Ukraine-Blog: Fotos, Fakes und FragenWie Belarus Sechsjährige für den Krieg vorbereitet
Tausende weissrussische Kinder werden in «patriotische Militärcamps» geschickt. Dort lernen sie den Umgang mit Waffen — und werden einer «Gehirnwäsche» unterzogen.
Sie sollen «patriotische Werte» lernen – und nebenbei die Handhabung von Maschinengewehren: In Belarus werden Kinder in sogenannte patriotische Militärcamps geschickt. Ein Bericht des unabhängigen belarussischen International Centre for Civil Initiatives «Our House» kommt zum Schluss, dass Schulkinder und Teenager in diesen Lagern «an das militärische Leben gewöhnt» werden und «in militärischen Spezialgebieten» trainiert werden.
«Das belarussische Regime bereitet Kinder intensiv auf die künftige Teilnahme am Krieg an der Seite Russlands vor», schreibt «Our House». Bereits im September vor einem Jahr warnte die Organisation, dass Kinder ab einem Alter von sechs bis sieben Jahren in diese Camps geschickt werden.
Die Organisation stützt sich dabei auf eine Untersuchung von öffentlich zugänglichen sowie privaten Quellen. Bis im Sommer 2022 seien über 18'000 Kinder in den Lagern ausgebildet worden. Die patriotischen Lager unterstehen laut dem Bericht dem belarussischen Verteidigungsministerium.
In den Camps lehren auch tschetschenische Ausbildner aus der Russischen Föderation: «Es findet eine intensive Agitation und Gehirnwäsche der Kinder mit der Ideologie der ‹russischen Welt› statt.»
Marschübungen und Waffenhandhabung
Oft werden diese Camps als «Erholungslager» getarnt, in denen Kindern angeblich Wissen über die lokale Natur vermittelt werden soll. Zu den öffentlich beworbenen Tätigkeiten zählen laut «Our House» unter anderem «der Aufbau eines Zeltes», «Orientieren im Wald» oder «ein Lagerfeuer anlegen».
Der tatsächliche Charakter der Camps weicht jedoch erheblich von diesen Darstellungen ab, wie aus dem Bericht hervorgeht: «Tatsächlich handelt es sich bei solchen Lagern um eine neuntägige Vorbereitung von Kindern auf die Ausbildung zu vollwertigen Militärreservisten.»
Als Beispiel nennt der Bericht das Camp «Doblest», das in den Schulferien Aufenthalte für alle Schüler aus den Distrikten von Minsk anbietet. Das Programm im Lager umfasst verschiedene militärische Aktivitäten: Die Kinder machen etwa «Marschübungen, bauen Waffen zusammen und auseinander, üben verschiedene Bewegungen und lernen, sich im Gelände zurechtzufinden.»
Auch die «militärische medizinische Versorgung» sowie das «Beherrschen von Airsoft-Waffen, Luftgewehren und Schusswaffen» gehören laut der Untersuchung dazu. «Besonders beeindruckt war ich vom Abfeuern einer echten Maschinenpistole», wird ein siebenjähriger Camp-Teilnehmer zitiert.
Propaganda über den Ukraine-Krieg
Neben militärischen Werten wird den Kindern auch gezielt russische Propaganda eingetrichtert – auch in Bezug auf den Ukraine-Krieg. In dem Minsker Patriotenclub namens «Rys» wurde den Kindern laut «Our House» ein Propagandavideo aus Russland gezeigt, auf dem ein kleiner Junge namens Liosha in einer Militäruniform «jedes Mal, wenn er eine Militärkolonne sieht, hinausläuft, um vor den Soldaten zu salutieren». Auf der militärischen Ausrüstung der Soldaten war der Buchstabe Z zu sehen, das Symbol der «russischen Spezialoperation».
Ein Militärangehöriger, der Teil des Patriotenclubs Rys ist, sagte in einem Video über die am Camp teilnehmenden Kinder: «Das Wichtigste ist, dass sie heute grundsätzlich bereit sind, sich uns anzuschliessen und unser liebes Mutterland zu verteidigen, die Republik Belarus.»
Für Kinder aus marginalisierten Gruppen der Bevölkerung – wie Waisen, Kinder mit Beeinträchtigungen und Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommen – ist der Besuch der Camps kostenfrei. Das werde getan, da diese Kinder «keine angemessene Betreuung durch ihre Familien» haben: «Ihr Einsatz bei militärischen Aktionen wird keinen Widerstand bei ihren Angehörigen hervorrufen.»
Immer mehr Patriotenclubs
In einem aktuellen Bericht von Mitte September schreibt «Our House», dass die Anzahl der «militärischen Patriotenclubs», in denen die Lager abgehalten werden, zunehmen. «Von Jahr zu Jahr erhöhen die belarussischen Sicherheitskräfte die Zahl der Jugendlichen, die in solchen Clubs rekrutiert werden», so «Our House».
Die Behörden bekunden «offen ihre Absicht, dass ausnahmslos alle belarussischen Teenager eine ‹militärisch-patriotische Erziehung› erhalten». Dies komme in Wirklichkeit «einer Militarisierung» gleich. Die Ausbildung findet laut dem Bericht oft durch belarussische Spezialkräfte und auch Wagner-Soldaten statt, die sich nach der abgebrochenen Meuterei nach Weissrussland abgesetzt haben.
Auch gibt es Berichte von Kindern, die als Teil ihrer obligatorischen Sommerpraktika in ein militärisches Camp geschickt wurden. Die Mutter eines Sohnes wird zitiert, dass sie keine Wahl gehabt hätten: «Die Kinder gingen auf den Schiessstand, wo sie mit Maschinengewehren schossen. Sie mussten auch auf Panzern mitfahren. Mit anderen Worten: Sie haben eine gründliche militärische Ausbildung durchlaufen.» Ihr Sohn sei sichtlich psychisch angeschlagen aus dem Lager zurückgekehrt.
Auch ukrainische Kinder betroffen?
Belarus soll sich auch an der Verschleppung von ukrainischen Kindern aus den besetzten Gebieten beteiligt haben – und dies bereits vor der russischen Invasion im Februar 2022: Rund 40 Kinder sollen im August 2021 laut einer Untersuchung von belarussischen Oppositionellen aus einem Waisenhaus in Donezk nach Weissrussland gebracht worden sein und dort mehrere Wochen lang «der russischen Indoktrinierung» unterzogen worden sein. Ob diese Kinder ebenfalls in Militärcamps geschickt wurden, ist unklar. Laut dem weissrussischen Oppositionellen Wladzimir Astapenka gebe es Beweise, dass sie «zur Adoption durch russische Eltern» freigegeben wurden.
«Our House» warnt, dass die militärische Ausbildung von Kindern Teil einer «langfristigen Strategie des Kremls» für die «nächste Phase des Kriegs in der Ukraine» sein könnte. «Wenn die Europäische Union nicht eine Reihe entscheidender Schritte unternimmt, wird in Belarus in drei bis fünf Jahren eine Armee professioneller Kämpfer heranwachsen, die weiss, wie man mit Schusswaffen umgeht.» Man müsse nun im Westen sofort handeln und Strategien gegen die Aktivitäten des belarussischen Regimes entwickeln.
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