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Ukraine-Blog: Fotos, Fakes und Fragen
Eine App macht die ukrainische Artillerie so erfolgreich

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Diese App macht die ukrainische Artillerie so erfolgreich

Im Kampf gegen die russischen Angreifer hilft der Ukraine eine neue Technologie entscheidend: Dank einer ausgeklügelten Software können die Kommandeure der Verteidigungstruppen die Invasoren aus verschiedenen Richtungen beschiessen lassen. Sie benötigen dazu nur den genauen Standort, Zugriff auf das Satellitennetz Starlink von Elon Musk – und ein Smartphone, Tablet oder Laptop.

Möglich macht das die Software GIS Arta, gemäss einem Bericht der britischen «Times» wurde diese von ukrainischen Programmiererinnen und Programmierern in Zusammenarbeit mit britischen Kartografiefirmen entwickelt. Das System funktioniere ähnlich wie Uber, wo ein Kunde eine Fahrt bestelle und die App ihm das nächste freie Taxi zuordne. Bei GIS Arta werden die Zielkoordination von den Aufklärungseinheiten ins System eingetragen, und das Programm ermittelt daraufhin alle zur Verfügung stehenden Geschütze, mit denen der Beschuss erfolgen kann. Diese werden via App alle gleichzeitig informiert und können das Ziel erfassen. Der Befehl zum Angriff erfolgt von der Kommandozentrale, bei welcher die Fäden zusammenlaufen.

Mit der Software können die Zielkoordinaten in wenigen Schritten eingegeben werden, die App ermittelt dann die geeigneten Geschütze für den Angriff.

Innert Kürze sollen so koordinierte Angriffe von verschiedenen Richtungen auf den Feind möglich sein – mittels Artillerie, Panzer, Granatwerfern, Drohnen oder was sonst gerade in Reichweite des Ziels bereitsteht.

Damit das funktioniert, greift GIS Arta auch auf das Satellitennetz Starlink von Tesla-Chef und Multimilliardär Elon Musk zurück. Die normalen Kommunikationswege sind im Kriegsgebiet massiv gestört, sodass die Datenübermittlung erschwert wird. Starlink konnte aber bisher von Russland noch nicht massgebend gehackt werden, obwohl dies gemäss Elon Musk andauernd versucht wird. Die Ukraine erhält dank Starlink praktisch Echtzeitdaten von der eigenen Aufklärung oder von Nato-Informationen und kann die Ziele kurz darauf angreifen.

Früher dauerte es oft 20 Minuten von der Zielübermittlung bis zum Beschuss, diese Zeit reduziert GIS Arta gemäss Bericht auf wenige Minuten – wobei es bis zum Feuerbefehl auch länger gehen kann, damit nach einer Überprüfung auch sicher das richtige Ziel anvisiert wird.

Beispiel eines Angriffs von zwei verschiedenen Stellungen aus.

Im Gegensatz zum herkömmlichen Artilleriekrieg können die Geschütze mit dem neuen System auf dem Schlachtfeld verteilt und trotzdem zusammen eingesetzt werden – die Koordination übernimmt die App GIS Arta. Der Gegner wird somit gleichzeitig aus verschiedenen Richtungen unter Beschuss genommen, was die Reaktion erschwert.

Normalerweise erfolgt der Angriff von mehreren Geschützen am selben Standort, womit ein Gegenschlag leichter fällt.

Russische Artilleriegeschütze, klassisch in Formation aufgestellt und somit einfacher zu lokalisieren und mit einem Gegenschlag zu treffen.

Der österreichische Oberst Markus Reisner erklärt in einem Youtube-Video des österreichischen Bundesheers die Vorteile von GIS Arta gegenüber konventioneller Artillerie und wie die Ukraine ihre Kriegsführung damit entscheidend verbessern konnte. Von 2014 bis 2017 verloren die Ukrainer demnach 65 Prozent ihrer Geschütze durch gegnerischen Artilleriebeschuss. Die prorussischen Truppen waren also sehr erfolgreich, die ukrainischen Geschütze zu lokalisieren und zu zerstören.

Die Ukrainer mussten etwas ändern, wie Reisner erklärt. Mit dem neuen System sind die Waffen nun verteilter und der Gegenschlag somit erschwert, es werden höchstens einzelne Geschütze getroffen.

Ukrainische Artillerie Anfang Mai in der Nähe von Charkiw: Die Verteidigungskräfte können für ihren Beschuss auf eine raffinierte Software zählen.

Entscheidend für die erfolgreiche Artillerie ist gemäss dem Oberst neben der neuen Software GIS Arta, der Kommunikation über Elon Musks Starlink-Satelliten und der kurzen Reaktionszeit auch die verwendete Munition. Die Ukrainer haben dafür ein russisches Modell nachgebaut, erklärt Reisner, die präzise gesteuerten Granaten vom Typ Krasnopol. Damit seien sehr genaue Treffer möglich, meist zerstöre der erste Beschuss das Ziel bereits.

Als Beispiel für den Erfolg der ukrainischen Artillerie-App nennt Reisner die Zerstörung der 74. motorisierten Schützenbrigade am Fluss Siwerski Donez bei Bilohoriwka (siehe Eintrag weiter unten). Bei der versuchten Überquerung des Flusses wurden die russischen Einheiten praktisch komplett von der ukrainischen Artillerie gezielt vernichtet, auch mithilfe von GIS Arta (GIS = Geografisches Informationssystem, Arta = Art for Artillery).

Die ukrainische Artillerie hat eine russische Brigade beim Überqueren des Flusses Siwerski Donez dank GIS Arta praktisch komplett vernichtet.

Andreas Frei, publiziert am 24. Mai 2022

Dieser Ex-Offizier sagte die Probleme der russischen Invasion voraus

Der Auftritt von Michail Chodarjonok im russischen Staatsfernsehen Anfang dieser Woche war bemerkenswert. «Wir dürfen keine Informations-Beruhigungspillen einnehmen», sagt der ehemalige hochrangige Offizier der Luftwaffe in der Sendung «60 Minuten» des Senders Rossija 1 am Montag. «Es gibt Berichte über einen moralischen und psychologischen Zusammenbruch der ukrainischen Streitkräfte. Sie sind – um es milde auszudrücken – schlicht falsch.»

Die Moderatorin der Sendung, Olga Skabejewa, interveniert. «Aber es gibt einzelne Einheiten, die über finanzielle Schwierigkeiten berichten. Das hat doch Auswirkungen auf die ganze Armee.» Chodarjonok stimmt zu, aber lenkt den Blick auf das «grosse Ganze». Dort habe die ukrainische Armee keine Probleme, eine «Million Menschen zu mobilisieren und zu bewaffnen».

Damit widerspricht Chodarjonok dem offiziellen Narrativ der russischen Regierung, die immer wieder ein Bild einer desorganisierten, schlecht ausgerüsteten ukrainischen Armee zeichnet. Das hat im staatlich kontrollierten Fernsehen Seltenheitswert. Die Aussagen sorgen dementsprechend für Schlagzeilen bei führenden westlichen Medien wie der «New York Times», «The Guardian» oder der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung».

Treffende Analyse vor der Invasion

Für Chodarjonok ist es aber nicht das erste Mal, dass er eine konträre Haltung zur russischen Führung einnimmt. Bereits Anfang Februar, drei Wochen bevor die ersten Truppen in die Ukraine einmarschierten, hatte der Militäranalyst in einem Artikel in der Moskauer «Nesawisimaja Gaseta» vor der unrealistischen Vorstellung eines erfolgreichen Blitzkriegs gewarnt. «Zu erwarten, mit einem Schlag die Streitkräfte eines ganzen Staates zu vernichten, zeigt schlicht grenzenlosen Optimismus.»

In seiner Analyse hatte der 68-Jährige eine Reihe von Fehlannahmen aufgeführt und zerpflückt, die er in der russischen Militärführung beobachtet hatte. Sie lesen sich wie Vorhersagen eines Orakels.

  • Die ukrainische Luftwaffe könne nicht so schnell ausgeschaltet werden: Zwar wurden viele ukrainische Kampfjets und Helikopter in den ersten Tagen der Invasion zerstört. Dennoch fliegen die Ukrainer immer noch erfolgreich Einsätze. Die nur teilweise vorhandene Lufthoheit der russischen Luftwaffe macht das Vorrücken der Bodentruppen gefährlich.

  • Der Westen werde massive militärische Hilfe leisten: Wie vorausgesagt haben die Nato-Länder keine Bodentruppen in den Kampfeinsatz geschickt, sondern moderne Waffensysteme und Munition im Wert von über 40 Milliarden Dollar geliefert. Damit kann sich die ukrainische Armee wesentlich länger behaupten, als von der russischen Führung angenommen.

  • Die ukrainische Armee habe sich seit 2014 modernisiert und werde starken Widerstand leisten: Womöglich hatten die russischen Militärs den desolaten Zustand der ukrainischen Streitkräfte im Kopf, die 2014 gegen die von Russland unterstützten Separatisten grosse Verluste hinnehmen mussten. Doch die aktuelle Lage zeigt: Die ukrainische Armee ist durchaus in der Lage, es mit den russischen Streitkräften aufzunehmen.

  • Militärische Operationen in urbanen Gebieten seien schwierig und nur unter grossen Verlusten durchzuführen: Das zeigt sich exemplarisch am gescheiterten Sturm auf Kiew. Zu Beginn der russischen Invasion wurde angenommen, dass die Hauptstadt innerhalb weniger Tage fallen würde. Doch der russische Vorstoss traff auf gut befestigte Stellungen. Der Hauptkonvoi mit Nachschub und schweren Waffen wurde zudem Opfer von ukrainischen Artillerieschlägen, Drohnenangriffen und Hinterhalten. Nach wochenlangen schweren Kämpfen in den Kiewer Vororten zogen sich die russischen Truppen aus dem Gebiet der Hauptstadt zurück.

In der Summe hatte der Ex-Militär den Kriegsverlauf damit ziemlich genau vorausgesagt.

Lesen Sie hier: Die Probleme der russischen Armee – in sechs Punkten

Die fehlgeleitete Invasion habe Russland in «geopolitische Isolation» geführt, sagt Chodarjonok in dem bemerkenswerten Fernsehauftritt vom Montag weiter. «Wir sollten uns bewusst sein, dass sich unsere Situation nur noch verschlechtern wird.» Russland müsse einen militärisch-politischen Realismus bewahren, sonst werde die Realität der Ereignisse das Land so hart treffen, «dass wir es bereuen werden».

Und jetzt die Kehrtwende?

Am gestrigen Mittwoch trat Chodarjonok dann erneut bei Rossija 1 auf – doch da klang er plötzlich anders. Es bestünden keine Zweifel, dass die russischen Truppen die ukrainischen Stellungen zerstören würden. «Bald wird von den amerikanischen Haubitzen nur noch die Erinnerung übrig sein.» Zu seiner Aussage wurden Bilder von Artillerieschlägen auf die M777-Haubitzen gezeigt, welche die ukrainische Armee von den USA geliefert bekommen hat. Weiter spricht der ehemalige Luftwaffenoffizier von «Gerüchten», wonach die Ukraine Gebiete zurückerobert habe. Solche Gegenangriffe seien «massive Übertreibungen».

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Manche Beobachter interpretieren das als Kehrtwende und vermuten, Chodarjonok habe die Anweisung erhalten, sich mit öffentlicher Kritik zurückzuhalten. Andere sind überzeugt, dass sich die Verantwortlichen beim Staatssender durchaus bewusst gewesen seien, wen sie da in der Sendung auftreten lassen. Die auf den ersten Blick bemerkenswert offene Kritik diene dazu, die Erwartungen an einen umfassenden Sieg in der Ukraine zu dämpfen und die russische Bevölkerung so auf ein realistischeres Narrativ einzuschwören.

Hannes von Wyl, publiziert am 19. Mai 2022

Jetzt spricht die Schwangere aus Mariupol

Marianna Vyshemirsky wurde auf einen Schlag berühmt. Das Bild von ihr, wie sie hochschwanger aus einer zerbombten Geburtsklinik in Mariupol begleitet wird, wurde auf der ganzen Welt verbreitet. Beim russischen Luftangriff auf das Gebäude am 9. März wurden vier Personen getötet, ein Baby kam in der Folge tot auf die Welt.

