Mobilisierung aus der HosentascheTrump kommt der Zwist mit Twitter nicht ungelegen
Der US-Präsident will die Wut seiner Wähler anstacheln – und sie so an die Urnen treiben. Da hilft auch ein Streit mit dem Kurznachrichtendienst.
Donald Trump, Twitter und die Wahrheit, das ist ein ganz besonderes Dreiecksverhältnis. Kaum ein Politiker nutzt den Kurznachrichtendienst so exzessiv, effektiv und rücksichtslos wie der US-Präsident, um Beleidigungen, Unterstellungen oder auch blanke Lügen zu verbreiten. Dass das der kalifornischen Firma ausgerechnet am Dienstag aufgefallen ist, war erstaunlich. Immerhin hat Trump sich sein Twitter-Konto schon 2009 eingerichtet und seither 52’000 Tweets verschickt. In diesem Konvolut gab es jede Menge anderer Halb- und Unwahrheiten, die einen ähnlichen Warnhinweis verdient hätten wie Trumps Schimpferei über die Briefwahl, die von Twitter jetzt mit einem Faktencheck-Link versehen wurde.
Mittel, um Mitarbeiter zu feuern
Aber um Fakten oder die Wahrheit geht es Trump in seinen Tweets nicht. Twitter ist für ihn kein Informationsmedium, sondern eine politische Waffe. Der Präsident nutzt Twitter, um Gegner zu attackieren, anderen Regierungen zu drohen, Mitarbeiter zu feuern, Verwirrung zu stiften oder seine Propaganda und Verschwörungstheorien ungefiltert zu seinen Anhängern zu transportieren, damit sie noch wütender werden, als sie es ohnehin schon sind.
Vor allem aber nutzt Trump Twitter, um die Nachrichtenlage zu dominieren und bei Bedarf von empörenden Zuständen durch noch empörendere Tweets abzulenken. Er müsse nur ein paar Zeilen ins Telefon tippen und auf «Tweet» drücken, soll Trump gemäss «New York Times» einmal bei einem Treffen mit rechten Social-Media-Aktivisten stolz gesagt haben. «Boom, ich drücke, und zwei Sekunden später heisst es: Wir haben eine Eilmeldung.»
«Boom, ich drücke, und zwei Sekunden später heisst es: Wir haben eine Eilmeldung.»
Trump hat derzeit gute Gründe, von den empörenden Zuständen in den USA abzulenken. Das Krisenmanagement seiner Regierung in der Corona-Pandemie ist mangelhaft, noch immer fehlt es in Teilen des Landes an Tests oder medizinischer Schutzausrüstung. Die Zahl der Toten überstieg in dieser Woche die Marke von 100’000. Finsterer könnte die Lage ein paar Monate vor der Wahl kaum sein.
Zwar erwarten Ökonomen, dass sich zumindest die wirtschaftliche Situation bis zur Wahl Anfang November wieder verbessern wird. Doch im Moment kommt es Trump ganz gelegen, wenn die Medien – vor allem jene, die seine Anhänger anschauen – ausführlicher über seinen Zwist mit Twitter berichten als über die Verheerung, die das Virus anrichtet. Am Mittwoch klappt dieses Zuspielen von Bällen sehr gut: Sowohl der Sender Fox News als auch die rechte Nachrichtenseite «Breitbart» regten sich nicht über die 100’000 Toten auf, sondern über Twitter, das in diesen Kreisen ohnehin als zu linksliberal gilt.
Strategie ruht auf zwei Pfeilern
Ein weiterer Zweck von Trumps Tweets ist das Aufstacheln seiner Wähler. Der Präsident liegt momentan in den Wahlumfragen hinter dem Demokraten Joe Biden. Und er weiss, dass es schwierig werden wird, die Stimmen unentschlossener Bürger bis zum November noch zu gewinnen: Wer Trump bisher nicht gemocht hat, wird sich wohl nicht im nächsten Vierteljahr plötzlich für ihn entscheiden.
Trumps Wahlkampfstrategie ruht daher auf zwei Pfeilern: einer möglichst scharfen Polarisierung der Wählerschaft und einer möglichst hohen Wahlbeteiligung der eigenen Anhänger. Das Wahlkampfteam des Präsidenten versucht daher mit allen Mitteln, Angst, Wut und Ärger bei den Trump-Fans anzuheizen, um jeden Einzelnen anzutreiben, tatsächlich zur Wahl zu gehen. Gleichzeitig läuft eine Schmutzkampagne gegen Biden. Das Ziel dabei ist nicht, Biden-Wähler zu Trump zu locken, sondern diese so zu demotivieren, dass sie nicht wählen gehen.
Gegen demokratische Gouverneure
Um seine Wähler aufzuwiegeln, schiesst Trump daher zum Beispiel seit Wochen bei Twitter gegen demokratische Gouverneure, die angeblich die Ausgangssperren in ihren Bundesstaaten nicht schnell genug beenden, und ermuntert die Proteste dagegen. Vor einigen Tagen brach er – natürlich per Tweet – einen Streit mit dem demokratischen Gouverneur von North Carolina vom Zaun, Roy Cooper. Trump will im August in dem politisch wichtigen Staat seinen Wahlparteitag abhalten, was manche Fachleute angesichts der steigenden Infektionszahlen dort für keine gute Idee halten. Der Präsident drohte Cooper daher mit einer Verlegung der Grossveranstaltung, wenn dieser nicht garantiere, dass Trump in einer Halle von Zehntausenden Menschen bejubelt werden dürfe.
Auch die jetzt von Twitter monierten Tweets über die vermeintliche Betrugsgefahr bei Briefwahlen passen sehr gut zu Trumps Strategie. Es gibt in der Realität keinerlei empirische Belege, dass Briefwahlen weniger verlässlich und fair sind als Wahlen, bei denen die Menschen ihre Stimme in Wahllokalen abgeben. Im Gegenteil: Dass eine Briefwahl in Zeiten einer Pandemie sicherer für die Wähler ist, sollte offensichtlich sein.
Doch Trumps Tweets sind nicht dazu gedacht, sich mit der Realität auseinanderzusetzen. Er will nicht das Für und Wider unterschiedlicher Wahlmethoden diskutieren. Sondern er will seinen Anhängern einreden, dass die Demokraten ihm seinen verdienten Wahlsieg stehlen wollen, so wie sie es angeblich schon bei der «Hexenjagd» wegen Russland und beim Amtsenthebungsverfahren wegen der Ukraine versucht haben. Trumps Botschaft ist diese: Wenn ich im November die Wahl verliere, dann nur wegen Betrugs.
«Twitter unterdrückt das Recht auf freie Meinungsäusserung!», beschwerte sich Trump nun am Dienstag, nachdem seine falschen Briefwahl-Tweets mit dem Link zu einem Faktencheck versehen worden waren. Dass er seine Klage ausgerechnet per Tweet in die Welt hinausschickte und niemand von Twitter ihn daran hinderte – diese Ironie entging Trump jedoch.
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