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Sinkendes Interesse an Blasinstrumenten
Die Luft ist raus: Warum niemand mehr Trompete spielen möchte

Miles Davis küsst seine Trompete in einem Schwarz-Weiss-Foto von ca. 1954, im Anzug vor einer gepunkteten Wand.
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In Kürze:
  • In der Popmusik und im Jazz sind Blasinstrumente seltener geworden.
  • Schweizer Musikschulen verzeichnen schwindendes Interesse an Blasinstrumenten.
  • Pop-Bands sparen meist zuerst bei den Bläsern.

Neulich schilderte Büne Huber, welche Momente an seinen eigenen Konzerten ihn jeweils zu Tränen rühren. Und nein, es sind nicht die Stellen, an denen Tausende Kehlen seine Refrains mitsingen, es ist der Moment, in dem sich sein Saxofonist an den Bühnenrand stellt und zum grossen Solo ansetzt. Das seien die Augenblicke, in denen seine Songs zum Leben erwachen würden, da entstehe etwas, was die Routine breche. Und so setzt der Herr Huber auch schon mal zu einer Publikumsbeschimpfung an, wenn das Auditorium dies nicht gebührend würdigt.

Mit diesem Gebaren bewegt sich der derzeit wohl bekannteste Musiker der Schweiz auf einsamen Pfaden. Denn Saxofonisten finden sich auf den grösseren Pop-Bühnen praktisch keine mehr. Gleiches gilt für Trompeterinnen oder Posaunisten. Ausser in Grossproduktionen von Peter Fox oder Jan Delay und – ja – Patent Ochsner hat der Bläsersatz im heutigen Pop-Zirkus weitestgehend ausgedient.

Die meisten Bands, die durch die Welt touren, befinden sich im Personalsparmodus. Konzerte sind auch für bekanntere Acts oft die einzige nennenswerte Einnahmequelle, und so werden die Shows allgemein dermassen auf Effizienz getrimmt, dass man meinen könnte, es seien vor Tourneebeginn noch jeweils ein paar Berater von McKinsey durchs Probelokal gewieselt.

Und da ist es dann egal, ob sie mit ihren Solos für ein kollektives Tränenvergiessen sorgen: Als Erstes wird in der Regel bei den Bläsern gespart. Ohne sie läuft der Groove-Motor genauso geschmeidig, sie sind quasi das Tafelsilber, die edle Legierung, auf die man bei Spardruck am ehesten verzichten kann.

Schlechte Zahlen an den Musik-Hochschulen

Doch die edlen Blasinstrumente sind nicht nur im Pop-Milieu aus der Mode geraten. Wenn dieser Tage in Bern das sechstägige Jazzwerkstatt-Festival über die Bühne geht, das als eine Art Vitrine des neuen europäischen Jazz gilt, finden sich bereits bei mehr als der Hälfte der siebzehn Acts keine Bläser mehr im Aufgebot.

Dies ist indes nur der sichtbare Teil eines Phänomens, über das in den musikalischen Ausbildungsstätten der Schweiz offenbar nicht gern gesprochen wird. Von den vier angefragten Jazz-Abteilungen der Hochschulen in Bern, Zürich, Basel und Luzern wollte keine preisgeben, wie viele Studentinnen und Studenten sich im letzten Jahr für eine Ausbildung an einem Blasinstrument eingeschrieben haben. Einzig die Hochschule der Künste Bern gibt an, dass es in den letzten Jahren in der Regel «zwischen null und sechs» gewesen seien, solche Schwankungen seien üblich.

Aus gut informierten Quellen ist aber zu erfahren, dass speziell bei der Trompete und der Posaune das Interesse dermassen welk sei, dass in der Schweiz schon verdienstvolle Hochschullehrkräfte in Ermangelung an Studierenden zu Social-Media-Diensten verknurrt oder als Dozenten für Jazz-Geschichte umfunktioniert werden mussten. Es soll an gewissen Schulen 2024 für diese Instrumente keine einzige neue Anmeldung eingegangen sein.