Marianna Vyshemirsky verlässt die zerstörte Klinik in Mariupol am 9. März 2022.

Die russische Regierung bestritt den Angriff und startete eine Desinformationskampagne, die Vyshemirskys Glaubwürdigkeit untergraben sollte. Die Kampagne hatte Erfolg, Vyshemirsky wurde in sozialen Medien mit Hasskommentaren eingedeckt, wie sie der BBC-Journalistin Marianne Spring erzählt. Es ist das erste Interview, das die Ukrainerin seit der Evakuierung aus Mariupol westlichen Medien gibt. «Ich erhielt Drohungen, dass sie mich finden und töten würden, dass sie mein Kind in Stücke schneiden würden», sagt Vyshemirsky.

Sie sei eine Schauspielerin, hiess es auf prorussischen Kanälen. Vyshemirsky soll zwei verschiedene schwangere Frauen dargestellt haben, die auf Fotos nach dem Luftschlag sichtbar sind. Die russische Botschaft in London bezeichnete sie deshalb als «Fake». Doch die zweite Frau, deren Bild auf den Frontseiten von zahlreichen Zeitungen abgedruckt wurde, ist eine andere Person. Sie und ihr ungeborenes Kind verstarben nach Angaben der Nachrichtenagentur AP später.

Der Tweet der russischen Botschaft wurde gelöscht. Er ist über das Web-Archiv noch auffindbar.

Zudem soll die Geburtsklinik vom ukrainischen Asow-Bataillon als Hauptquartier genutzt worden sein. Die ehemalige Miliz, die 2014 von Rechtsextremen gegründet wurde, dient Moskau seither als Beleg für die angebliche Unterwanderung des ukrainischen Staates durch Neonazis.

Laut Vyshemirsky waren aber keine ukrainischen Soldaten in der Geburtsklinik stationiert, wo sie sich zum Zeitpunkt des Luftschlags aufgehalten hatte, wie sie zur BBC-Journalistin sagt.

In einem weiteren Punkt widersprechen ihre Schilderungen allerdings anderen Angaben: Sie habe vor der Explosion keine Flugzeuge gehört, sagt Vyshemirsky. «Das typische Geräusch eines Überflugs ist unmöglich zu überhören.»

Diese Aussage hatte sie bereits im April gegenüber dem prorusssichen Blogger Denis Seleznev gemach, und bestätigt sie nun gegenüber BBC. Damals wurden ihre Aussagen zu Flugzeuggeräuschen und ukrainischen Soldaten aus dem Zusammenhang gerissen und von russischer Seite als Beleg angeführt, dass es den Luftangriff gar nicht gegeben hatte.

Die Nachrichtenagentur AP, die kurz nach der Explosion vor Ort war und von deren Fotograf die berühmten Bilder der schwangeren Frauen stammen, zitiert jedoch Augenzeugen, die ein Flugzeug gehört haben. Auf einer Videoaufnahme kurz vor der Explosion ist zudem das Geräusch eines Jets zu hören. Der russische Luftschlag auf die Geburtsklinik in Mariupol ist heute ausserhalb der russischen Propaganda unbestritten.

Marianna Vyshemirsky lebt heute in ihrer Heimatstadt im Donbass, die unter der Kontrolle von prorussischen Separatisten steht. Blogger Seleznev war beim BBC-Interview dabei, hat aber laut der britischen Journalistin bei keiner Aussage interveniert. Vyshemirsky pflegt nun wieder ihren Instagram-Account wie vor dem schicksalhaften Tag in Mariupol. Dort bewirbt sie als Influencerin Beauty-Produkte. In ihrem jüngsten Beitrag stellt sie Fragen zur Impfung von Babys. Über ihre Tochter Veronika sagt sie zur BBC: «Sie hat sich für ihr Erscheinen einen schwierigen Zeitpunkt ausgewählt, aber es ist besser, dass sie unter diesen Umständen ins Leben trat als gar nicht.»

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Hannes von Wyl, publiziert am 17. Mai 2022

«Aus Dummheit ging ein ganzes Bataillon zugrunde»

Die vereitelte Überquerung einer russischen Brigade des Flusses Siwerski Donez könnte eines der verlustreichsten Ereignisse im Ukraine-Krieg gewesen sein. Das legt ein Bericht des amerikanischen Thinktanks Institute for the Study of War (ISW) nahe, der die russischen Verluste auf 485 Soldaten und rund 80 Fahrzeuge und Geräte beziffert.

Bei der Operation am 8. Mai geriet die 74. motorisierte Schützenbrigade in einen Hinterhalt der ukrainischen Truppen. Die russischen Einheiten hatten versucht, mit Pontonbrücken den Donez-Fluss zu überqueren, der im Osten der Ukraine eine natürliche Frontlinie bildet. Konzentrierter Artilleriebeschuss auf die eng stehenden russischen Formationen vernichtete fast die ganze Brigade.

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Nun kritisieren sogar bekannte prorussische Analysten das Vorgehen der Streitkräfte. Die Ereignisse am Donez hätten «das Fass zum Überlaufen gebracht», sagt Jurij Podoljaka in einem Video, das er auf seinem Telegram-Kanal veröffentlichte. Dort erreicht der ukrainische Blogger über 2 Millionen Abonnenten. Seine Videos werden auch auf deutschen Websites verbreitet. Er habe lange geschwiegen, sagt Podoljaka. Aber weil «aus Dummheit des russischen Kommandos mindestens ein ganzes Bataillon zugrunde ging», müsse er nun an die Öffentlichkeit.

Die militärische Führung habe aus den «Fehlern, die bei der Offensive auf Kiew schon vor drei Monaten gemacht worden waren», nichts gelernt. In Anbetracht der Probleme würden sich bei ihm und Millionen von russischen Bürgern Fragen an die Führung dieser Kriegsoperation aufdrängen. «Vielleicht werfen sie mich ins Gefängnis», sagt Podoljaka zum Schluss seiner rund 5 Minuten langen Anklage gegen die russische Armeeführung und das Verteidigungsministerium: «Aber wenn ich länger schweige, werden noch Hunderte unserer Jungs völlig sinnlos sterben.»

Kritik an der Führung kommt auch von einem russischen Aktivisten mit dem Pseudonym «Wladlen Tatarsky». Er gilt als Sprecher der berüchtigten paramilitärischen Einheit Wagner und erreicht mit seinem Telegram-Kanal über 300'000 User. Der Kommandant der gescheiterten Flussüberquerung müsse sich öffentlich dafür verantworten, fordert der sonst stets sehr Putin-freundliche Blogger. Harte Personalentscheide seien nötig. «Wenn dies nicht getan wird, wird uns keine Mobilisierung retten – und der nächste Idiot wird unsere gepanzerten Fahrzeuge in der Nähe eines Dorfes verbrennen.»

Bei der versuchten Überquerung des Donez wurden Dutzende russische Fahrzeuge zerstört. Foto: Gouverneur von Luhansk via Telegram

Die offene Kritik von Putin-getreuen Bloggern habe ein grosses Wirkungspotenzial, schreibt der Thinktank ISW. «Menschen unter einem strikten Zensurregime vertrauen oft mehr einzelnen Individuen, die unabhängig erscheinen, aber auf Regierungslinie liegen, als der Regierung selber.» Die Kommentare der Blogger könnten in der russischen Bevölkerung Zweifel an der russischen Militärführung befeuern.

Die russische Offensive im Donbass geriet zuletzt ins Stocken. Das Gefecht am Fluss Donez markiere dabei einen strategisch wichtigen Sieg der ukrainischen Armee, sagen westliche Militärexperten. Nur wenige Kilometer entfernt vom Ort des Gefechts liegt die Stadt Sjewjerodonezk. Sie ist die am östlichsten gelegene Stadt, die noch unter ukrainischer Kontrolle steht. Russische Truppen versuchen möglicherweise, den Verteidigungspunkt einzukesseln. Ein Übertritt über den Donez hätte russische Truppen in den Rücken der Stadt gebracht. «Die Schlacht um die Kontrolle des Donez-Flusses ist ein wichtiger Schauplatz für den Ausgang des Krieges», sagt der US-Analyst Sim Tack zu France 24.

Hannes von Wyl, publiziert am 16. Mai 2022

Selenskis Telegram-Kanal zeigt SS-Totenkopf

Am 9. Mai feiern die Staaten der ehemaligen Sowjetunion den Tag des Sieges über Nazideutschland und damit einhergehend das Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Feiertag ist gleichzeitig ein Gedenktag für die 24 Millionen Opfer, die der Zweite Weltkrieg der Sowjetunion abverlangte. Keine andere Nation erlitt in diesem Krieg höhere Verluste.

Anlässlich des 9. Mai postete der ukrainische Präsident Selenski, dessen Land einst Teil der Sowjetunion war, in seinem offiziellen Telegram-Kanal zehn Fotos aus dem aktuellen Ukraine-Krieg. In einem Text unter den Fotos wird aus ukrainischer Perspektive eine Parallele gezogen zwischen der Rolle Nazideutschlands im Zweiten Weltkrieg sowie der Rolle Russlands im Ukraine-Krieg:

«Am Tag des Sieges über den Nazismus kämpfen wir für einen neuen Sieg. Der Weg dorthin ist schwierig, aber wir haben keinen Zweifel, dass wir siegen werden. Was ist unser Vorteil gegenüber dem Feind? Wir sind schlauer dank eines Buches. Dies ist ein Lehrbuch über die Geschichte der Ukraine. Wir wüssten nichts von Trauer, wenn alle unsere Feinde es lesen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen könnten.»

Die Botschaft ist klar: Die Ukraine wird Russland besiegen – genauso wie Nazideutschland einst von der Sowjetunion besiegt wurde, für die damals auch ukrainische Soldaten kämpften. Die Bilder, die den Text begleiten, zeigen ukrainische Soldaten von der Front, Zivilisten mit Haustieren, eine Familie, die in einem Bunker ausharrt, Freiwillige, die Essen verteilen, sowie Holzplatten, die eine Statue vom Kriegsgeschehen abschirmen.

Bild mit Nazisymbol wurde entfernt

Der Beitrag wurde jedoch bereits rund 30 Minuten nach Publikation kommentarlos redigiert, wobei das erste Bild aus der Fotostrecke gelöscht wurde. Seither sind in Selenskis Telegram-Kanal nur noch neun Fotos zu sehen, obwohl die Fotocredits weiterhin zehn Fotografen listen.

Auf Telegram können Beiträge an andere Nutzer weitergeleitet werden. Da nachträglich erstellte Änderungen in bereits weitergeleiteten Nachrichten nicht automatisch übernommen werden, kursieren im Netz weiterhin zahlreiche Versionen des ursprünglichen Beitrags mit den zehn Fotos.

Bei genauerem Hinsehen ist zu erkennen, dass auf der Brust des ukrainischen Soldaten aus dem ersten Bild der Totenkopf der 3. SS-Panzerdivision prangt. Die Division gehörte zu den Elitetruppen Nazideutschlands und kämpfte während des Zweiten Weltkriegs unter anderem auch in der Südukraine.

Da Moskau die Denazifizierung der Ukraine als einen der Hauptgründe für die Invasion anführt, dauerte es nicht lange, bis prorussische Twitter-Accounts sich über Selenskis Fehltritt im Netz lustig machten.

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Auch wenn viele Beobachter in der Denazifizierung bloss einen Vorwand Russlands für die Invasion sehen, drängt sich dennoch die Frage auf: Weshalb postet ein jüdischer Präsident anlässlich des Sieges über den Nazismus das Foto eines ukrainischen Soldaten, der selbst ein Nazisymbol trägt? Selenskis Administration hat bisher davon abgesehen, sich zu ihrem kontroversen Beitrag vom 9. Mai zu äussern.

Es ist nicht das erste Mal, dass Mitglieder der ukrainischen Armee Nazisymbole wie die schwarze Sonne, die Wolfsangel oder den Totenkopf der 3. SS-Panzerdivision offen zur Schau tragen. Auch das Asow-Bataillon, das 2014 kurz nach Beginn des Ostukraine-Konflikts unter anderem vom bekannten Rechtsextremisten Andrij Bilezkyj gegründet wurde, verwendet die Wolfsangel offiziell als Abzeichen.

