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Türkische Riviera
Antalya ohne Ende

Kaleici port in Antalya, Turkey. Old town and harbor in sunny summer
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In Kürze:
  • Die Türkische Riviera erlebt seit einigen Jahren ungewöhnlich hohe Temperaturen – auch im letzten Jahresquartal.
  • Hotels verlängern die Saison aufgrund gesteigerter Nachfrage durch Herbstgäste.
  • Touristen profitieren von günstigeren Preisen und uneingeschränkten Hotelangeboten.
  • Nachhaltigkeitsbemühungen bei Hotels sind noch rar – aber langsam kommt Bewegung in die Sache.

Der Tag beginnt mit dem Lächeln der Animateurin. Und ihrer Aufforderung: «Smile to yourself.» Es ist acht Uhr. Die Sonnenstrahlen benetzen schon das Gras unter den Pinien, das sie gerade noch mal gemäht haben, hier im Tui Blue Palm Garden in Kızılağaç bei Manavgat, damit die Yoga-Gäste freien Blick haben. Normalerweise finden die Kurse am Strand statt, aber jetzt ist es dort am Morgen doch etwas frisch.

Also hat Gülizar Çoruk die blauen Matten im Studio ausgerollt, einem schmalen, glasgefassten Raum, in dem die studierte Architektin fünf Frauen (die Männer kommen erst zum Frühstück) Hatha-Yoga nahebringt. Um neun ist man fertig und geht frühstücken, gegen zehn Uhr an den Strand. Da zeigt die Temperaturanzeige, die über dem Rettungsschwimmer hängt, bereits 25 Grad an.

Mit sanften Farben in die Nacht: Wegen solchen Aussichten fährt man doch in die Ferien.

Im Lauf des Tages werden es 27. Das ist, selbst für eine sonnenverwöhnte Gegend wie die türkische Südküste, viel für November. Zu viel? Das kommt auf die Perspektive an. Wegen Sonne und Meer fahren die Gäste ja vorrangig hierher. Natürlich auch wegen des guten Essens und all der günstigen T-Shirts, Tücher, Teppiche. Die Kultur nimmt man gern noch mit: das römische Theater von Aspendos und das von Termessos, die Ausgrabungen in Side.

Ohne Klimaanlagen geht es nicht

So also sieht es aus an der Türkischen Riviera, wo die Sonne lange die beste Freundin von Touristen und Hoteliers war. Mittlerweile hat diese Freundschaft Risse bekommen. Normalerweise fällt hier im Oktober der erste Regen. In diesem Jahr gab es Mitte November den ersten Schauer. Davor hatte es seit dem Frühjahr nicht geregnet. Dafür gab es schon im Juni Tage mit mehr als 40 Grad. Die Hotelgäste konnten sich vom klimatisierten Zimmer an die verschatteten Strandliegen schleppen.

Die Türkische Riviera ist ein klassisches Ziel für Badeurlaub im Sommer. Doch inzwischen ist es dort so warm, dass die Saison locker bis in den Winter reicht. Ist jetzt sogar die bessere Reisezeit?

Schier unerträglich aber war es für die, die arbeiten mussten. Der Fahrer, der jetzt noch täglich Gäste aus der nebligen Schweiz vom Flughafen bei Antalya holt, um sie an den Hotels entlang der Küste abzusetzen, erzählt, wie ihm im Sommer der Schweiss selbst im gekühlten Auto nur so runtergelaufen sei. In seiner Wohnung habe er sich jetzt eine zweite Klimaanlage installiert, die viel Strom und Geld frisst.

Die Menschen hier spüren den Klimawandel also deutlich. Und befinden sich doch in einem Dilemma: Mehr als jeder zweite in der Region lebt davon, dass die Gäste mit dem Flugzeug anreisen. Die andere Hälfte arbeitet in der Landwirtschaft. Wobei auch die Bauern ihre Erzeugnisse an die Hotels verkaufen. Früher wurde Baumwolle angebaut in der weiten Ebene, die sich von Antalya bis Alanya erstreckt. Das ist nicht mehr lukrativ. Also recken nun in Treibhäusern neue, wärmeliebende Bananenstauden ihre Arme wie Aliens.

Dehnbare Saison

Wie in der Landwirtschaft, so versucht man auch im Tourismus, sich mit dem sich verändernden Klima zu arrangieren. Die Gegend zwischen Çeşme und Alanya ist – mit Ausnahme der Region Belek, wo sich im Herbst und Winter Golfspieler die Zeit vertreiben – seit Jahrzehnten vor allem auf Sommerbadegäste eingestellt. Die meisten Hotels haben grosse Pools und offene Restaurant-Terrassen. Seit es wärmer wird im Herbst, versuchen Hotels, die Saison zu dehnen.

Die Nachfrage ist da, nur fehlen oft die günstigen Charterflüge. Für Herbst- und Wintergäste, die meist eine Woche oder länger bleiben, braucht man heute zumindest ein Spa, am besten auch einen Indoor-Pool und Räume wie das Yoga-Studio. Seine Mitarbeiter seien glücklich über jeden Tag, den sie länger arbeiten dürfen, sagt Mehmet Cubukcuoglu, der Direktor des Palm Garden.

