Reisebranche erholt sichKunden gehen wieder ins Reisebüro – und das könnte zum Problem werden
Auslandsreisen sind in Corona-Zeiten kompliziert geworden. Daher suchen Kunden vermehrt wieder Rat in einem Reisebüro. Im Ringen um Staatshilfen könnte sich dies indes als Stolperstein erweisen.
Die Ferienplanung für den Herbst und Winter gestaltet sich schwieriger als für den Sommer: In den europäischen Ländern steigt die Zahl der Coronavirus-Neuinfektionen wieder deutlich. Auch in der Schweiz liegen die Ansteckungen über dem Niveau des Sommers.
Deshalb steigt die Wahrscheinlichkeit täglich, dass beliebte ausländische Ferienziele die Schweiz auf ihre Quarantänelisten setzen. Zuletzt hat das Zypern gemacht. Bei der Einreise auf der Mittelmeerinsel müssen Ankömmlinge aus der Schweiz einen negativen Coronavirus-Test vorweisen. Seit Donnerstag müssen sie auch noch für 14 Tage in Selbstisolation. (Lesen sie hier die grosse Übersicht: In welche Länder Schweizer noch ohne Einschränkungen reisen können)
Die Kunden kommen zurück
Diese unbeständige Lage bietet ausgerechnet einer Branche einen Lichtblick, die selber von der Corona-Krise arg gebeutelt ist: den Reisebüros. Wo wochenlang gähnende Leere herrschte und die Telefone stumm blieben, kommt langsam wieder Leben rein. Reisewillige Schweizer buchen lieber direkt im Reisebüro als im Internet. Das ist sicherer. Doch für die Branche ist die vorsichtige Rückkehr der Kunden ein zweischneidiges Schwert. Denn die Reisebüros hoffen noch auf neue Staatshilfen aus Bern.
Auf das sich ändernde Kundenverhalten hatte der Schweizer Reise-Verband Anfang September an seiner Jahresmedienkonferenz hingewiesen. Geschäftsführer Walter Kunz sieht die Wiederentdeckung des klassischen Reisebüros vor allem als Chance für kleinere Betriebe.
Doch auch grosse Reiseveranstalter beobachten ein steigendes Interesse an einem direkten Kontakt. So bestätigt Kuoni auf Anfrage, dass der prozentuale Anteil von Buchungen durch ein persönliches Beratungsgespräch im Vergleich zur Online-Buchung aktuell «überdurchschnittlich hoch» sei. Bei TUI Suisse heisst es, die Kundschaft erkenne die Vorteile eines Reisebüros wieder mehr. Und die Migros-Tochter Hotelplan teilt mit, dass die Kundschaft den direkten Kontakt suche, um die Vorteile eines Vollservices nutzen zu können.
«Wir sind zuversichtlich, dass das Geschäft nächstes Jahr wieder laufen wird.»
Vorsichtigen Optimismus teilt auch Andy Wetter, Inhaber des Reisebüros One Travel International im aargauischen Würenlos. Auf Anfang Oktober verlegt er den Sitz seines Unternehmens in den Bahnhof an bester Lage: «Wir sind zuversichtlich, dass das Geschäft nächstes Jahr wieder laufen wird.»
Die Reiseveranstalter machen zwei Gründe für das neue Kundenverhalten aus: Erstens ist Reisen zwar möglich, aber aktuell mit einer bisher nicht gekannten Komplexität verbunden. Reisende müssen den Überblick behalten, wohin sie noch reisen dürfen, welche Anforderungen bei der Einreise zu beachten sind – die Liste liesse sich fortsetzen.
Zweitens müssen Reisende wegen der dynamischen Lage mit kurzfristigen Änderungen zwischen der Buchung und dem Reisedatum rechnen. Für Online-Direktbucher entstehen in solchen Fällen viele Unwägbarkeiten; von Gesetzgebungen im Ausland über die Erreichbarkeit der Betreiber von Buchungsplattformen bis hin zu langen Rückerstattungsfristen. Doch wer im Reisebüro bucht und die Reise wegen Corona-Bestimmungen nicht antreten kann, hat bessere Rückerstattungsmöglichkeiten als bei einer Buchung im Internet.
Reisebüros gelten nun als Härtefall
Doch die aussichtsreichen Signale könnten für die Reisebüros auch zu einem Hindernis werden. Die Branche bemüht sich verzweifelt um Staatshilfe. Zwar hat das Parlament am Freitag das Covid-19-Gesetz endgültig beschlossen und damit den Weg für unterstützende Massnahmen frei gemacht. So gilt die Reisebranche nun explizit als Härtefall und kann auf Überbrückungshilfe von Bund und Kantonen hoffen.
Weil aber der Bundesrat die Details zur Umsetzung des Gesetzes ausarbeitet, braucht es noch viel Lobbyarbeit. Hinweise auf ein Geschäft, das wieder in die Gänge kommt, dürfte die Verhandlungsposition der Reiseveranstalter schwächen.
Davon will André Lüthi nichts wissen. «Wir brauchen die Staatshilfen mehr denn je», sagt der Co-Inhaber der bernischen Globetrotter-Gruppe und Ressortleiter Politik beim Reise-Verband. «Die Branche wird im laufenden Jahr einen Umsatzeinbruch von 80 Prozent und mehr verzeichnen.»
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass laut Reise-Verband nur 48 Prozent der Mitglieder den Covid-19-Überbrückungskredit des Bundes beantragt haben. «Viele Betreiber von Reisebüros hatten wohl Angst, dass sie die Kredite nicht zurückzahlen können», sagt Lüthi. Mit dem Kredit lasse sich «auf jeden Fall eine Durststrecke überstehen». Auch wenn Kunden wieder langsam in Reisebüros zurückkehren – die Durstrecke ist noch lange nicht vorbei.
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