Gemäss dem Osteuropa-Experten Andreas Umland hat sich das ehemalige Freiwilligenbataillon mittlerweile «entideologisiert und zu einer normalen Kampfeinheit unter dem Kommando des ukrainischen Verteidigungsministeriums entwickelt». Von der Wolfsangel hat sich das Asow-Bataillon allerdings bis heute nicht getrennt.

Philippe Stalder, publiziert am 13. Mai 2022

So gelang der Ukraine ein vernichtender Schlag am Fluss Donez

«Ich habe noch nie in meinem Leben solch schwere Kämpfe erlebt.» Das schreibt Maxim, nach eigenen Angaben ein Militäringenieur der ukrainischen Streitkräfte. Maxim bezieht sich auf heftige Gefechte am 9. und 10. Mai am Fluss Siwerski Donez (Nördlicher Donez), der vom Norden her nach Südosten durch die Ostukraine fliesst. Dort wurden grosse Teile eines russischen Bataillons zerstört, wie Satellitenbilder und Drohnenaufnahmen zeigen.

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Die russischen Truppen sollten nach ukrainischen Angaben gegen Westen auf die Stadt Liman vorstossen. Der Fluss bildet eine von mehreren natürlichen Barrieren für den russischen Vorstoss gegen Westen.

Maxim gehört laut seiner Schilderung auf Twitter zur ukrainischen Einheit, die die russische Truppenüberquerung verhinderte. Am 7. Mai machte er demnach einen möglichen Ort für eine russische Flussüberquerung ausfindig, den er seinem Kommandanten weitergab. Die Sicht sei schlecht gewesen. Die russischen Truppen brannten Felder ab und verwendeten Rauchgranaten, um ihre Bemühungen zu verschleiern.

Maxim sagte seinem Kommandanten, dass die russischen Truppen Boote brauchten, um eine Pontonbrücke zu errichten. Also lauschten sie auf Motorengeräusche. Am 8. Mai am frühen Morgen war es so weit. Genau an der Stelle, die Maxim vorausgesagt hatte, begannen russische Einheiten, Elemente von Pontonbrücken über den Fluss zu legen.

Die ukrainischen Artilleriegeschütze hatten diesen Ort bereits anvisiert. Drohnenvideos bestätigten, dass russische Soldaten und Fahrzeuge versuchten, den Donez zu überqueren. Dann feuerten sie los. «Nach einem Tag Gefecht war die Brücke versenkt. 30 bis 50 russische Fahrzeuge und Infanterie steckten auf der ukrainischen Seite des Flusses fest, ohne Rückzugsmöglichkeit», beschreibt Maxim die Ereignisse. Eine zweite Brücke wurde ebenfalls zerstört.

Foto: Gouverneur von Luhansk via Telegram
Foto: Gouverneur von Luhansk via Telegram

Maxims Schilderungen lassen sich zwar nicht unabhängig überprüfen. Seine Angaben zum Ort der versuchten Flussüberquerung stimmen aber mit den Satellitenbildern überein.

Eine Karte des Gebiets, die Maxim auf Twitter veröffentlichte. Rot eingezeichnet in der Mitte ist der Ort, wo er die Flussüberquerung vermutete. Foto: Twitter
Aufnahmen zeigen Rauch von zerstörten Fahrzeugen am 10. Mai. Foto: Gouverneur von Luhansk via Telegram

Die Luftaufnahmen vom 10. Mai zeigen das Ausmass der Zerstörung. Brückenteile liegen im Wasser, die Ufer sind übersät mit ausgebrannten Panzern und Truppentransportern. Die russischen Verluste belaufen sich laut Zählungen anhand der Aufnahmen auf mindestens 40 gepanzerte Fahrzeuge. Wie viele Soldaten getötet wurden, ist unklar. Eine Bataillonskampfgruppe verfügt üblicherweise über rund 50 bis 60 gepanzerte Fahrzeuge.

Das ist ein vernichtender Schlag für die russischen Streitkräfte. Laut Angaben des Pentagons befinden sich rund 90 Bataillonskampfgruppen in der Ukraine. Gemäss dem britischen Verteidigungsministerium sind davon rund 25 Prozent wegen hoher Verluste und Nachschubproblemen nicht mehr gefechtsfähig. Das würde heissen, dass die russische Seite noch über ungefähr 68 kampffähige Bataillonskampfgruppen verfügt. Nach der Schlacht am Donez dürfte es nun eine weniger sein.

Hannes von Wyl, publiziert am 12. Mai 2022

Wohin Moskau die «befreiten» Ukrainer deportiert

Vor einigen Wochen kursierte in den sozialen Medien ein Video von Alisa, einem vierjährigen Mädchen, das zusammen mit seiner Mutter in einem Keller des von russischen Truppen belagerten Asowstal-Werks in der ukrainischen Hafenstadt Mariupol ausharrte. «Ich möchte nach Hause», sagte Alisa, deren Mutter Wiktoria als Sanitäterin im Asowstal-Werk verwundete Soldaten pflegte.

Das Asowstal-Werk gilt als letzte Bastion der ukrainischen Kräfte in Mariupol, rund 1000 Soldaten der Marine und des nationalistischen Asow-Bataillons hatten sich dort zusammen mit mehreren Hundert Zivilisten verschanzt, die Schutz vor den russischen Bomben suchten. Zurzeit sollen sich im Asowstal-Werk noch rund hundert Zivilisten aufhalten.

Gemäss der ukrainischen Journalistin Olga Tokariuk ist Alisas Wunsch unterdessen in Erfüllung gegangen. Sie wurde letzte Woche im Rahmen der gemeinsamen Mission der Vereinten Nationen sowie des Roten Kreuzes aus dem Asowstal-Werk evakuiert und konnte via das russische Filtrationslager in Besimenne in der selbst ernannten Volksrepublik Donezk zu Verwandten in die ukrainische Stadt Saporischschja gebracht werden. Ihre Mutter hingegen ist allem Anschein nach im russischen Filtrationsverfahren hängen geblieben. Ihr Verbleib ist unbekannt.

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Wie das russische Aussenministerium über seinen Telegram-Kanal mitteilte, sind die «befreiten» Zivilisten in Besimenne verpflegt und medizinisch versorgt worden. «Zivilisten, die in die von Kiew kontrollierten Gebiete ausreisen wollten, wurden an Vertreter der UNO und des IKRK übergeben», so das Ministerium weiter. Wie Wiktorias Fall nun zeigt, hatten jedoch nicht alle Evakuierten die freie Wahl darüber, ob und an welche Seite sie übergeben werden.

Destination Pazifikküste

Bereits seit einigen Wochen mehrten sich in den sozialen Medien Berichte von Ukrainern, deren Familienmitglieder aus eroberten Gebieten wider Willen nach Russland deportiert worden sein sollen – teilweise sogar in entlegene Winkel wie Chabarowsk nahe der Pazifikküste.

So berichtete etwa der ukrainische Journalist Romeo Kokriatski, eine ihm bekannte Familie sei nach der Evakuierung aus Mariupol quer durch Russland transportiert worden. Ohne zu wissen, wohin die Reise geht oder was sie an der Destination erwartet. Unabhängig überprüfen liessen sich solche Berichte bisher nicht.

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Laut der Menschenrechtsbeauftragten des ukrainischen Parlaments, Ljudmila Denissowa, sollen seit Kriegsbeginn jedoch knapp 1,2 Millionen ukrainische Bürger, darunter mehr als 200’000 Kinder, via Filtrationslager in die Russische Föderation deportiert worden sein. Diese Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

In den Filtrationslagern werden die evakuierten Ukrainer gemäss Denissowa zu ihrer Einstellung zur «russischen Spezialoperation» befragt und ihre Telefone auf Kommunikation mit dem ukrainischen Militär hin durchsucht. Dabei werden verdächtige Ukrainer herausgefiltert und in Gefangenenlager im Donbass überführt, während als nicht gefährlich eingestufte Ukrainer entweder zurück in die Ukraine oder weiter nach Russland transferiert werden. Letztere zunächst nach Taganrog nahe der ukrainischen Grenze am Asowschen Meer, von wo aus sie in Lager in ganz Russland verteilt würden, so Denissowa.

«Ich kann nicht sagen, wie viele Lager es gibt oder wie sie aussehen», erklärte Pentagon-Sprecher John Kirby am Montag. «Aber wir haben Hinweise darauf, dass Ukrainer gegen ihren Willen nach Russland gebracht werden», bestätigte Kirby Denissowas Anschuldigungen. Das Pentagon bezeichnete das Vorgehen Russlands als «skrupellos».

Umsiedlung hat System

Dem britischen Journalisten Dean Kirby ist es nun erstmals gelungen, einen Eindruck über das Ausmass der Deportationen zu gewinnen. Kirby wertete zahlreiche Berichte russischer Lokalzeitungen aus, in denen Angaben zu den eintreffenden Ukrainern gemacht wurden, und glich diese mit öffentlich zugänglichen Satellitenbildern ab, in denen die sogenannten temporären Unterkunftszentren zu sehen sind. Oft wurden die Lager in ehemaligen Sanatorien, Ferien- oder Umerziehungslagern sowie Waisenhäusern eingerichtet.

Die Recherche zeichnet das Bild eines weitläufigen Netzwerks, bestehend aus mindestens 66 Lagern, das sich vom Polarkreis über den Kaukasus nach Sibirien bis hin zur Atlantikküste über ganz Russland erstreckt, teilweise bis zu 8000 Kilometer entfernt von der ukrainischen Grenze.

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Durch die Auswertung lokaler Zeitungsberichte konnte Kirby belegen, dass bisher mindestens 6250 Ukrainer, darunter 621 Kinder, nach Russland deportiert wurden. Ein im April bekannt gewordenes Dekret des Kreml zeigt, dass die Umsiedlung von Ukrainern nach Russland System hat.

So regelt diese Notverordnung die Niederlassung von rund 100’000 Menschen aus dem Kriegsgebiet in sämtlichen russischen Bundesstaaten. Je dunkler ein Gebiet gefärbt ist, umso mehr Ukrainer sollen dahin umgesiedelt werden.

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Ausserdem waren in russischen TV-Lokalnachrichten Bilder von der Ankunft Hunderter Ukrainer, die angeblich aus Mariupol stammen, in Städten wie Michurinsk und Kasan im Zentrum Russlands zu sehen. Ein TV-Beitrag soll Ukrainer dabei zeigen, wie sie sich in Wladiwostok nahe der Grenze zu Nordkorea registrieren und sich die Fingerabdrücke nehmen lassen.

Offiziell sollen die deportierten Ukrainer die russischen Lager verlassen dürfen. Ihre geografische Abgeschiedenheit sowie das Fehlen von Bargeld, Telefonen oder Papieren stellen diejenigen, die nicht in Russland bleiben wollen, jedoch oft vor eine fast unlösbare Aufgabe.

Philippe Stalder, publiziert am 11. Mai 2022

Der «König des Schlachtfelds» ist an der Front angekommen

«Das ist bahnbrechend», sagt ein ehemaliger Major der US-Armee, John Spencer, zur BBC. Spencer bezieht sich auf die Lieferung von M777-Haubitzen an die ukrainischen Streitkräfte. Die USA haben Kiew insgesamt 90 der modernen Artillerie-Geschütze versprochen, die meisten sind laut dem Pentagon in der Ukraine angekommen.

Nun kursiert in sozialen Medien ein Video, das den erstmaligen Einsatz einer M777 an der Front im Donbass zeigen soll. Auf den Aufnahmen ist eine ukrainische Einheit zu sehen, die das Geschütz lädt und in Richtung der russischen Stellungen abfeuert.

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Die M777 gehört zu den modernsten Artilleriewaffen und hat eine Reichweite von bis zu 40 Kilometern. Sie kann auch GPS-gesteuerte Munition verschiessen, mit der eine hohe Präzision auch über grosse Distanzen erreicht wird. Das Geschütz gehört zur Klasse der Haubitzen, eine Distanzwaffe, die in Bezug auf die Flugbahn des Projektils zwischen einer Kanone und einem Mörser anzusiedeln ist. Die modernen M777 sind den meisten russischen Artillerie-Waffen in puncto Reichweite überlegen, wie ein Vergleich der «Washington Post» zeigt.

