Moskau und Prag auf KonfrontationskursTschechien beklagt «Akt von staatlichem Terrorismus»
Russische Spione sollen in Tschechien ein Munitionslager gesprengt haben. Im Einsatz waren offenbar die gleichen Agenten, die im britischen Salisbury ein Attentat mit dem Nervengift Nowitschok verübt hatten.
Die russische Gefahr – seit Jahren warnt der tschechische Geheimdienst BIS eindringlich davor. Nun lieferte er ein konkretes Beispiel für die Sicherheitsbedrohung, die von russischen Agenten auf tschechischem Boden ausgehe. Am 16. Oktober 2014 explodierten 50 Tonnen Munition in einem Lager nahe dem Ort Vrbetice im Südosten Tschechiens, zwei Menschen starben dabei.
Im Dezember 2014 gab es eine weitere Explosion, die Ortschaft musste evakuiert werden. Der tschechische Geheimdienst will nun die Ursache der Explosionen gefunden haben. Zwei russische Agenten des Militärnachrichtendienstes GRU seien dafür verantwortlich, erklärt Premier Andrei Babis.
Waffen für die Ukraine?
Die beiden Agenten seien auf das Gelände der Firma Imex Group vorgedrungen und hätten die Munitionskisten präpariert. Wie das tschechische Magazin «Respekt» ausführt, handelte es sich um eine Lieferung für die ukrainische Regierung. Sie gehörte demnach dem bulgarischen Waffenhändler Emilian Gebrew, der einen Kaufvertrag mit der Ukraine geschlossen hatte. Auf ihn wurden 2015 zwei Giftanschläge mit dem Nervengift Nowitschok verübt. Nach anderen Berichten soll es sich um eine Lieferung nach Syrien gehandelt haben.
Prag reagiert heftig auf den Geheimdienstbericht über die russischen Machenschaften. Dies sei ein «Akt von staatlichem Terrorismus», hiess es. Der frühere Premier Bohuslav Sobotka sprach vom «weitreichendsten Anschlag Russlands auf tschechischem Boden» seit der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968. «Es ist ein historischer Moment, und wir müssen reagieren.»
Das Ziel der Einheit 29155 ist es, europäische Länder zu destabilisieren und so die Europäische Union zu schwächen.
Dieser Meinung war auch der amtierende Premier Babis. Als Konsequenz hat Tschechien 18 russische Diplomaten, die als Geheimdienstagenten gelten, ausgewiesen, sie mussten das Land innerhalb von 48 Stunden verlassen. «Ich denke, das ist eine angemessene Reaktion», sagte Babis.
Moskau reagierte binnen weniger Stunden mit der Ausweisung von 20 tschechischen Diplomaten, die Russland innerhalb nur eines Tages verlassen sollten. Die Beziehungen zu Tschechien sind schon lange angespannt. Staatspräsident Milos Zeman gilt zwar als ausgewiesener Freund Russlands, viele andere Politiker sind jedoch kritisch eingestellt.
Die tschechische Polizei fahndet derweil nach zwei Männern mit russischem Pass. Sie sollen den Anschlag auf das Munitionslager ausgeführt haben. Gemäss tschechischen Angaben handelt es sich um dieselben Männer, die im März 2018 Sergei Skripal und seine Tochter im englischen Salisbury vergiftet haben. Zumindest benutzen die zwei Offiziere des russischen Militärgeheimdiensts GRU dieselben Scheinidentitäten wie die Attentäter in Salisbury. Skripal war selbst GRU-Oberst gewesen, aber dann zum britischen MI6 übergelaufen.
Die beiden Männer gehören der Einheit 29155 des GRU an, über die 2019 zuerst die «New York Times» berichtet hatte. Diese Einheit ist demnach eine geheime Gruppe ehemaliger Soldaten mit der Aufgabe, Sabotageakte, Attentate, Umsturzversuche im Ausland auszuführen. Die Zeitung zitierte damals westliche Geheimdienste: Ihnen zufolge ist das Ziel der Einheit 29155, europäische Länder zu destabilisieren und so die Europäische Union zu schwächen. Der Einheit wird neben den Attentaten auf Skripal und Gebrew auch der missglückte Staatsstreich in Montenegro 2016 zugeschrieben.
Moskau erklärt, die Vorwürfe der Regierung in Prag seien «unbegründet und erfunden». In einer Erklärung des russischen Aussenministeriums heisst es, sie seien die «Fortsetzung einer Reihe antirussischer Aktionen», Tschechien habe sich dabei von den USA beeinflussen lassen. Um Washington zu gefallen, «haben die tschechischen Behörden in dieser Hinsicht sogar ihre Herren hinter dem Ozean übertroffen».
Auch die USA wiesen Diplomaten aus
Maria Sacharowa, Sprecherin des Aussenministeriums, verbreitete eine weitere Theorie: Prag habe mit seinen Anschuldigungen von einem angeblichen Staatsstreich in Belarus ablenken wollen. Demnach hat Russlands Inlandsgeheimdienst FSB mit zwei Festnahmen in Moskau einen Anschlag auf den weissrussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vereitelt. Der erklärte später, FBI oder CIA steckten wohl hinter der Sache.
Wladimir Dschabarow, erster stellvertretender Vorsitzender des Komitees für internationale Beziehungen im russischen Föderationsrat, sagte zu Prags Anschuldigungen: «Wir haben noch nie in unserem Leben solche Dinge gemacht. Wozu sollten wir etwas in Tschechien sprengen?» Alles sei frei erfunden, um die Amerikaner zu unterstützen. Russlands Beziehungen zu den USA sind an einem Tiefpunkt. Am Donnerstag erliessen die USA weitere Sanktionen, beide Länder wiesen Diplomaten aus.
Fehler gefunden?Jetzt melden.