Was nachvollziehbar ist: In der Türkei gibt es keine Arbeitslosenversicherung. Ist die Saison vorüber, muss man schauen, wo man den Winter über Geld verdient. Die Gäste profitieren ohnehin: Im Vergleich zur Hauptsaison seien die Herbstpreise 30 bis 40 Prozent günstiger, heisst es bei der Tui.

Zuerst Yoga, dann Faszientraining

Im Palm Garden haben sie in diesem Jahr die Saison bis Mitte November ausgedehnt, zwei Wochen länger als üblich. Das Meer hat Anfang November noch 25 Grad, das Wasser ist so klar und ruhig, dass man tief am Boden kleine Fische sieht. Über den Feldern liegt tagsüber ein mildes Licht. Unter den antiken Säulen in Side lässt es sich jetzt gut aushalten.

Und wer am Abend in der Altstadt von Antalya ist, kann dabei zusehen, wie die Sonne unfassbar schön in Lila-Orange hinter das Taurusgebirge fällt. Und am Steg, der vom Hotel aus ins Meer führt, sitzen die Gäste noch im T-Shirt. Die Bilder, die man heimschickt, generieren Smileys. Und zweimal die Rückmeldung «gemein».

Beim Hotel am Meer sitzen derweil die Gäste noch im T-Shirt. Die Bilder, die man heimschickt, generieren Smileys. Und zweimal die Rückmeldung „gemein“.

2016 wurde das Tui Blue Palm Garden komplett saniert. Die Konkurrenz ist gross, vor Ort ebenso wie durch andere Sonnen-all-inclusive-Ziele: Spanien, Portugal, die Kanaren. Also muss man versuchen, sich abzuheben. Durch besonders gutes Essen, wofür das Palm Garden bekannt ist, durch Sportmöglichkeiten, durch exzellenten Service. Jetzt im Herbst schlendern durch die Palmenallee der loungigen Anlage vor allem Paare mit kleinen Kindern, dazu Grosseltern mit ihren Enkeln – oder ohne sie.

Die meisten Gäste laden sich schon bei der Ankunft die «Tui Blue App» aufs Handy, um immer auf dem Laufenden zu sein, was wann wo geboten wird: Vom Yoga kann man hinübergleiten zum Faszientraining, vom Frühstücksbuffet zur Turtle Beach Bar, vom Kuchen zum Abendessen, und das je nach Vorliebe vegan, low carb oder als Barbecue mit Pommes frites.

Auch in der Nachsaison, die das Zeug hat, die künftige Hauptsaison zu werden, gebe es keine Einschränkung am Buffet oder beim Programm, erklärt Hoteldirektor Cubukcuoglu. Dazwischen noch Boccia oder «Legs, Bums & Tums»? «Smile to yourself» eben: Es sich gut gehen lassen und die Welt draussen vergessen. Soweit das möglich ist, mit dem Handy als ständiger Begleitung.

Ab ins Freilichtmuseum

Und falls man dann doch einmal die Anlage verlässt? Kann man der Region dabei zusehen, wie sie upgegradet wird. Mit Luxusappartements in Strandnähe. Und durch Stadterneuerungsprogramme. Die Altstadt von Antalya etwa hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt: Viele historische Häuser wurden saniert, oft sind hier jetzt schicke Cafés, Restaurants, Boutique-Hotels eingezogen.

Die alten Flachbauten aus den Siebzigern und Achtzigern werden nach und nach abgerissen ...
... und durch neue Häuser ersetzt – sofern man unter den Bauten nicht archäologisch wertvolle Funde entdeckt, die mit begehbarem Glas abgedeckt werden.

Für Einheimische ist die Altstadt längst ein (zu) teures Pflaster. Noch stärker im Umbruch ist Side. Hier sind in den vergangenen Jahren viele neue Häuser errichtet worden, im historisierenden Stil. Die alten Flachbauten aus den Siebzigern und Achtzigern werden nach und nach abgerissen und durch neue Häuser ersetzt – sofern man unter den Bauten nicht archäologisch wertvolle Funde entdeckt, die mit begehbarem Glas abgedeckt werden. Manche Strassenzüge wirken noch wie ein Freilichtmuseum.

Die neuen Häuser aus Naturstein haben die für den alten osmanischen Baustil typischen geschlossenen hölzernen Balkone. Die Originale kann man in Bergdörfern wie Ormana finden. Hier stehen viele der sogenannten Knopfhäuser, erdbebensicher aus Steinen und verkanteten Hölzern errichtete Gebäude. Die Frauen früherer Generationen, erklärt Ali Fuat Erkaslan, ein Guide, der eine Gruppe Hotelgäste ins Hinterland führt, konnten von den Balkonen aus gut das Geschehen auf der Strasse überblicken – ohne selbst gesehen zu werden. Diese Zeiten sind längst vorbei.