Bislang verfügte die ukrainische Armee hauptsächlich über ältere Haubitzen aus sowjetischer Produktion, die weniger präzise sind. Um die amerikanischen Geschütze überhaupt bedienen zu können, ist eine zusätzliche Ausbildung nötig. Das Training findet auch auf dem US-Stützpunkt Grafenwöhr in Deutschland statt. Bis Ende letzter Woche sollen insgesamt bereits über 300 ukrainische Soldaten geschult worden sein. Ein weiteres Video, das in sozialen Medien verbreitet wird, zeigt eine Batterie von M777-Geschützen sowie dutzende vermutlich ukrainische Soldaten, offenbar in Grafenwöhr.

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Spencer, der an der US-Militärakademie Westpoint unterrichtet und in verschiedenen Medien als Militärexperte auftritt, hält das Artillerie-Geschütz für den «König des Schlachtfelds», wie er zur BBC sagt. Zusammen mit Hunderttausenden Geschossen könnten die amerikanischen M777-Haubitzen die Bedingungen im Krieg entscheidend verändern.

Doch auch andere Länder liefern der Ukraine Artillerie-Geschütze. Deutschland und die Niederlande wollen Panzerhaubitzen 2000 ins Kriegsgebiet schicken. Das schwere Artilleriegeschütz ist auf das Fahrgestell eines Kettenpanzers montiert. Das heisst, die Haubitze ist im Gegensatz zur M777 nicht darauf angewiesen, sich ziehen oder bewegen zu lassen, sondern kann selber fahren. Die Ausbildung der ukrainischen Soldaten an den Panzerhaubitzen 2000 soll diese Woche beginnen.

Ebenfalls selbstfahrende Haubitzen sollen aus Frankreich geliefert werden. Präsident Emmanuel Macron kündigte die Lieferung von Caesar-Geschützen an. Wie die Panzerhaubitze 2000 und die M777 verschiesst das Caesar-System 155 Millimeter Nato-Geschosse mit einer Reichweite von bis zu 40 Kilometern. Laut Berichten befinden sich dazu ukrainische Soldaten in Frankreich zu Ausbildungszwecken.

Eine Übersicht zu den verschiedenen Waffentypen, die auf beiden Seiten im Ukraine-Krieg eingesetzt werden, finden Sie in diesem Artikel.

Butscha-Massaker: Kiew verdächtigt vermutlich den falschen Täter

Wie Staatsanwältin Irina Wenediktowa am Montag auf ihrem Twitter-Account mitteilte, hat die ukrainische Staatsanwaltschaft einen ersten Verdächtigen im Fall des Massakers von Butscha identifizieren können. Dabei soll es sich um den 35-jährigen Sergei K. handeln, einen Kommandanten der russischen Nationalgarde. Die Anklage: K. soll am 29. März vier unbewaffnete Männer getötet sowie einen ukrainischen Zivilisten gefoltert und einer Scheinhinrichtung unterzogen haben.

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Auf Grundlage der Aussage des Zivilisten sowie weiterer, nicht näher dargelegter Beweise hat die ukrainische Staatsanwaltschaft K. wegen des Verdachts auf Misshandlung von Zivilisten und vorsätzlichen Mord angeklagt. Identifiziert wurde K. anhand eines geleakten Überwachungsvideos aus einem privaten Versanddienst in der weissrussischen Kleinstadt Masyr.

Darin ist zu sehen, wie russische Soldaten per Expressversand kistenweise Beutegut nach Hause schicken, das sie vermutlich aus ukrainischen Haushalten entwendet haben – vom Fernsehgerät über Computer bis zu einem E-Scooter ist so ziemlich alles dabei (wir berichteten in diesem Blog am 9. April).

Mitten unter ihnen: Sergei K. Gemäss Staatsanwältin Wenediktowa hat auch er an diesem Tag geplünderte Waren nach Russland versendet, offenbar in die 1500 Kilometer östlich gelegene russische Stadt Uljanowsk. Wenediktowa fügte zwei Standbilder der Überwachungskamera der Versanddienstfiliale als Beweismittel bei. Augenzeugen aus Butscha sollen K. darin wiedererkannt haben.

Der Internet-Lynchmob kennt keine Unschuldsvermutung

In proukrainischen Telegram-Kanälen und Twitter-Accounts entlud sich in der Folge der aufgestaute Hass auf den mutmasslichen Täter von Butscha mit voller Breitseite: Zahlreiche Nutzer posteten Fotos des jungen Mannes und wünschten ihm den Tod. Ausserdem veröffentlichten Hacker die Telefonnummern von K. und einigen seiner Verwandten auf Twitter und riefen zum Telefonterror auf.

Einen Tag nachdem die ukrainische Staatsanwaltschaft die Anklage verkündet hatte, postete K. auf seinem privaten Instagram-Account einen Post mit einer langen Erklärung, in der er sich von den Anschuldigungen klar distanziert: «Mir ist etwas Undenkbares passiert. Am 2.5.2022 veröffentlichte ein ukrainischer Blogger ein Video, in dem er behauptet, ich sei irgendwie in die Ereignisse in Butscha involviert. All denen, die jetzt versuchen, diese Informationen gegen mich und meine Familie zu verwenden, möchte ich ausdrücklich sagen, dass ich nichts damit zu tun habe. Ich habe die Republik Belarus seit über 2 Jahren nicht mehr verlassen! Die haben mich zu einem Kriegsverbrecher gemacht, obwohl ich nichts mit den Streitkräften zu tun habe, ich habe noch nicht einmal in der Armee gedient!»

Zudem erklärt K., er sei am besagten Tag zwar in der Filiale des Versanddiensts gewesen, jedoch nur um einen Kofferraumdeckel zu versenden, den er im Internet zum Kauf angeboten habe. Als Beweis dafür postete K. einen Screenshot der Anzeige, die er bereits vor den Ereignissen in Butscha, am 19. März 2022, ins Netz gestellt habe:

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Die weissrussische Zeitung «Zerkalo» hat K.s Aussagen überprüft und mit zahlreichen Leuten gesprochen, die K. kennen. Demnach hat K. sein ganzes Leben in Masyr verbracht und war auch während des Krieges dort: So sei er regelmässig auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz in der Erdölraffinerie Masyr zu sehen gewesen, wo er als Ingenieur arbeitet. Oder auf dem Weg zum Kindergarten, mit seinem sechsjährigen Sohn. Ausserdem habe er nicht in der Armee gedient, weder in Weissrussland noch in Russland.

Nach Angaben von Freunden sei K. am 2. April tatsächlich in die Postfiliale gegangen, um ein Paket in die russische Stadt Uljanowsk zu senden. Es soll sich dabei aber nicht um Beutegut, sondern um den beschädigten Kofferraumdeckel seines Privatwagens gehandelt haben, den er im Internet an einen fremden Interessenten verkauft hatte. Zur gleichen Zeit waren russische Soldaten dort, die ihr Beutegut nach Hause schickten. Dass K. nicht zu ihnen gehörte, könne man allein schon daran erkennen, dass er als Einziger keine Militäruniform getragen habe, so die Einschätzung der Zeitung.

70 Prozent der Justizirrtümer basieren auf Augenzeugen

Selbst der ansonsten sehr russlandkritische Medienanalyst Kevin Rothrock postete auf Twitter einen Beitrag, in dem er anzweifelt, dass es sich bei K. tatsächlich um einen Butscha-Schlächter handelt: «Es schaut so aus, als hätten die ukrainischen Beamten ihre erste offizielle Anklage gegen den Schlächter von Butscha vermasselt.»

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Eine Studie des Psychologen John Wixted von der University of California kam zum Schluss, dass über 70 Prozent aller Justizirrtümer auf falschen Angaben von Augenzeugen beruhen: «Es ist wohlbekannt, dass das Gedächtnis formbar ist, sodass eine anfänglich unsichere Identifizierung bis zu dem Zeitpunkt, an dem ein Zeuge vor Gericht oder in Anhörungen vor dem Prozess aussagt, zur Gewissheit wird.»

Philippe Stalder, publiziert am 5. Mai 2022

Kiew: Russische Soldaten schiessen aufeinander

Zwischen russischen Truppen aus der russischen autonomen Republik Burjatien und tschetschenischen Kadyrowzy-Kämpfern soll es im Dorf Kyseliwka vor Cherson zu einem grossen Feuergefecht gekommen sein. Das teilte das ukrainische Verteidigungsministerium am Freitag auf Telegram mit.

Auf beiden Seiten sollen sich je rund 50 Soldaten am Konflikt innerhalb der russischen Armee beteiligt haben, der in der Nacht auf Freitag ausbrach. Zur genauen Zahl der Verletzten und Toten gab es zunächst keine Angaben.

Die Burjaten sind eine buddhistisch-mongolische Ethnie und leben in Ostsibirien, die muslimischen Tschetschenen kommen aus dem Kaukasus. Zum Konflikt zwischen den beiden Truppenteilen soll es gekommen sein, weil die burjatischen Soldaten unzufrieden waren mit der Verteilung des Beuteguts, das russische Soldaten aus ukrainischen Haushalten entwendet hatten.

Offenbar beanspruchten die tschetschenischen Truppen den Löwenanteil des Beuteguts für sich und wollten es nicht brüderlich mit ihren Kameraden aus Sibirien teilen. Daraufhin sollen sich die burjatischen Truppen geweigert haben, weiterzukämpfen.

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Entgegen ihrer medienwirksamen Selbstinszenierung auf Tiktok kämpfen die Tschetschenen selbst meist nicht an vorderster Front, sondern wirken lediglich als Barrikadenkommandos im Hintergrund. Ihre Aufgabe ist es, russische Soldaten an der Front «zum aktiven Handeln» zu bewegen, wie das ukrainische Verteidigungsministerium beobachtet hatte.

Das heisst, das Feuer auch auf Soldaten der eigenen Armee zu eröffnen, die versuchen, sich von der Front zurückzuziehen. In diesem Fall auf die enttäuschten burjatischen Truppen, die sich zwar weigerten, gegen ukrainische Truppen zu kämpfen, das Feuer der Tschetschenen allerdings erwiderten. Das Gefecht wurde von russischer Seite bisher weder bestätigt noch dementiert.

Burjatien und Dagestan verzeichnen die meisten Todesopfer

Gemäss einem Beitrag der «Moscow Times» haben die beiden burjatischen Verbände, die 11. Luftlandebrigade sowie die 37. motorisierte Schützenbrigade, von allen russischen Verbänden bisher die grössten Verluste im Krieg erlitten. Ein Bericht der aus dem Exil arbeitenden russischen Medienorganisation Mediazona stellte ausserdem fest, dass unter den russischen Gefallenen bisher verhältnismässig weniger Slawen waren (abgesehen von den gefallenen Offizieren).

Die meisten der gemeldeten Todesopfer waren Soldaten aus Burjatien in Ostsibirien sowie aus der nordkaukasischen Region Dagestan. Das durchschnittliche Jahreseinkommen in beiden Regionen beträgt etwa 252’000 Rubel, was rund 3760 Franken entspricht. Deshalb ist der Militärdienst für viele junge Männer aus den ärmeren Regionen Russlands die einzige Möglichkeit, gutes Geld zu verdienen. Der monatliche Sold in der russischen Armee liegt für einfache Soldaten bei rund 500 Franken im Monat.

Der russische Politikwissenschaftler Andrej Okara bezeichnete den unproportionalen Einsatz nicht-slawischer Soldaten in der Ukraine als vom Kreml geplant: «Slawische Russen betrachten die Ukraine als kleinen Bruder und finden selbst in Extremsituationen Berührungspunkte mit den Ukrainern. Bei Burjaten und Tschetschenen hingegen ist dies nicht der Fall.»

Philippe Stalder, publiziert am 4. Mai 2022

Was ist dran an Putins neuen Superwaffen?

Seine TV-Sendung am Sonntagabend sehen Millionen: Dmitri Kisseljow ist mit der Newsshow «Nachrichten der Woche» nicht nur einer der populärsten Moderatoren in Russland. Er gilt auch als wichtigstes Sprachrohr von Wladimir Putin. Kisseljow verteidigt den russischen Überfall auf die Ukraine und droht dem Westen regelmässig mit apokalyptisch anmutenden Untergangsszenarien. Doch das Szenario, das er am Sonntag für sein Publikum an die Wand malte, war aber selbst für die Verhältnisse des Chefpropagandisten gewagt.