Dem Schweizer Jazz fehlen die Bläser

Wer in der Schweiz im Bereich Pop oder Jazz professionell ein Blasinstrument erlernen will, durchläuft eine sich stets ähnelnde Bildungskaskade. Meistens beginnt es in der Jugend mit Privatunterricht und dem Beitritt in eine Musikschule, von denen es in der Schweiz fast 400 gibt (Tendenz sinkend). Danach folgen ein Vorbereitungskurs (PreCollege) und im Anschluss das Studium an einer Musikhochschule im Bereich Klassik oder Jazz.

Doch auf diesen übungsintensiven Bildungsgang hat kaum mehr jemand Lust. Immer mehr Jugendmusiken bekunden Nachwuchssorgen, einige mussten den Betrieb einstellen oder fusionieren. Die Musikschulen beklagen seit 2012 einen kontinuierlichen Rückgang vor allem bei den Holzblasinstrumenten (Saxofon und Klarinette), wie Margot Müller, Geschäftsleiterin des Verbands der Musikschulen Schweiz, bestätigt. Und in den Jazzschulvorkursen mangelt es an jungen Talenten. Dies alles führt dazu, dass letztlich kaum mehr jemand mit einem Blasinstrument an die Pforten der Hochschulen pocht.

Mittendrin in diesem Dilemma ist Klaus Widmer, Co-Schulleiter an der Swiss Jazz School Bern, immerhin der ersten autonomen Jazzschule Europas. «Junge, die sich bei uns auf eine Profi-Laufbahn in den typischen Jazz-Instrumentengattungen Blech oder Holz vorbereiten wollen, sind selten geworden. Dafür gibt es immer mehr 65-Jährige, die auf die nahende Pension noch ein Instrument lernen wollen», sagt er und legt im gleichen Atemzug Wert auf die Feststellung, dass diese alten Wilden ein durchaus erstaunliches Niveau erreichen würden. Doch die Einschätzung, dass dem Schweizer Jazz derzeit die Bläser fehlen, würde er unterschreiben. Der Big-Band-Kurs musste an seiner Schule schon vor einigen Jahren wegen Blechmangels aus dem Angebot gestrichen werden.

Prince und Adele als Retter?

Die Gründe dafür sieht er mitunter im eingangs beschriebenen Fehlen von Vorbildern auf den grossen Bühnen. «Wäre beispielsweise Adele mit einer prominent in Szene gesetzten Trompeterin auf Welttournee gegangen, könnte die Situation zumindest an den Musikschulen schon etwas anders aussehen», mutmasst er.

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Ob ein Instrument erlernt wird, hänge sehr stark davon ab, wie präsent es gerade in der Popkultur vertreten sei. «Man erinnere sich daran, welchen Hype Prince auslöste, als er die Saxofonistin Candy Dulfer ins Rampenlicht stellte. Derzeit wird im Pop die gesamte Aufmerksamkeit ausschliesslich auf den Gesang geleitet, Solos sind insgesamt selten geworden», so Widmer.

Metal-Musiker üben den Jazz

Die Krise ist freilich nicht allgemeiner Natur. So sässen auf hiesigen Jazzschulbänken mittlerweile viele Metal-Gitarristen oder -Schlagzeuger. «Gäbe es eine Metal-Schule, würden sie dort ihr Handwerk perfektionieren», sagt Widmer. «Weil es keine Alternativen gibt, landen sie halt an den hiesigen Jazzschulen.» Auch an Sängerinnen und Sängern mangle es – wohl dank den diversen Castingshows – nicht. Und sowohl an den Musikschulen wie auch in den Verkaufshitparaden der europäischen Musikhäuser erfreut sich das Piano (meist das elektrische) dicht gefolgt von der Gitarre unverändert grosser Beliebtheit.

