintergrundpapier, das den aktuellen Stand der ungarischen Wirtschaft beschreibt».

Ungarn als Opfer

In Brüssel, Berlin oder Paris scheint man eher unglücklich über die Wellen, die das Papier seit Anfang Woche schlägt. Tatsächlich bedient die Drohkulisse Viktor Orbans Narrativ, wonach Ungarn das Opfer ist und Brüssel die eingefrorenen Mittel benutzt, um das Land politisch auf Linie zu bringen: «Das von Brüsseler Bürokraten verfasste Dokument bestätigt nur, was die ungarische Regierung schon lange sagt», wetterte Europaminister Janos Boka. Der Zugang zu EU-Geldern werde von Brüssel für politische Zwecke genutzt.

Mit der rhetorischen Keule schlägt auch Viktor Orban zurück. Endlich sei das Brüsseler «Erpressungshandbuch» öffentlich einsehbar, die Katze aus dem Sack. Es gehe Brüssel nicht um Rechtsstaatlichkeit. Ungarn werde erpresst, weil es «seine eigene Meinung zu Migration, Ukraine-Krieg und Genderpropaganda hat». Orban präsentiert sich gern als Opfer einer liberalen Verschwörung, will gar keine Migranten oder Asylbewerber im Land und wirbt für Ungarn als «christliches Bollwerk», in dem es unter anderem gesetzlich verboten ist, mit Minderjährigen über Homosexualität zu reden.

Russian President Vladimir Putin, right, and Hungarian Prime Minister Viktor Orban prepare to make a statement after a signing ceremony of the agreement in the Novo-Ogaryovo residence outside Moscow, Russia, Tuesday, Jan. 14, 2014. The agreement on cooperation on nuclear energy envisages that Russia will build two new reactors at a Hungarian nuclear power plant. (AP Photo/Yuri Kochetkov, Pool)

Das Geheimpapier heizt das Klima vor dem Sondergipfel kräftig auf, mit offenem Ausgang. Viktor Orban hat als «Kompromiss» angeboten, jedes Jahr neu über das eigentlich auf vier Jahre angelegte Hilfsprogramm für die Ukraine zu entscheiden. Der Ungar hätte damit jedes Jahr eine neue Chance, mit einer Blockade Konzessionen für sein Land zu erpressen.

Ein Szenario, das bei den anderen EU-Staaten auf keine Gegenliebe stösst. Falls Orban nicht einlenke, habe man einen Plan B zur Hand, lassen Diplomaten in Brüssel verlauten. Scheitern sei keine Option, man werde dann die Hilfe für die Ukraine einfach im Kreis der 26 EU-Staaten ohne Ungarn organisieren.