So prophezeite Kisseljow Grossbritannien den Untergang nicht nur im übertragenen Sinn, sondern ganz real. Die Insel werde unbewohnbar, ihre Bewohner ausgerottet. Das Mittel dazu: «Poseidon», ein thermonuklearer, interkontinentaler Torpedo. Russlands neue Superwaffe, benannt nach dem griechischen Gott des Meeres.

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Mittels Videomontage führte Kisseljow seinem Publikum Poseidons verheerende Wirkung vor: Ein U-Boot feuert den Torpedo ab, der dann über Tausende Kilometer hinweg selbst sein Ziel findet. Der thermonukleare Sprengkopf, so Kisseljow, habe eine Kraft von 100 Megatonnen, seine Detonation unter Wasser werde einen Tsunami auslösen, der Grossbritannien überrollt und alles Leben auf den britischen Inseln vernichte. Zurück bleibe eine radioaktiv verseuchte, unbewohnbare Wüste.» Und: Es gebe «keinen Weg, diese Unterwasserdrohne zu stoppen».

Was aber ist wirklich dran an dieser Superwaffe?

Ein Projekt «Poseidon» gibt es tatsächlich. Bekannt ist es seit 2015, allerdings dürften bis heute weder die Torpedos selbst noch die dafür notwendigen U-Boote ausreichend entwickelt oder getestet worden sein. Von einer unmittelbaren Bedrohung, so die Einschätzung des US-amerikanischen Marine-Experten H I Sutton, könne keine Rede sein. Denn Belgorod, das bisher einzige Poseidon-U-Boot, liegt noch immer in Sewerodwinsk am Weissen Meer im Trockendock.

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Zudem entlarvte Sutton in Kisseljows Video zahlreiche Fehler. So liege die Sprengkraft des Torpedos nicht bei 100, sondern lediglich bei 2 Megatonnen. Auch sei die animierte Grafik des U-Boots falsch, denn der Torpedo würde nicht seitlich, sondern vorne aus dem Bug austreten.

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Zwar solle die neue Waffe nicht unterschätzt werden. Denn: «Erst einmal im Einsatz, hat Poseidon das Potenzial, ganze Küstenstädte zu verwüsten. Die Nato wird neue Waffen brauchen, um den Torpedo abfangen zu können.» Die von Kisseljow auf Russia-1 suggerierte unmittelbare Bedrohung sei jedoch unglaubwürdig, so Sutton.

«Eine Sarmat-Rakete, und die Britischen Inseln sind Geschichte»

Doch Moskau droht dem Westen nicht nur mit Angriffen unter Wasser. Auch aus der Luft könne Russland westliche Hauptstädte dem Erdboden gleichmachen. Und zwar in Sekundenschnelle. Dies suggeriert zumindest eine Karte, die am Wochenende im russischen Staatssender Rossija 24 gezeigt wurde.

Darauf zu sehen: die Flugbahnen russischer Atomraketen zwischen Kaliningrad, der russischen Enklave am Baltischen Meer, und den drei europäischen Hauptstädten Berlin, Paris und London. Die Flugbahnen wurden mit Zeitangaben versehen, die angeben, wie lange es dauern würde, die Hauptstädte von Kaliningrad aus zu beschiessen. Nach Berlin 106 Sekunden, nach Paris 200 Sekunden, nach London 202 Sekunden.

106 Sekunden von Kaliningrad nach Berlin. Standbild: Rossija 24

Alexei Schurawljow, Vorsitzender der nationalistischen Rodina-Partei, sagte in der Sendung: «Eine Sarmat-Rakete, und die Britischen Inseln sind Geschichte.» Daraufhin entgegnet Jewgeni Popow, russischer Journalist und Duma-Mitglied für Putins Partei Einiges Russland: «Eine Sarmat-Rakete, und die Menschheit ist Geschichte. Grossbritannien hat auch Atomwaffen, niemand würde einen solchen Krieg überleben.»

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Aufgrund ihrer Schlagkraft wird die Atomrakete von westlichen Militärs auch «Satan 2» genannt und wurde gemäss Dmitri Rogosin, Geschäftsführer der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos, am 20. April erstmals erfolgreich getestet. «Die Sarmat kann mehr als 10 nukleare Sprengköpfe transportieren und Tausende von Kilometern entfernte Ziele in den USA oder Europa treffen», so Rogosin.

Daraufhin mehrten sich auf prorussischen Kanälen in den sozialen Medien Beiträge, die die Zerstörungskraft der neuen Atomrakete verherrlichten und behaupteten, sie könne «alles auf der Welt zerstören, was atmet».

Was steckt also hinter der Sarmat-Rakete?

Gemäss der russischen Nachrichtenagentur Tass befindet sich die Langstreckenrakete bereits seit den 2000er-Jahren in der Entwicklung. Sie soll ältere, in den 1970er-Jahren entwickelte Raketen ersetzen. Die Behauptung, dass sie alles Lebendige vernichten können soll, ist gemäss Malcolm Chalmers von der britischen Denkfabrik für Verteidigung und Sicherheit Rusi übertrieben.

«Behauptungen, dass ein grosser Nuklearangriff alle Lebewesen auf der Welt auslöschen würde, werden manchmal im Zusammenhang mit weiterreichenden klimatischen Folgen, wie einem nuklearen Winter, aufgestellt», so Chalmers zur Nachrichtenagentur Reuters. «Dies sollte nicht ausgeschlossen werden, würde aber mindestens Hunderte von Sprengköpfen und nicht nur eine einzige Rakete erfordern.»

Eine einzelne Rakete mit zehn Sprengköpfen könnte Gebiete so gross wie Texas oder Frankreich treffen und möglicherweise Millionen von Menschen töten. Allerdings befänden sich die meisten Einwohner beider Gebiete ausserhalb des Explosions- und Falloutradius, ebenso wie viele Städte, so Chalmer weiter. Zudem befinden sich die Sarmat-Raketen aktuell noch gar nicht in Kaliningrad. Dennoch hätte natürlich auch schon eine kleinere Atombombe verheerende Auswirkungen auf die Menschen, die ihr Einschlagsgebiet bewohnen.

Philippe Stalder und Bernhard Odehnal, publiziert am 3. Mai 2022

Evakuierte aus Mariupol: «Wir hatten zwei Monate keine Sonne gesehen»

Natalia Usmanowa hat am Sonntag zum ersten Mal seit zwei Monaten wieder Sonnenlicht gesehen. Die Angestellte des Stahlwerks Asowstal in Mariupol gehört zu einer Gruppe von rund 100 Zivilisten, die am Sonntag aus der Hafenstadt in einer gemeinsamen Aktion der UNO und des Internationalen Roten Kreuzes evakuiert werden konnten. «Zwei Monaten Dunkelheit. Ich habe keine Sonne gesehen. Ich sagte zu meinem Mann, jetzt müssen wir nicht mehr mit einer Taschenlampe auf die Toilette», sagte die 37-Jährige zu Journalisten von Reuters und «New York Times».

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Das Asowstal-Gelände war seit Wochen Ziel von russischen Artillerie- und Luftschlägen. «Die Einschläge waren so heftig und so nahe bei uns», beschreibt Usmanowa die dramatischen Wochen in den Bunkeranlagen unter dem Industriewerk. «Nur auf der Treppe zum Ausgang konnten wir atmen, im Bunker selbst gab es nicht genügend Sauerstoff.»

Es war die erste Evakuierung aus dem Industriegelände, wo nach ukrainischen Angaben rund 1000 Zivilisten seit Wochen ausharren. Eines der ehemals grössten Stahlwerke Europas wurde bis anhin von Marinesoldaten und dem nationalistischen Asow-Bataillon verteidigt und ist der letzte Ort unter ukrainischer Kontrolle, seit russische Truppen vor rund zwei Wochen Mariupol einnahmen.

Zu Fuss über die Frontlinie

Die im Werk verbleibenden ukrainischen Soldaten haben ein Video von der Evakuierung veröffentlicht: Darin ist zu sehen, wie junge Frauen mit kleinen Kindern und ältere Frauen mühsam aus den Kellern kriechen und über zerstörte Bahngleise zu einem halb zerschossenen Autobus und von dort zur Frontlinie gebracht werden. «Jetzt schiessen sie nicht», beruhigt der Soldat an der Kamera die Frauen. Über die Frontlinie zur russischen Seite müssen Frauen und Kinder aber dann zu Fuss gehen, in Begleitung von Helfern des Roten Kreuzes.

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Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters wurden die Menschen auf der russisch besetzten Seite in einem Konvoi bestehend aus Fahrzeugen der UNO und russischen militärischen Begleitern nach Bezimenne gebracht.

Der Ort liegt an der Küste des Schwarzen Meers, etwa 30 Kilometer ausserhalb von Mariupol – allerdings in östlicher Richtung, also näher an der russischen Grenze und weiter weg vom Territorium, das unter Kontrolle der ukrainischen Regierung steht. Bezimenne wird von Truppen der international nicht anerkannten, prorussischen «Volksrepublik Donezk» kontrolliert.

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Auf seinem Telegram-Kanal meldete das russische Aussenministerium, dass den aus dem Stahlwerk kommenden Flüchtlingen in Bezimenne ein Zeltlager und medizinische Versorgung zur Verfügung stünden. Wer weiter auf das Territorium des «Kiewer Regimes» wolle, werde der UNO und dem IKRK übergeben. Laut Reuters erreichten am Sonntag etwa 50 Zivilisten den Fluchtpunkt Bezimenne. Ob jemand von ihnen im russisch besetzten Gebiet bleiben wollte, ist nicht bekannt.

Selenski will sich mit Evakuierten treffen

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski bedankte sich bei der UNO und dem IKRK für deren Hilfe bei der Evakuierung und kündigte für heute Montag ein Treffen seines Teams mit den Evakuierten aus den Bunkern von Asowstal an. Dieses Treffen soll in Saporischschja stattfinden. Die Stadt am Ufer des Flusses Dnjepr befindet sich nur gerade 40 Kilometer nördlich der Frontlinie.

Heute Montag soll die Evakuierung von Zivilisten weitergehen. Das bestätigt ein Berater des Bürgermeisters von Mariupol gegenüber Kyiv Independent.

Bernhard Odehnal, Philippe Stalder und Hannes von Wyl, publiziert am 2. Mai 2022

Operieren britische Spezialeinheiten in der Ukraine?

Geht es nach russischen Medienberichten, ist in der Ukraine nun eine Truppe aktiv, die noch viel böser, viel gefährlicher ist als die angeblichen Faschisten vom Asow-Bataillon: Die britische «Special Air Service». Die SAS gilt als eines der besten Spezialkommandos weltweit, bekannt für seine Einsätze hinter den Linien im Irak-Krieg, in Syrien oder in Libyen.

Rund zwei Dutzend SAS-Soldaten sollen sich nun in der Westukraine aufhalten, behauptete am 23. April die staatlich kontrollierte russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti. Sie beruft sich dabei auf eine nicht namentlich genannten Quelle aus dem russischen Machtapparat, die ihre Information wiederum aus dem ukrainischen Militär erhalten habe.

Ein britisches Abzeichen: Die russische Nachrichtenagentur will Belege haben für die Anwesenheit der britischen SAS in der Ukraine.

Laut der von Ria Nowosti zitierten Quelle sollen sich die Briten in der Region rund um die Kleinstadt Brody aufhalten. Sie seien bestausgebildete Spezialisten auf dem Gebiet des Staatsstreichs, der Organisation von Massenprotesten, politischer Auftragsmorde, der Anwerbung von Agenten «auch in den höchsten Kreisen der Staatsführung» sowie der Vorbereitung von Terrorakten. Zudem gehöre zu jeder kleineren Einheit ein Intellektueller, der für die Ideologie zuständig sei, «man könnte ihn auch den Professor nennen».

Am selben Tag meldete das russische Komitee für Ermittlungen (SK) – eine Art russische CIA – dass es den Spuren britischer Sondertruppen in der Ukraine nachgehen werde. Die russische Meldung machte auch international Schlagzeilen, die britische Daily Mail meldete, dass Putin nun «Jagd auf die SAS macht». Selbst ein grosses indisches Online-Nachrichtenportal machte daraus einen eigenen Beitrag.

