Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Unterstützung bei Kernwählern bröckelt
Trump, der Präsident der 100’000 Toten

Die Corona-Krise hat ein Schlaglicht auf die  Unfähigkeit des Präsidenten und seiner engsten Berater geworfen.  (Daniel Mears/AP/Keystone)
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Donald Trumps knapper und unerwarteter Sieg 2016 verdankte sich mehreren Faktoren. Dazu zählten sowohl die politische Unattraktivität von Hillary Clinton als auch die Ressentiments jener, die von der Globalisierung zurückgelassen wurden. Ausserdem spielte Hass auf die sich selbst perpetuierende Meritokratie an den US-Küstenregionen ebenso eine Rolle wie «weisser ethnischer Chauvinismus». So beschrieb George W. Bushs ehemaliger Ghostwriter David Frum Donald Trumps ideologische Anziehungskraft.

Trumps Wahlsieg wurde auch in Europa eifrig beklatscht von Fans, die «weissem ethnischem Nationalismus» durchaus etwas abgewinnen konnten und schon zuvor dem Aufstieg Silvio Berlusconis in Italien applaudiert hatten. In Kauf genommen wurden Trumps bizarre Lügen, seine frontalen Angriffe auf demokratische Normen und Institutionen sowie seine Vorliebe für Autokraten, Diktatoren und Caudillos aller Schattierungen.

Ebenfalls in Kauf nahmen die Trump-Fans die mentale Unpässlichkeit des Präsidenten und seinen Mangel an Empathie. Trumps Inkompetenz, die zuweilen Slapstick-Charakter trägt, galt ihnen geradezu als Ehrenabzeichen. Denn sie unterschied sich angenehm von Barack Obamas vermeintlich unamerikanischem Habitus eines kühlen Intellektuellen.

Politische Unterstützung bröckelt

Ein beachtlicher Teil der US-Wählerschaft war gleichfalls mit dabei. Die gute Konjunktur und Trumps Geschenke an Evangelikale und überhaupt an seine weisse und chauvinistische Basis in republikanischen Bastionen im US-Süden und Mittleren Westen verhalfen dem Präsidenten bei Umfragen zwar nie zu einer Beliebtheitsrate von 50 Prozent. Aber sie hielten ihn auf einem Plateau zwischen 40 und 45 Prozent, und ein weiterer Anstieg bis zum Wahltag schien plausibel.

Nun, da die Zahl der amerikanischen Toten im Gefolge der Corona-Epidemie die traurige Marke von 100’000 erreicht, ist der Lack ab: Besorgt analysieren Trumps Berater interne Umfragen, die ein Abbröckeln seiner politischen Unterstützung bei weissen Senioren und sogar bei Evangelikalen zeigen – nicht viel, aber genug, um einen Wahlsieg des Präsidenten im November infrage zu stellen.

Überraschend ist diese Desillusionierung nicht: Die Corona-Krise hat ein Schlaglicht auf die Unfähigkeit des Präsidenten und seiner engsten Berater, etwa seines Schwiegersohns Jared Kushner, geworfen. Und sie hat bewiesen, dass Trump einfachste Sachzusammenhänge nicht versteht. Seine Aufmerksamkeitsspanne ist in wenigen Minuten erschöpft, nicht einmal Briefings in Form bunter Schaubilder vermögen ihn zu fesseln.

Als Katie Miller, die Pressesekretärin von Vizepräsident Mike Pence, positiv auf das Coronavirus getestet wurde, erklärte der Präsident live im Fernsehen, Miller habe «über lange Zeit sehr gute Tests gemacht, aber auf einmal war sie positiv, einfach so, aus heiterem Himmel». Deshalb, so Trump weiter, sei «das ganze Konzept dieser Tests nicht unbedingt wahr, die Tests sind perfekt, aber etwas kann zwischen einem Test passieren, wenn er zunächst gut ist, und dann passiert etwas, und plötzlich – sie wurde kürzlich getestet und war negativ».

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Von jedem anderen Menschen hätte man behauptet, er sei «betrunken gewesen, als er das sagte», kommentierte der Publizist Andrew Sullivan den Wortsalat des Präsidenten. Trumps Bullshit und der Dilettantismus seiner Administration aber könnten bislang treue Anhänger Trumps bewegen, ihm im Herbst den Laufpass zu geben. Der Deal, den sie im November 2016 mit ihm abschlossen, scheint plötzlich lausig, ja sogar gefährlich.

Aussicht auf Sieg ist dahin

Es ist eben eine Sache, amerikanischen Eliten aus der Wahlkabine ein lautes «Fuck you» zuzurufen. Weniger spassig ist es hingegen, während einer existenzbedrohenden Krise in Donald Trumps Fantasiewelt zu leben, wo Hydroxychloroquin heilt und Covid-19 durch die Injektion von Bleichmittel und Sonnenlicht besiegt wird. In dieser Märchenlandschaft ist der Impfstoff nur um die Ecke und 2021 ein Mega-Giga-Superjahr, das den Dow Jones in schwindelerregende Höhe treiben wird.

Die Aussicht auf einen grandiosen Sieg, den sich der Präsident noch im Januar erträumte, ist jedenfalls dahin. Ein Erfolg im Herbst dürfte denkbar knapp ausfallen, errungen mithilfe von Durchstechereien und Unregelmässigkeiten oder wie schon 2016 dank des Wahlmännerkollegiums.

Wahrscheinlicher ist, dass Donald Trump in der Nacht vom dritten auf den vierten November 2020 als Verlierer dastehen wird. Denn die Corona-Krise hat den Präsidenten als ein Risiko entlarvt, das eine Mehrheit der Amerikaner vielleicht nicht mehr eingehen möchte – es sei denn, Joe Biden und die Demokratische Partei entpuppten sich als politische Stümper, die einen Sieg verschenkten, der in greifbarer Nähe liegt.

Podcast «Entscheidung 2020»