Heute sichern sich die Frauen des Dorfes ihren Lebensunterhalt, indem sie in einer Kooperative Kräuter und Lorbeerkernöl verkaufen, das gegen Gelenkschmerzen helfen soll. Und sie bewirten Touristen.

Heute sichern sich die Frauen des Dorfes ihren Lebensunterhalt, indem sie in einer Kooperative Kräuter und Lorbeerkernöl verkaufen, das gegen Gelenkschmerzen helfen soll. Und sie bewirten Touristen. Mittags fährt ein Kleinbus nach dem nächsten vor, das Geschäft brummt, auch im Herbst noch.

Zypressen und Laubbäume gegen Klimawandel

Bis vor wenigen Jahren waren hier im Hinterland von Manavgat die Berge mit Pinien bewachsen, heute stehen nur in den Höhenlagen noch ein paar grosse Bäume. Im Sommer 2021 brannte entlang ganzer Hügelketten der Wald. Erstaunlich viel ist mittlerweile schon wiederaufgeforstet. Die Hügel sind jetzt terrassiert, um den Setzlingen eine Chance zu geben. Angepflanzt wurden Zypressen und Laubbäume: Ein hitzeresistenter Mischwald soll nachwachsen.

An der Küste indes findet man noch Pinien, die einst hier gepflanzt wurden, um die Wanderdünen zu stoppen. In Anlagen wie dem Robinson Nobilis spenden sie den Golfern Schatten.

An der Küste indes findet man noch Pinien, die einst hier gepflanzt wurden, um die Wanderdünen zu stoppen. In Anlagen wie dem Robinson Nobilis spenden sie den Golfern Schatten. Im Sommer muss der Rasen rund um die Uhr bewässert werden. Ökologisch ist das nicht. Aber zumindest ist die Versorgung mit Wasser in der Region bislang offenbar kein Problem – anders etwa als in Zentralanatolien, wo sich inmitten der Felder Sinklöcher auftun, weil unterirdische Ströme austrocknen.

In der «sehr wasserreichen» Region um Antalya aber sei nicht damit zu rechnen, dass es «in den nächsten 20 Jahren zu Engpässen bei der Wasserversorgung kommen werde», sagt Asli Seyhan Çığgın, Leiterin des Fachbereichs Umwelttechnologie der Akdeniz-Universität in Antalya.

Die Gegend bei Belek war einst ein sumpfiges Delta. Stellenweise sieht es auf dem Gelände der Robinson-Anlage aus wie in Florida.

Tatsächlich ist die fruchtbare Ebene östlich von Antalya durchzogen von grossen Flüssen. Die Gegend bei Belek war einst ein sumpfiges Delta. Stellenweise sieht es auf dem Gelände der Robinson-Anlage aus wie in Florida. Es gibt im Hinterland Rafting-Angebote und mehrere Wasserfälle.

Mit Duschwasser Pflanzen giessen

Allerdings sei Wasser generell in der Antalya-Region zu günstig, deshalb werde auch zu viel verbraucht, kritisiert Asli Seyhan Çığgın. Gegen illegalen Wasserverbrauch gehe die Verwaltung vor, sagt die Professorin. Und es gebe Vorbereitungen, wie man das Meerwasser nutzen könne – dereinst. Vorerst aber steht Nachhaltigkeit nicht mit Priorität auf der To-do-Liste der meisten Hotelbetreiber. Und auch die meisten Gäste schauen vor allem auf eines: den Preis.

Es gibt im Hinterland Rafting-Angebote und mehrere Wasserfälle - etwa den „Unteren Düden“, der bei Lara im östlichen Antalya malerisch ins Meer fällt.

Da in der Türkei weder Solarparks noch Wassersparmassnahmen für die Hotels staatlich gefördert werden, müssen solche Projekte von den Betreibern selbst initiiert und bezahlt werden. Tui versorgt einen Teil ihrer Hotels mittlerweile mit Strom aus drei eigenen Solarparks; drei weitere sind in Planung. Was möglich ist, sieht man im Sensatori Akra Sorgun, einer Anlage, die von der türkischen Hoteliersfamilie Barut betrieben wird.

Im Hotel wird das Grauwasser aus Duschen und Pools aufbereitet und genutzt, um die Grünanlagen zu wässern. Den Rasen hat man um die Hälfte reduziert. Und der Strom für die klugen Klimaanlagen, die erkennen, ob Gäste sich im Zimmer aufhalten, kommt aus einem Solarpark, der im Landesinneren errichtet wurde. Damit wärmt man im Herbst auch die Aussenpools.

Bis Ende November hatte das Sensatori Akra Sorgun in diesem Jahr geöffnet. Im nächsten Winter wird man vielleicht in den Dezember oder sogar in den Januar hinein gehen. Das Management sitzt gerade noch zusammen und überlegt: eine Silvesterfeier, Palmen mit Lichterketten? Klingt gut. Wer jemals im Winter in Istanbul war, weiss: Illumination können sie in der Türkei.

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.