Offenbar war die Meldung erst das Vorspiel zu einer grösseren russischen Erzählung, dass ausländische Mächte den Krieg in der Urkaine angezettelt hätten. Am Mittwoch legte dann Präsident Putin persönlich nach und drohte diesen nicht namentlich genannten ausländischen Mächten mit «Konsequenzen, wie sie sie noch nie erlebt haben».

Briten schon lange unter russischem Verdacht

Der Verdacht, dass die SAS hinter kriegerischen oder terroristischen Akten in Russland stehen könnte, zieht sich wie ein roter Faden durch die Ära Wladimir Putins. Schon im Krieg in Tschetschenien Anfang der 2000er Jahre gab es Anschuldigungen, britische Spezialkräfte könnten die tschetschenischen Separatisten unterstützen. Beweise konnte die russische Regierung nie erbringen. Zwar wurde ein Brite von russischen Truppen getötet, aber der hatte sich offenbar als Privatmann am Krieg beteiligt.

Auch im Krieg des ukrainischen Staates gegen pro-russische Separatisten ab 2014 gab es den Verdacht britischer Einmischung: So berichtete das Internet-Fernsehen des ultra-orthodoxen Oligarchen Konstantin Malofejew, «Tsargrad» bereits 2018, dass SAS-Spezialisten auf ukrainischer Seite im Donbass kämpfen würden. Beweise dafür gab es nicht.

Kurz nach dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine am 24. Februar meldeten ehemalige Mitglieder der SAS über britische Medien ihren Wunsch an, an der Seite des ukrainischen Militärs zu kämpfen. Gemeldet wurde in den sozialen Medien auch, dass Experten der SAS ukrainische Soldaten trainieren würden. Allerdings in Kiew.

Bekannt war auch, dass die USA in den vergangenen Jahren ein Ausbildungscamp nahe der polnischen Grenze in Jaworiw nutzten. Am 13. März wurde dieses Camp von russischen Raketen getroffen, unter den Toten waren viele ausländische Kämpfer, darunter mindestens 3 Briten, die als «ehemalige SAS-Angehörige» bezeichnet wurden.

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Die akutellen russischen Berichte beziehen sich nicht auf Jaworiw, sondern ein Lager bei Brody, 130 Kilometer weiter östlich.

Die Sprecherin des russischen Aussenministeriums, Maria Sacharova, behauptete am 20. April, dass sich zu Beginn des Krieges 7.000 ausländische Kämpfer aus 63 Staaten in der Ukraine aufgehalten hätten.

Es ist also zumindest möglich, dass sich unter den ausländischen Freiwilligen auch ehemalige SAS-Soldaten befinden. Zwei britische Staatsbürger befinden sich bereits in russischer Gefangenschaft: Aiden Aslin und Shaun Pinner. Beide haben keine bekannte Verbindung zur SAS. Aslin war 2018 der ukrainische Marine beigetreten, zuvor hatte er an der Seite der kurdischen Armee YPG gegen den Islamischen Staat gekämpft. Pinner, der mit Aslin zusammen in Syrien war, hatte im britischen Royal Anglian Regiment gedient.

Zudem dürften britische Soldaten an der Ausbildung von ukrainischen Soldaten beteiligt sein. Ob es sich dabei um Mitglieder der SAS handelt, ist ungewiss. Die russische Meldung über den Special Air Service im Westen der Ukraine könnte also durchaus zutreffend sein. Dass die Spezialeinheit Terrorakte vorbereitet, gehört wahrscheinlich eher zum Bereich der Propaganda-Narrative.

Bernhard Odehnal und Hannes von Wyl, publiziert am 30. April 2022

Was steckt hinter den russischen Kampfdelfinen?

Zum Schutz seines Marinestützpunkts auf der Krim soll Russland Delfine eingesetzt haben, wie das US-amerikanische Marineinstitut (Usni) auf seiner Website verlautbart. Die Auswertung von Usni-Satellitenbildern habe gezeigt, dass die russische Marine zwei Delfinarien am Eingang des Hafens von Sewastopol aufgestellt hat.

Die Gehege wurden offenbar im Februar dorthin verlegt, zur Zeit der russischen Invasion in der Ukraine. Wie die «Washington Post» schreibt, teilt der US-Satellitenfotodienst Maxar die Einschätzung der Usni-Experten.

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Die russische Marine soll die intelligenten Meeressäuger so dressiert haben, dass sie feindliche Taucher angreifen und vertreiben könnten, die versuchten, Sprengsätze an Schiffen und U-Booten der russischen Seeflotte anzubringen.

Sewastopol auf der von Russland okkupierten Halbinsel Krim ist der wichtigste Marinestützpunkt der russischen Marine im Schwarzen Meer. Die im Hafen stationierten Kriegsschiffe der russischen Marine liegen zwar ausserhalb der Reichweite ukrainischer Raketen, für Sabotageakte unter Wasser sind sie jedoch anfällig.

Meeressäuger haben in der Marine Tradition

Dass Delfine im Krieg zum Einsatz kommen, mag kurios klingen, hat in der Marine jedoch Tradition. Gemäss dem US-amerikanischen Unterwasser-Verteidigungsexperten H. I. Sutton haben neben Russland auch die USA, Nordkorea und Israel in der Vergangenheit Meeressäuger wie Delfine, Robben, Seelöwen und Belugawale für Kriegseinsätze ausgebildet. Angesichts ihres hervorragenden Gehörsinns seien die Meeressäuger in der Lage, Minen und andere potenziell gefährliche Gegenstände aufzuspüren.

Das US-Militär trainiert Delfine und Seelöwen bereits seit den 1960er-Jahren, um sie gegen Bedrohungen unter Wasser einzusetzen. Das Programm für Meeressäuger der US-Marine hatte 2019 etwa 70 Delfine und 30 Seelöwen in seinen Reihen.

Ein amerikanischer Aufklärungsdelfin im Persischen Golf. Quelle: Getty Images

Die sowjetische Marine entwickelte während des Kalten Krieges mehrere Programme mit Meeressäugern, darunter eines mit sogenannten Kampfdelfinen nahe Sewastopol. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sei dieses an das ukrainische Militär gegangen, als Folge der russischen Annexion der Krim 2014 dann aber wieder unter die Kontrolle der russischen Marine geraten.

Wie ein ehemaliger sowjetischer Delfintrainer 2017 gegenüber der Zeitschrift «Russia Beyond» erklärte, ist Moskau mit den Walen aggressiver als Kiew umgegangen und hat sie unter anderem auch darauf trainiert, Eindringlinge zu töten.

Delfine mit Harpunen

Angeblich sollen auch andere Staaten ihre Tiere zum Töten ausgebildet haben. So behauptete etwa ein Froschmann des palästinensischen Hamas-Seekommandos Anfang Jahr, während eines Tauchgangs einem israelischen Kampfdelfin die Harpune entwendet zu haben, die ihm von der israelischen Marine auf der Schnauze befestigt worden sein soll. Die israelische Armee hat die Behauptungen der Hamas weder bestätigt noch dementiert.

Dieser Harpunenmaulkorb soll einem israelischen Kampfdelfin entwendet worden sein. Standbild: Youtube / MEMRI TV Videos

Philippe Stalder, publiziert am 29. April 2022

Wo werden diese 2000 ukrainischen Kriegsgefangenen festgehalten?

Der Ukraine-Krieg ist einer der grössten Bodenkriege Europas seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Als solcher produziert er eine hohe Anzahl Kriegsgefangener. Denn anders als bei gezielten Luftschlägen oder Anti-Terror-Einsätzen können Truppen in einem Bodenkrieg leicht von einem schnell vorrückenden Gegner überrannt werden. Es gibt zurzeit keine genauen Statistiken zur Anzahl der Kriegsgefangenen, Experten gehen auf beiden Seiten jedoch von mehreren Tausend aus.

Da es bislang zwischen Russland und der Ukraine kein Abkommen über den systematischen Austausch von Kriegsgefangenen gibt, müssen die Gefangenen damit rechnen, dass sie lange Zeit festgehalten werden. Festzustellen, wo und unter welchen Bedingungen sie festgehalten werden, wird somit zu einer zentralen Frage in diesem Krieg.

Freiwilligen des Twitter-Accounts GeoConfirmed ist es nun gelungen, den Standort eines Gefängnisses ausfindig zu machen, in dem rund 2000 ukrainische Kriegsgefangene festgehalten werden.

Am 19. April tauchte in den sozialen Medien ein Video auf, das gemäss dem Nutzer, der es in Umlauf brachte, 2000 ukrainische Kriegsgefangene zeigen sollte.

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Noch am selben Abend strahlte der Staatssender Rossija 1 in den Abendnachrichten einen ausführlichen Bericht aus dem Gefängnis aus, das auf dem Gebiet der international nicht anerkannten «Volksrepublik Donezk» liegt.

In dem Beitrag wird die Zahl der Gefangenen bestätigt und insbesondere der korrekte Umgang mit den Kriegsgefangenen sowie deren mangelhafte Kleidung hervorgehoben. Der russische Journalist sagt aber auch, dass Ermittlungen wegen angeblicher Kriegsverbrechen geführt würden und die Verantwortlichen «bestrafen werden».

Anhand der Bilder aus dem Bericht erstellte GeoConfirmed einen Lageplan des Gefängnisses.

Da im russischen TV-Bericht erwähnt wurde, dass das Gefängnis unter der Kontrolle der selbst ernannten Volksrepublik Donezk im Osten der Ukraine stehe, glich GeoConfirmed den Lageplan mit sämtlichen Gefängnissen und Straflagern im Donbass aus einer öffentlich zugänglichen Liste des ukrainischen Justizministeriums von 2017 ab. Der Lageplan stimmte mit den Satellitenbildern eines Gefängnisses in der Nähe von Oleniwka im Südosten der Ukraine überein.

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Während der Standort des Gefängnisses eruiert werden konnte, so können über die Bedingungen, unter denen die Gefangenen festgehalten werden, noch keine unabhängigen Aussagen gemacht werden.

Zeugenaussagen entstanden unter Druck

Einen Eindruck über die Zustände in russischen Kriegsgefangenenlagern vermittelt die Recherche des niederländischen Investigativjournalisten Brecht Castel. Er analysierte ein Video, das auf prorussischen Twitter-Accounts und Telegram-Kanälen über 1,2 Millionen Mal angeschaut wurde. Im Video sind drei ukrainische Soldaten zu sehen, die sichtlich zermürbt folgendes Geständnis ablegen: «Wir hatten den Befehl, auf jede sich bewegende Person zu schiessen, egal ob sie friedlich war oder nicht.»

Das Video soll beweisen, dass ukrainische Soldaten in Mariupol von ihren Befehlshabern angewiesen wurden, auf Zivilisten zu schiessen. Doch wer sind diese Männer im Video? Und wer hat sie gefilmt?

Das Logo oben rechts im Bild gehört zur Armee der selbst ernannten Republik Luhansk. Auf deren Account bei VKontakte, dem russischen Pendant zu Facebook, lässt sich eine längere Version desselben Videos finden. Es wurde am 10. April hochgeladen.

Anders als in der kürzeren Version hat das VKontakte-Video jedoch ein Intro, in dem zusätzliche Informationen zum Kontext des Verhörs der drei Kriegsgefangenen zu entnehmen sind. Zunächst sieht man, wie drei Männer gefesselt am Boden liegen.

Danach sieht man einen Mann, dessen Augen mit einem Tuch und Klebeband verbunden sind.

Kurz darauf ist der nackte Oberkörper eines Mannes mit auffälligen Tattoos zu sehen.

Danach sieht man, wie vier Männer mit verbundenen Augen in einem Bus abtransportiert werden.

Zum Schluss sieht man, wie einer der Männer von einem bewaffneten Mann durch einen Gang ins Verhörzimmer geführt wird.

Danach geht es weiter mit dem ursprünglichen Video des Verhörs. Da sich die Bildqualität des Intros von derjenigen des Verhörs unterscheidet, vermutete Castel, dass die Sequenzen allenfalls von zwei verschiedenen Quellen stammen könnten. Tatsächlich traf er im prorussischen Telegram-Kanal «долг Z» auf ein Video mit derselben Eröffnungsszene der gefesselt am Boden liegenden Männer.