Doch zurück zum Jazz, dem eigentlichen Stammgebiet der erwähnten Kriseninstrumente Saxofon, Trompete und Posaune. Die Gründe dafür, dass der Run auf diese Instrumente eingebrochen ist, mag mit dem Zeitgeist zu erklären sein. Vielleicht ist aber auch die Erkenntnis durchgesickert, dass ein Dasein im Jazz-Milieu kein unbeschwertes Leben in Saus und Braus verspricht: Gemäss einer deutschen Studie (in der Schweiz gibt es keine entsprechende Erhebung) liegt das Durchschnittseinkommen von Jazzmusikerinnen und -musikern aus rein musikalischer Tätigkeit bei jährlich circa 10’000 Euro.

Zu all diesen Phänomenen kommt hinzu, dass der berühmte Corona-Boost am Abklingen ist. Während der Pandemie waren vermehrt Trompeten- und Saxofonklänge aus heimischen Wohnzimmern zu vernehmen. Offenbar entschieden sich viele dafür, die neu gewonnene Zeit für das Erlernen eines Instruments zu nutzen. Eine Euphorie, die merklich verpufft ist.

Wo sind die Jazz-Ikonen?

Und als wäre das noch nicht genug, muss auch noch eine Krise des traditionellen Jazz konstatiert werden. «Als ich mich zum Jazz-Saxofonisten ausbilden liess, habe ich eine recht klar definierte musikalische Sprache erlernen wollen», erzählt Klaus Widmer. «Wir hatten Vorbilder wie John Coltrane oder Dexter Gordon, und die Trompeter eiferten einem Miles Davis nach. Deren Spiel war die Basis, um an einem eigenen Ausdruck zu forschen. Heute gibt es zwar unheimlich viele gute Saxofonisten und Saxofonistinnen, sie werden aber von den Jungen offenbar weniger als Role Models wahrgenommen.»

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Jazz sei ein diverser Begriff geworden, stellt Widmer fest. Tatsächlich wird an den Hochschulen heute darauf geachtet, dass die Abgängerinnen und Abgänger ein möglichst breites musikalisches Verständnis haben. «Das Augenmerk liegt auf dem Multidisziplinären, und das ist auch vollkommen richtig so», sagt Widmer.

Hochschulen bieten Stars auf

Um dieser Baisse im Bläser-Bereich entgegenzuwirken, setzen die Jazz-Abteilungen an den Hochschulen auf prominente Lehrkräfte. So amtet in Basel mit Mark Turner einer der angesagtesten Saxofonisten der New Yorker Jazz-Szene als Dozent, wohl mit ein Grund, weshalb die Nachfrage dort nicht am Nachlassen ist, wie die Schule ausrichtet.

Mark Turner spielt Saxophon bei den Jazz Nights in der Kupferschmiede Langnau. Foto von Manuel Zingg.

Auch Bern setzt auf Dozierende mit internationaler Ausstrahlung, wie Peter Kraut, der stellvertretende Leiter Fachbereich Musik, verrät. «Generell ist in der professionellen Musikausbildung die Auswahl der Dozierenden das entscheidende Kriterium für die Wahl der Hochschule.» In Bern findet sich unter anderen der Goldkanten-Trompeter Ralph Alessi unter den Lehrkräften.

Schweiz mit Wettbewerbsnachteil

Doch dass wegen dieser Jazz-Prominenz nun auch massenhaft internationale Studierende an die helvetischen Ausbildungsstätten strömen würden, ist eher nicht der Fall. «Alle hiesigen Musikhochschulen kämpfen mit den hohen Lebenshaltungskosten in der Schweiz. Das ist für Studierende mit engem Budget eine Herausforderung und für uns im internationalen Wettbewerb ein Nachteil», sagt Peter Kraut. Würden nun auch noch – wie von der Politik angedacht – die Studiengebühren erhöht werden, wäre dies fatal.

Wohin sich die Schweizer Jazz-Szene, die allgemein nicht nur als bestens ausgebildet, sondern auch als durchaus fantasiebegabt gilt, hinbewegt, wird sich weisen. Dass dabei weniger ekstatische Bläser-Solos zu hören sein werden, darf bereits prophezeit werden.

Die Jazzwerkstatt Bern findet von Di, 25.2., bis So, 2.3., im Progr und im Kino Rex statt.