Das Telegram-Video enthält jedoch noch weitere Szenen. Zu sehen ist ein Innenhof, in dem ein Soldat mit einer roten Armbinde und einer Waffe die vier geknebelten Männer mit verbundenen Augen abführt.

Er eskortiert die vier Männer in ein Gebäude.

Auf seiner Uniform ist deutlich das russische Z-Symbol zu sehen.

Danach kommt wieder die bereits bekannte Szene des Verhörs. Dank der zusätzlichen Sequenzen konnte Castel verifizieren, dass es sich bei einem der Männer aus der Verhörszene um denselben Mann mit den verbundenen Augen aus dem VKontakte-Video handelt.

Die Männer aus dem Verhör sind also ukrainische Kriegsgefangene, die von russischen Soldaten festgehalten werden. Die zusätzlichen Videosequenzen lassen vermuten, dass ihr Geständnis unter Druck, möglicherweise unter Androhung von Gewalt zustande gekommen ist. Der Wahrheitsgehalt der Aussagen kann also angezweifelt werden.

Rossija-1-Beitrag gibt Aufschluss über Standort

Wo genau sich die ukrainischen Kriegsgefangenen befanden, liess sich zunächst hingegen nicht genau sagen. Bis am 14. April ein Beitrag vom russischen Staatssender Rossija 1 ausgestrahlt wurde, in dem dieselben Kriegsgefangenen ein Kriegsdenkmal besuchen (mussten).

Der Mann aus dem Facebook-Video (im blauen Rahmen) spricht im Beitrag über «das negative Bild der Russen im ukrainischen Fernsehen». Aber man solle dem Fernsehen nicht glauben – «ehrlich gesagt, die Russen behandeln uns gut», so der Kriegsgefangene. Als sich der Mann niederkniet, sagt er: «Wir schämen uns.» Im Hintergrund sind deutlich russische Soldaten mit Waffen zu sehen. Auf dem Denkmal im Hintergrund steht: «Wir vergessen nicht, wir vergeben nicht.»

Sucht man diesen Slogan über die russische Suchmaschine Yandex, findet man ein Kriegsdenkmal südlich von Luhansk, dessen Satellitenbilder mit den Merkmalen aus dem Video übereinstimmen. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass die ukrainischen Kriegsgefangenen in einem Gefängnis in Luhansk festgehalten werden.

Wie es den Kriegsgefangenen heute geht, lässt sich unabhängig nicht überprüfen. Ein prorussisches Onlinemagazin aus Luhansk verwendet das Bildmaterial der ukrainischen Kriegsgefangenen vom Kriegsdenkmal indes als Titelbild für einen Artikel mit dem Titel: «Militante des ‹Rechten Sektors› wollten sich an ‹Butscha› rächen, indem sie auf die Bewohner von Rubizhne schossen.»

Philippe Stalder, publiziert am 28. April 2022

CNN-Video zeigt russische Taktik des Artillerie-Doppelschlags

Das war knapp für die ukrainischen Rettungskräfte und die CNN-Crew, die sie bei einem Einsatz in Charkiw begleitete: Auf der Suche nach einer verwundeten Person gerät die Gruppe unter Beschuss – im selben Gebäude, wo sie den Verletzten vermuten.

Aufnahmen von CNN zeigen die Journalistinnen und Kameraleute sowie die Rettungssanitäterin und ihr Kollege bei einem Wohnhaus in der umkämpften Stadt im Nordosten der Ukraine. Von dort war ein Notruf eingegangen, ein Mann sei durch Artilleriefeuer schwer verletzt worden. Plötzlich ist der dumpfe Schlag eines Geschosses zu hören, die Gruppe rennt ins innere des Gebäudes.

Eingehender Beschuss: Die Gruppe sucht Schutz im Gebäude. Bild: Screenshot CNN

Kaum sind sie unter der Treppe in Deckung, folgt der dröhnende Einschlag. Das Kamerabild wackelt, Staub rieselt von der Decke. Eine CNN-Journalistin trägt leichte Verletzungen an den Händen davon, sonst wird niemand verletzt. Dann rennt die Filmcrew aus dem Haus und bringt sich in Sicherheit. Die Sanitäter hingegen setzen ihre Suche nach dem Verletzten fort.

Journalistin Clarissa Ward, die im Video die Ereignisse schildert, schrieb dazu am Montag auf Twitter: «Wir haben den Tag mit Charkiws unglaublich mutigen Rettungskräften verbracht und den russischen «double tap» («Doppelschlag») in Echtzeit erlebt.»

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Als «double tap» bezeichnet man den erneuten Beschuss eines Ziels einige Minuten nach dem ersten Einschlag. Der Beschuss kann von Kampfjets, Drohnen, oder Artilleriegeschützen stammen. Die Taktik zielt darauf ab, Überlebende und die eintreffenden Rettungskräfte zu töten.

Auch der Times Radio-Journalist Jerome Starkey hat vor rund einer Woche in einer Sendung von solchen Doppelschlägen in Charkiw berichtet: «Gestern gingen wir zum Einschlagsort von diesen Raketen und während wir dort waren mit den Rettungskräften, nur Minuten nachdem diese angekommen waren, schlug eine zweite Barrage von Raketen ein. Es fühlte sich an wie ein russischer Doppelschlag-Angriff.» Charkiw ist seit dem Beginn der russischen Invasion am 24. Februar fast täglich Ziel von Artilleriefeuer.

Nach dem Beschuss bringt sich die Filmcrew in Sicherheit. Bild: Screenshot CNN

Die sogenannten «double tap»-Angriffe wurden laut einer BBC-Recherche von Russland bereits 2019 in Syrien verübt. Dort kamen bei zwei Luftangriffen auf einen Marktplatz in der Stadt Idlib 39 Menschen ums Leben.

Die erneute Bombardierung von verwundeten und Rettungskräften verstosse gegen die Genfer Konventionen und stelle ein Kriegsverbrechen dar, argumentiert ein amerikanischer Jurist in einer Arbeit von 2017. Demnach hätten auch die USA Doppelschläge verübt, grösstenteils mit Drohnen in Afghanistan. Auch Israel habe laut dem Bericht einer israelischen Ärzte-Organisation im Gaza-Krieg 2014 Doppelschläge auf zivile Ziele ausgeführt.

Hannes von Wyl, publiziert am 27. April 2022

Russische Agenten vermasseln Putins Neonazi-Komplott

Wladimir Putin gab am Montag bei einem Treffen der Moskauer Generalstaatsanwaltschaft die Verhaftung mehrerer mutmasslicher Attentäter bekannt, die die Ermordung eines «prominenten russischen Fernsehjournalisten» geplant haben sollen. Das Komplott sei von «hochrangigen diplomatischen Beamten in Europa und den Vereinigten Staaten» inszeniert worden, um «die russische Gesellschaft zu spalten und von innen heraus zu zerstören», so der russische Präsident.

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Wie der russische Inlandsgeheimdienst FSB kurz darauf mitteilte, soll es sich beim Ziel des Anschlags um den bekannten TV-Moderator und überzeugten Putin-Loyalisten Wladimir Solowjow gehandelt haben.

Die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti veröffentlichte ein Video der Razzia, bei der ein Sondereinheitskommando die Wohnung der mutmasslichen Attentäter stürmte, diese verhaftete und zahlreiche Gegenstände beschlagnahmte, die wie ein Starterkit für eine Neonazi-Zelle daherkommen: ein Foto von Adolf Hitler, ein DIY-Meth-Labor, sechs gefälschte ukrainische Pässe, zahlreiche Molotov-Cocktails, eine Schrotflinte, eine Perücke mit grünen Haaren sowie ein nigelnagelneues Hakenkreuz-T-Shirt.

Das offenbar frisch beschaffte T-Shirt war jedoch nicht der einzige merkwürdige Gegenstand in diesem Video. Auffallend waren zudem drei «Sims 3»-Videospiele sowie ein Buch mit der Inschrift: «Töte, um zu leben, und lebe, um zu töten.» Unterzeichnet mit dem Namen «unleserliche Signatur».

Anzeichen für False-Flag-Operation

Schnell mehrten sich in den sozialen Medien Kommentare, die darauf hinweisen, dass das brandneue Nazi-Shirt, die «Sims 3»-Videospiele sowie die «unleserliche Signatur» Anzeichen dafür sein könnten, dass es sich bei dem vereitelten Attentat um eine False-Flag-Operation des FSB handeln könnte, dass das geplante Attentat also vom FSB selbst inszeniert wurde.

So wies ein Twitter-Nutzer etwa darauf hin, dass zu den Anweisungen für die Einrichtung des Tatorts auch das Einlegen von drei SIM-Karten (drei Sims anstatt Sims 3) und die Unterzeichnung des Buches mit einer nicht lesbaren Unterschrift gehört haben könnten – und dass diese Anweisungen von den Agenten offenbar missverstanden oder zu wörtlich genommen wurden.

Auch der britische BBC-Journalist Francis Scarr kommentierte Standbilder des Razzia-Videos scherzhaft mit den Worten: «Wer hätte gedacht, dass sie [die verhafteten Neonazis] sich für Sims 3 interessieren würden.»

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Der in Berlin wohnhafte Osteuropa-Experte Sergej Sumlenny verwies in einem Tweet auf den blinden Gehorsam der FSB-Agenten: «(...) Einer der ‹Beweise› ist eine Neonazi-Inschrift in einem Buch. Unterzeichnet mit ‹unleserliche Signatur›. Ja, der FSB erhielt den Auftrag, das Buch mit einer ‹unleserlichen Signatur› zu unterschreiben – und tat dies auch!»

Ein weiteres Indiz für eine Inszenierung des geplanten Attentats lieferte der russische Geheimdienst selbst: So ist das Buch mit der gut leserlichen «unleserlichen Unterschrift» in den offiziellen Videos, die der FSB auf seinem Youtube-Kanal veröffentlicht hat, gar nicht zu sehen, während die Bilder der «Sims»-Videospiele nur unscharf zu sehen sind.

Selenski soll Jobabsage erhalten haben

Doch der Kreml hält an seiner Version der Geschichte fest. Am Montagabend erklärte der Direktor des russischen Sicherheitsdienstes, Alexander Bortnikow, gegenüber dem russischen Sender Rossija 1, dass eine Gruppe von sechs russischen Neonazis tatsächlich geplant habe, den Fernsehmoderator Wladimir Solowjow auf Befehl der ukrainischen Sicherheitsdienste zu töten.

Solowjow, ein lautstarker Befürworter der russischen Invasion in der Ukraine, beschuldigte den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski in derselben Sendung, das angebliche Attentat nur deshalb auf ihn angesetzt zu haben, da sich Selenski einst bei ihm für eine Stelle bei Rossija 1 beworben hätte, jedoch nicht talentiert genug für den Job gewesen sei:

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Philippe Stalder, publiziert am 26. April 2022

Russischer TV-Sender macht aus Puppe ukrainische Leiche

«So laufen die Vorbereitungen für die theatralisch inszenierte Militäroperation in der Ukraine», kommentierte der Sprecher des kremltreuen russischen Fernsehsenders Rossija 24 am 7. April einen Videobeitrag, in dem zwei Männer eine Schaufensterpuppe mit Klebeband einwickeln. Einer der Männer trägt einen Tarnanzug, der einer Militäruniform ähnelt, der andere eine grüne Jacke.

«Die beiden Soldaten geben die Puppe offensichtlich als Leiche aus», so die Interpretation aus dem Off. Überraschend sei das nicht, tauchten doch immer wieder Schaufensterpuppen als Leichen in ukrainischen Telegram-Kanälen auf. Der russische TV-Beitrag will also beweisen, dass das ukrainische Militär Schaufensterpuppen zur Inszenierung von Kriegsopfern verwendet.

In den Tagen danach, zur Zeit der Funde massakrierter Zivilisten in Butscha, kursierten zahlreiche Kopien des Videobeitrags in den sozialen Medien, insbesondere in prorussischen Telegram-Kanälen und Twitter-Accounts, wo sie Zehntausende Menschen erreichten. Das Video wurde als Beweis angeführt, dass ukrainische Soldaten Puppen als Kriegsopfer präparierten, um sie später in Städten, in denen Kämpfe stattgefunden haben, zu verteilen.

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Was ist in diesem Video tatsächlich zu sehen? Sind die beiden Männer wirklich ukrainische Soldaten? Und wozu genau wurde die Schaufensterpuppe verwendet?

Der US-amerikanischen Investigativjournalistin Emmanuelle Saliba gelang es, einen Tiktok-Account ausfindig zu machen, der einem gewissen Filip gehört und das Video bereits am 29. März zeigte – mehr als eine Woche vor der Ausstrahlung des russischen TV-Beitrags. Anders als im TV-Beitrag ist darin die originale Audiospur zu hören, in der der Mann, der das Video mit seinem Handy filmt, auf Russisch sagt: «Der arme Kerl wird gleich aus dem Fenster stürzen.» Die Überschrift des Videos auf Filips Tiktok-Account lautete: «Vorbereitung einer Schaufensterpuppe für einen Filmsturz».

Szene stammt aus Filmset

Dank zusätzlicher Informationen auf seinem Tiktok-Account fand Saliba Filips Telefonnummer mittels der russischen Suchmaschine Yandex und schrieb ihm eine Nachricht, in der sie Filip fragte, ob er der Urheber des Videos sei. Filip schrieb kurz darauf zurück und bestätigte, dass er das Video gefilmt habe und dass er an diesem Tag als Schauspieler in einer Fernsehserie arbeitete und Alexander Uwarow, einen bekannten russischen Stuntman, bei der Vorbereitung einer Puppe für eine Action-Szene filmte.

Am Filmset: Alexander Uwarow (2. v. r.) und seine Crew bereiten eine Puppe vor. Bild: Filip

Als Beweis schickte Filip Saliba einen Screenshot von seinem Handy, woraus hervorgeht, dass das Video am 20. März in Wsewoloschsk, einer Stadt ausserhalb von St. Petersburg, gedreht wurde. Saliba konnte den angegebenen Ort sowie das Datum bestätigen, indem sie die Metadaten von Filips originaler Videodatei analysierte.

Geolocation: Wsewoloschsk. Screenshot von Filips Handy

Ausserdem interviewte Saliba per Videocall Nadeschda Kolobaewa, eine weitere Person, die an diesem Tag als erste Regieassistentin auf dem Filmset arbeitete und auf Facebook den TV-Beitrag von Rossiya 24 kritisierte. Auf Kolobaewas Facebook-Profil ist zudem das Video des Sturzes der Schaufensterpuppe zu sehen:

Auf die Frage, ob im Video ukrainische Soldaten falsche Leichen präparierten, antwortete Kolobaewa: «Im Video zu sehen sind keine ukrainische Soldaten, sondern mein Freund Sascha und sein Assistent Gennadi, wie sie unter der Leitung des Stuntmans Uwarow eine Puppe vorbereiten, indem sie diese mit Klebeband umwickeln.»

Der Vorwurf des kremlnahen TV-Senders, dass ukrainische Soldaten Puppen als Leichen verwenden würden, stellt sich also selbst als Fake heraus. Wie aber konnte sich diese offensichtliche Falschdarstellung so weit verbreiten?

Gut eine Woche nachdem Filip das Video auf seinem Tiktok-Account veröffentlicht hatte, tauchte es zuerst am 6. April im prorussischen Telegram-Kanal Ukr_G_M auf. Einen Tag später greift Rossiya 24 das Video auf, danach ging das Video über prorussische Kanäle viral. Dass Filip, der Urheber des Videos, daraufhin erneut auf Tiktok ein Video veröffentlicht, indem er die Falschdarstellung richtigstellt, wird hingegen weder von Rossiya 24 noch vom Administrator des Telegram-Kanals Ukr_G_M erwähnt.

Philippe Stalder, publiziert am 25. April 2022

Wer ist der britische Soldat in russischer Gefangenschaft?

In prorussischen Kanälen in den sozialen Medien kursieren seit einigen Tagen Videoaufnahmen eines gefangenen Soldaten der ukrainischen Armee. Dabei handelt es sich um Aiden Aslin, einen 28-jährigen Briten aus der Kleinstadt Newark-on-Trent. Aslin trat 2018 den ukrainischen Streitkräften bei.

Aslin dürfte der bekannteste ausländische Kämpfer auf ukrainischer Seite sein - und nun einer der prominentesten Kriegsgefangenen der Russen: Seinen Accounts auf Twitter und Instagram (gesperrt), wo er unter dem Namen «Cossackgundi» aus dem Krieg berichtete, folgen Zehntausende. Der ehemalige Sozialarbeiter gelangte zu grosser Aufmerksamkeit, als er sich 2015 dem kurdischen Widerstand gegen den islamischen Staat in Syrien anschloss. Daraufhin erschienen zahlreiche Artikel in der britischen Presse, Aslin trat auch im Fernsehen auf. Und nun nutzt auch Russland Aslins Bekanntheit in den eigenen Medien.

Aiden Aslin als YPG-Kämpfer in Syrien

Doch die Umstände seiner Gefangennahme und insbesondere seine Interviews, die seither in den staatlich gelenkten Sendern RT und Rossija 1 ausgestrahlt wurden, werfen Fragen auf.

Video vor der Kapitulation

Kurz bevor er in Gefangenschaft geriet, veröffentlichte Aslin ein Video, das ihn vermutlich auf dem Werksgelände von Azowstal in Mariupol zeigt. Darin sagt er: «Wenn ihr das seht, heisst das, dass ich mich ergeben habe.» Seine Einheit habe keine Munition und kein Essen mehr. Sie hätten mit den russischen Truppen Kontakt aufgenommen und würden darauf warten, dass ihre Kapitulation von ukrainischer Seite abgesegnet werde.

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Das wird von russischer Seite als Beleg dafür vorgebracht, dass Aslin ein Mitglied des Asow-Bataillons gewesen sei. Die Einheit wird für Wladimir Putin und seiner Propagandamaschine immer wieder als faschistisch bezeichnet und dient damit als Vorwand für die behauptete russische «Entnazifizierung» der Ukraine. Der Brite Aslin, den seine Freunde und Kampfgefährten «Johnny» nennen, trat aber gar nicht dem Asow-Bataillon, sondern der Marine bei. Ein Foto von 2018 zeigt ihn bei der Vereidigung als Marineinfanterist.

Heute gehören die Soldaten der 36. Marineinfanteriebrigade - neben den Asow-Kämpfern - zu den letzten ukrainischen Truppen, die Mariupol verteidigen. Laut russischen Angaben hatten sich am 13. April rund 1000 Marinesoldaten in Mariupol ergeben. Zwar wurde dies von der ukrainischen Führung dementiert. Doch Aslins Videos lassen die Kapitulation von Marineinfanteristen wahrscheinlich erscheinen. Tags zuvor, am 12. April, erschien auf Aslins Twitter-Account eine Nachricht von ihm: «Wir haben das Beste versucht, Mariupol zu verteidigen, aber wir haben keine andere Wahl, als uns den russischen Streitkräften zu ergeben.»

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Am 13. April, also an jenem Tag, an dem sich 1000 Marinesoldaten ergeben haben sollen, taucht auf Twitter das erste Foto von Aslin in Gefangenschaft auf. Der 28-Jährige sitzt in einem Büroraum auf einem Stuhl, seine Hände sind mit Handschellen gefesselt. In seinem Gesicht sind Verletzungen zu sehen, vor allem ein grosses Hämatom auf der Stirn.

Zwei Tage danach, am 15. April, strahlt der staatlich gelenkte russische TV-Kanal RT ein erstes Interview mit Aslin aus. Wann das Video aufgenommen wurde, ist nicht klar. Anhand der Umstände ist davon auszugehen, dass es kurz nach der Gefangennahme am 13. April aufgenommen wurde: Aslin sitzt im selben Zimmer, trägt dieselbe Kleidung wie auf dem ersten Foto. Auch die Verletzungen im Gesicht sind identisch mit dem Foto. In Westeuropa sind die Kanäle von RT von Youtube wegen der Verbreitung von Falschinformationen gesperrt.

Ein weiteres Interview mit dem gefangenen Aslin erscheint drei Tage später, am 18. April, im russischen Staatsfernsehen Rossija 1. Dort wird auch ein zweiter Gefangener vorgeführt, der 48-jährige Brite Shaun Pinner, der gemeinsam mit Aslin bei der Marineinfanterie kämpfte.

Laut russischen Medienberichten sollen die beiden auf dem Gebiet der von prorussischen Separatisten kontrollierten «Volksrepublik Donezk» befinden. Obwohl beide Briten in einer Einheit der ukrainischen Armee dienten, werden sie in den russischen Medien als «Söldner» bezeichnet, für die das Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen nicht gelte.

Verletzung wird versteckt

Gleichsam als Beweis für diese These wird Aslin im Interview mit Rossija 1 in einem T-Shirt mit dem Abzeichen des Asow-Bataillons gezeigt. Das war in den vorherigen von den Russen gemachten Fotos und Interviews nicht zu sehen. Überdies fällt nun eine Haarsträhne genau so über Aslins Stirn, dass das Hämatom nicht mehr zu sehen ist. Im Interview bittet er den britischen Premier Boris Johnson, sich für einen Gefangenenaustausch einzusetzen: Im Gegenzug für die Freilassung der beiden Briten könnten die Ukrainer den Oligarchen Wiktor Medwedtschuk an Russland ausliefern.

Medwedtschuk ist ein prorussischer ukrainischer Oppositionspolitiker und der Taufpate von Putins jüngster Tochter. Er wurde vor dem Krieg in Kiew wegen des Verdachts des Geheimnisverrats unter Hausarrest gestellt, tauchte unter, wurde aber Mitte April vom ukrainischen Geheimdienst aufgespürt und verhaftet.

Interview unter Zwang gegeben?

Im britischen «Guardian» vermutet ein Freund der beiden gefangenen Briten, dass Aslin und Pinner unter Zwang gesprochen hätten und von der russischen Propaganda missbraucht würden.

Am selben Tag, dem 18. April, postete auch der Brite Graham Phillips auf seinem Youtube-Kanal ein Interview mit Aslin. Phillips bezeichnet sich selbst als «unabhängiger Journalist», ist jedoch in der Ukraine seit 2014 wegen des Vorwurfs der prorussischen Propaganda Persona non grata. Er arbeitete unter anderem für den staatlichen Sender Russia Today (heute RT) und berichtet seit Kriegsbeginn nun aus der Ukraine auf der Seite der russischen Truppen.

Journalist leugnet Massaker in Butscha

Phillips’ Youtube-Kanal hat 272’000 Abonnenten. In seinen seit Kriegsbeginn gedrehten Videos will der Brite «Provokationen von westlicher und ukrainischer Seite» entlarven. So berichtete er am 5. April aus der russisch besetzten Region Tschernihiw von russischen Soldaten, die humanitäre Hilfe leisten und sich «absolut professionell und würdevoll verhalten» würden, auch wenn die Kamera nicht mitfilme. Phillips folgert daraus: Dass russische Soldaten im 200 Kilometer entfernten Butscha Gräueltaten begangen haben sollen, sei «von der Logik her absolut widersprüchlich».

Im Youtube-Interview mit Aiden Aslin stellt Phillips nicht nur Fragen, er legt dem Gefangenen die Antworten in den Mund. Und Aslin stimmt zu: Ja, er gebe dieses Interview freiwillig, ja, er werde gut behandelt. Und ja, das Verhalten der Ukrainer sei mit jenem der Nazis vergleichbar. Aslin ist dabei in Handschellen.

Tags darauf, am 19. April, veröffentlicht Aslins Familie in Grossbritannien ein Statement und lässt es über den Twitter-Account des britischen Abgeordneten Robert Jenrick verbreiten: Darin stellt die Familie fest, dass Aslin seit vier Jahren bei der ukrainischen Marineinfanterie diente und weder ein Söldner noch ein Spion sei. Dass der Gefangene nun unter Zwang sprechen müsse, mit deutlich sichtbaren physischen Verletzungen, sei «zutiefst verstörend». Die Verwendung von Videos und Fotos von Kriegsgefangenen für Propagandazwecke, so Aslins Familie, sei ein Bruch der Genfer Konvention «und muss sofort aufhören».

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Hannes von Wyl und Bernhard Odehnal, publiziert am 22. April 2022